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Verschwörung im Mondschein

Mit himmelndem Blick verfolgen viele am Freitag die Mondfinsternis. Auch Künstler sind von der Nacht fasziniert.

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© Staatl. Kunstsammlungen Dresden

Von Birgit Grimm

Eine sternenklare Nacht, der Vollmond erleuchtet die Natur. Man erkennt in diesem milchigen Licht jeden Baum, jeden Strauch im Garten, wenn es drum herum nur dunkel genug ist. Wer wird da nicht romantisch? Doch mit der Romantik ist das so eine Sache. Was wir heutzutage mit Adjektiven wie wunderschön, gemütlich, genussvoll verbinden, war einst von den Malern ganz anders gemeint.

Vollmond bei Hubertus Giebe: 2004 malte er das „Wattenmeer bei Dangast“. Das Bild ist derzeit leider im Depot des Albertinums.
Vollmond bei Hubertus Giebe: 2004 malte er das „Wattenmeer bei Dangast“. Das Bild ist derzeit leider im Depot des Albertinums. © Hans-Peter Klut

„Wenn es dunkel ist, dann wird der Mensch auf sich zurückgeworfen“, sagt Holger Birkholz. Der Konservator an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden beschäftigt sich derzeit intensiv mit den Mondbildern im Dresdner Albertinum, und davon gibt es einige aus Vergangenheit und Gegenwart. Birkholz bereitet eine Ausstellung vor zum 200. Geburtstag eines des berühmtesten und Hauptwerke des Museums: „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“ von Caspar David Friedrich. Die Schau soll ab Sommer 2019 zu sehen sein.

„Für die Maler der Romantik sind es die stimmungsvollen und empfindungsreichen Nachtlandschaften, die den Menschen zu sich führen, verborgene Gefühle und auch dunkle Seiten offenbaren.“ Den Mond sieht Birkholz dabei als Dialogpartner des Menschen, obwohl er sehr fern ist und auf den Menschen herabschaut. „Das ist eine typisch romantische Struktur, Ferne und Nähe zu verbinden.“ Da kommt das Diesseits dem Jenseits nahe, Mikrokosmos und Makrokosmos werden eins und Natur und Erfindung sind nicht zu trennen.

Fluch und Segen

Mit Friedrichs kleinformatigem Gemälde, das als eines seiner Hauptwerke gilt, haben sich auch schon Astronomen beschäftigt und versucht, die Sternenkonstellation im Bild nachzuweisen und zu datieren. Sie sagen, der Stern rechts neben der extrem schmalen Sichel wie bei einer Mondfinsternis sei die Venus. Aber 1819, als das Bild gemalt wurde, gab es diese Konstellation nicht. 1808 hätte Caspar David Friedrich so etwas sehen können. Birkholz findet das interessant, meint aber, dass Friedrich kein Künstler war, der auf naturwissenschaftliche Exaktheit Wert legte. Ob Friedrich sich mit einem Forscher wie Wilhelm Gotthelf Lohrmann austauschte, der damals in Dresden eine wissenschaftliche Mondkarte zeichnete, dafür fand Birkholz bisher keinen Beweis.

Dem Maler kam es mehr auf Symbolik an. „Man muss sich nur den Rhythmus des Bildes anschauen, wie diese beiden Männer miteinander verbunden sind“, sagt der Konservator. In der Tat sieht es aus, als würden sie etwas besprechen. Eine geheime Verabredung vielleicht? „Gut möglich, denn die Nacht ist die Zeit der Verschwörung. Nach dem Wiener Kongress 1815 wurden Männer, die für freiheitliches Gedankengut eintraten, als Demagogen verfolgt. Als man Friedrich einmal fragte, was die beiden Männer auf seinem Bild machen, antwortete er: Demagogische Umtriebe!“. Die Komposition hat etwas Ovales, fast wie ein Auge. „Der Mond galt auch als Beobachter, aber im freundschaftlichen Sinn“, sagt Birkholz. Die Männer tragen die altdeutsche Tracht, eine Kleidung, in der Männer und Frauen während der Befreiungskriege ihr antifranzösisch geprägtes Nationalgefühl zeigten. Dieser Mantel und das Barrett galten als so provokativ und aufrührerisch, dass sie teilweise verboten wurden. Diese beiden Männer könnten Friedrich selbst und sein Freund Johan Christian Dahl sein, mit dem er in Dresden im selben Haus wohnte. Zumal das Bild einst Dahl gehörte. Der Norweger malte auch Mondscheinlandschaften. Ein bemerkenswertes Bild, das die Dresdner besonders lieben, ist der „Blick auf Dresden bei Vollmond“. Es ist, wie der berühmte Canaletto-Blick bei Nacht, ein großes Format. Aber warum hängt eine Frau nachts Wäsche auf? Vielleicht nimmt sie sie auch ab, weil ein Unwetter droht? Doch von einem Gewitter weiß das Bild nichts. „Dahl tritt in einen Wettstreit mit Canaletto“, meint Birkholz. „Tatsächlich wurde an der Elbe Wäsche getrocknet. Auch bei Canaletto hängt genau an dieser Stelle eine Frau Wäsche auf, aber am Tag. Ich traue Dahl diese Art Humor, diese Verrücktheit zu.“

Freilich kannten die Künstler in Dresden die Gemäldegalerie, studierten dort die Alten Meister. Vor allem der Niederländer Art van der Neer dürfte sie inspiriert haben mit seiner Mondscheinlandschaft.

Auch der malende Arzt Carl Gustav Carus schuf Mondscheinlandschaften. 1819 reiste er nach Rügen, um die Gegend kennenzulernen, aus der sein Lehrer und Patient Caspar David Friedrich stammte. Seine „Mondnacht bei Rügen“ wirkt trotz ihres winzigen Formats monumental. Schiffe sind in der Nacht unterwegs. Die Ostsee ist aufgewühlt, Sturm kommt auf. „Ich finde, es ist immer irgendwie zugig in den Bildern der Romantik“, sagt Holger Birkholz. Man kann die nächtlichen Landschaftsgemälde dieser Zeit, vor allem die Ostseebilder von Caspar David Friedrich, immer auch politisch lesen. Er malte die Weite des Meeres und sehnte sich in der Enge der deutschen Kleinstaaterei nach Freiheit. Man kann sich allerdings auch gut in die Einsamkeit, die diese Gemälde ausstrahlen, versenken.

Das funktioniert übrigens auch bei dem Gemälde „Wattenmeer bei Dangast“ von Hubertus Giebe ganz wunderbar. Der intellektuelle Dresdner Maler, dem die Zeitläufte keine Ruhe lassen, schaute 2004 in den Mond und malte eine stimmungsvolle Nachtlandschaft. Die Farben, Rotviolett und Giftgrün, wirken beunruhigend. Also auch hier keine pure Behaglichkeit.

Dresdner Maler hatten und haben die Romantiker natürlich vor Augen. „Das mag für sie Fluch und Segen zugleich sein“, konstatiert Birkholz, der einige Jahre an der Dresdner Hochschule für Bildende Künste unterrichtete. „Der Blick aus der Akademie auf die Elbe ist wunderschön und wie ein Versprechen, andererseits verdirbt er die Künstler in gewisser Weise. Sehen Sie sich nur Oskar Kokoschka an: Wie hat sich seine Malerei verändert, als er in dem Atelier auf der Brühlschen Terrasse war?! Oder Christian Macketanz: Dessen Auseinandersetzung mit dem Metaphysischen wurde stärker, seit er das Hochschulatelier hat.“

Auch Maler wie Peter Herrmann und Peter Graf ließ der Mond über Dresden ins Schwelgen geraten. Graf gab einem Bild, in dem ein Paar am Gartentisch sitzt, 1976 den lakonischen Titel: „Und schon ist es Abend“. Der Vollmond scheint durchs Geäst und streut sein milchiges Licht. Verschwörung? Ach was, wohl eher eine Verzauberung. Aber wer weiß, wer weiß ...

Albertinum Dresden, Eingang Brühlsche Terrasse und Georg-Treu-Platz, 10 bis 18 Uhr geöffnet, montags geschlossen.