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Verwunschener Wartturm

Nieskys Wahrzeichen spielt kaum noch eine Rolle. Dabei gibt es viele Ideen. Allein für das Konzept fehlt schon das Geld.

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© André Schulze

Von Carla Mattern

Noch nicht mal die Baustelle Eisstadion ist zu sehen. Und dabei steht der Nieskyer Wartturm nur zwei Steinwürfe von Nieskys derzeit wichtigstem und umstrittenstem Bauprojekt entfernt. Ob er als Wahrzeichen von Niesky künftig in die zweite Reihe rückt? Verwunderlich wäre das nicht, denn der Wartturm ist zwar nicht von einer dichten Rosenhecke umgeben wie das Dornröschenschloss im Märchen der Brüder Grimm. Doch irgendwie verwunschen ist das Bauwerk im Nieskyer Westen schon.

In seinem Inneren gibt es eine Stube, in der früher bei musikalischen Veranstaltungen mit dem Frauenchor und dem Blasmusikverein Niesky Märchen vorgelesen wurden.
In seinem Inneren gibt es eine Stube, in der früher bei musikalischen Veranstaltungen mit dem Frauenchor und dem Blasmusikverein Niesky Märchen vorgelesen wurden. © André Schulze
Wer heute die Treppe hinaufsteigt, tut das auf eigene Gefahr.
Wer heute die Treppe hinaufsteigt, tut das auf eigene Gefahr. © André Schulze
Oben angekommen, gibt es eine Plattform, auf der rundherum gegangen werden kann. Schilder mit Hinweisen, was in welcher Richtung zu sehen ist, sind noch da. Allerdings ist die Aussicht weg. Fotos:
Oben angekommen, gibt es eine Plattform, auf der rundherum gegangen werden kann. Schilder mit Hinweisen, was in welcher Richtung zu sehen ist, sind noch da. Allerdings ist die Aussicht weg. Fotos:

Oder wie sonst soll man seinen derzeitigen Status bezeichnen? Viele Nieskyer kennen den Wartturm noch aus ihrer Kindheit und Jugend. Damals gehörte es dazu, dahin zu spazieren, mal die Treppen hinaufzusteigen, und hinaus in die Ferne zu schauen. Nieskyer Kulturbundmitglieder kümmerten sich zu DDR-Zeiten um das Gebäude. Und auch nach 1990 war noch lange nicht Schluss mit seinem Image als Ausflugsziel. Dafür sorgten unter anderem die Sängerinnen des Nieskyer Frauenchores. Kultcharakter hatten die Wartturm-Konzerte. Denn es wurde nach Herzenslust gesungen, für und mit den Zuhörern. Die Musiker vom Blasmusikverein Niesky spielten auf, Volkslieder, Blasmusik, was das Publikum eben gerne hörte. Chorleiterin Carmen Funke dachte sich Rätsel für die Gäste aus, und eine Märchentante las den Kindern vor. Bei all der Kultur wurden auch die anderen Bedürfnisse gestillt, mit Kuchen und Kaffee. Carmen Funke erinnert sich noch gut daran. Gut zwei Stunden vor Konzertbeginn begannen die Frauen Bänke für die Gäste und Stühle für die Blaskapelle aufzustellen. Dann kamen die Sängerinnen mit dem frisch gebackenen Kuchen. „Vor uns auf Niesky zu saßen die Musiker. Wir haben viel mit den Zuschauern gesungen“, erzählt Carmen Funke. „Ich liebe mein Niesky und meinen Wartturm“, sagt die Nieskyerin, die Jahrzehnte als Musiklehrerin in Schulen und an der Musikschule und als Chorleiterin das kulturelle Leben in der Stadt beeinflusste.

Doch so viel Leben tobt schon lange nicht mehr am Wartturm. Die meisten Kontakte hat das Bauwerk mit den Beschäftigten der Nieskyer Brüdergemeine, die nach ihm sehen, und für Sauberkeit sorgen. Denn dem Verfall preisgegeben ist das Nieskyer Wahrzeichen keinesfalls. „Wir wissen, was wir mit dem Wartturm haben“, sagt Sieglinde Eichler, die bei der Kirchengemeinde als Vorsteherin unter anderem für die Immobilien zuständig ist. Schließlich war das Bauwerk sozusagen als Mittelpunkt der Schwesternplantage entstanden. Diese war einer der vielen Parks in der Stadt. Im 18. Jahrhundert entstanden, gehörte zu dem benachbarten Sonnenhügel, der heute noch als Rodelberg genutzt wird, ein hölzerner Pavillon. Den riss ein Sturm 1833 weg, und man entschloss sich, einen neuen steinernen Turm zu errichten. Seine Besonderheit: Sein Umfang und seine Höhe sind gleich, exakt 18 Meter. Neben einer Turmstube erhielt er auch eine Aussichtsplattform - und auf dem hölzernen Geländer aufgeschraubte Schildchen. Die Namen darauf verraten dem Betrachter, was er in dieser Richtung für einen Ort sieht.

Doch zum Aussichtsturm taugt der Wartturm schon lange nicht mehr. Denn die Bäume sind so hoch, dass die Wipfel den Fernblick versperren. Auch die strahlenförmig zum Wartturm führenden Wege sind fast alle zugewachsen. Kein Problem sollte man meinen: Dann müssen entweder die Bäume weg oder der Turm höher werden. Doch so einfach ist das natürlich nicht. Um die Bäume abzuholzen, müsste Spezialtechnik zum Einsatz kommen, denn viele von ihnen enthalten noch Granatsplitter aus den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges, als die Kämpfe auch im Westen von Niesky tobten. Möglicherweise würde das Abholzen mehr Geld kosten, als der Verkauf des Holzes einbringt. Und das wäre auch gar nicht erlaubt. „Der Wald um den Wartturm ist ein Parkdenkmal. Es muss ein Pflegekonzept erarbeitet werden, welches allein schon einen fünfstelligen Betrag kostet“, sagt Sieglinde Eichler. Das Geld sei nicht vorhanden, und dieses Grundstück samt Wartturm gehöre auch nicht zum Kerngeschäft der Brüdergemeine, so die Vorsteherin.

Seit 2010 trägt die Kirchengemeinde wieder die Verantwortung für das Gelände. Bis 2010 gab es einen Pachtvertrag mit der Stadt Niesky. Doch die Verhandlungen über einen neuen Pachtvertrag ruhen. „Es gab keine Einigung, weil wir uns über die Kosten nicht einigen konnten“, sagt Nieskys Oberbürgermeisterin Beate Hoffmann. Sie weiß auch, dass viele Nieskyer sich wünschen, dass der Wartturm wieder ins Leben zurückgeholt wird. „Das ist schwierig, und es tut mir selber leid um den Wartturm. Aber in diesem Jahr sehe ich keine Möglichkeiten“, sagt die Oberbürgermeisterin.

Immerhin kann der Wartturm besichtigt werden. Im Pfarramt der Brüdergemeine kann gegen ein Pfand der Schlüssel abgeholt werden, sagt Sieglinde Eichler.