Von Hannes Koch
Berlin. Millionen Beschäftigte, die den gesetzlichen Mindestlohn eigentlich erhalten müssten, bekommen ihn nicht. Eine Studie mit diesem Ergebnis stellte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin am Mittwoch vor. Ökonomin Alexandra Fedorets plädierte dafür, dass die Betriebe die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer wirklich dokumentieren, damit Verstöße geahndet werden können. Die gute Nachricht: Dank des verpflichtenden Mindestlohns stiegen die Verdienste der am niedrigsten bezahlten Erwerbspersonen bereits um 15 Prozent.
Die große Koalition aus Union und SPD führte den Mindestlohn 2015 ein. Damals betrug er 8,50 Euro brutto pro Stunde, mittlerweile 8,84 Euro. Knapp zwei Millionen bundesdeutscher Erwerbstätiger erhalten diese Bezahlung schon, so das Statistische Bundesamt. Genauso viele, wahrscheinlich sogar mehr Beschäftigte erhalten ihn jedoch nicht, obwohl er ihnen zusteht, erklärte das DIW dagegen. 2016 hätten etwa 1,8 Millionen Arbeitnehmer vertragliche Stundenlöhne von weniger als 8,50 Euro bekommen, sagte DIW-Forscher Jürgen Schupp. Auf 2,5 Millionen steige diese Zahl, wenn man die Leute hinzunehme, deren tatsächliche Arbeitszeit so lang ist, dass ihr Stundenlohn unter die Mindestschwelle sinkt. Insgesamt jedoch arbeiten bis zu 6,5 Millionen Erwerbstätige in der Bundesrepublik für Verdienste unterhalb des Mindestlohns, hat das DIW ermittelt. Ein Grund sind mehrere Ausnahmen im Gesetz: Jugendliche unter 18 ohne abgeschlossene Ausbildung, Azubis und bestimmte sogenannte Langzeitarbeitslose haben beispielsweise keinen gesetzlichen Anspruch auf den Basislohn. Hinzu kommen Millionen Selbstständige.
Darüber, wie vielen Menschen der Mindestlohn widerrechtlich vorenthalten wird, herrscht Dissens. Die Zahlen des DIW liegen wesentlich über denen des Statischen Bundesamtes (800 000 Beschäftigte). Eine Ursache der Differenz liegt wohl darin, dass die Destatis-Zahlen auf Angaben der Firmen beruhen. Beim DIW antworten dagegen die Beschäftigten. (hko)