Von Elmar Dreher
Nach seiner erneuten Machtdemonstration durfte Lewis Hamilton das triumphale Siegergefühl in Sebastian Vettels Ferrari-Land erst mal nur kurz genießen. Am Formel-1-Mercedes des britischen Gewinners vom Großen Preis von Italien wurde ein zu geringer Reifendruck festgestellt. Dasselbe galt für den Silberpfeil von Teamkollege Nico Rosberg, der allerdings ohnehin kurz vor Schluss wegen eines Motorschadens ausgefallen war. Das Team musste zum Rapport zu den Rennkommissaren.
Erst am Abend gab es Entwarnung für Mercedes: Hamilton muss keine Strafe durch die Rennkommissare fürchten. Laut offizieller Mitteilung der Rennleitung gehen die Stewards wegen der angeblich regelwidrigen Werte beim Reifendruck nicht weiter gegen Mercedes vor.
Bei den Italienern dauerte der Schmerz über den Mercedes-Sieg nur kurz. Trotz der eigentlich klaren sportlichen Niederlage bejubelten die Tifosi ihren Vettel enthusiastisch. „Das ist einer der emotionalsten Tage, die ich in der Formel 1 je hatte“, meinte er. Mindestens einen Platz auf dem Podium hatten die Anhänger der Scuderia erwartet. Vettel erfüllte ihnen den Wunsch.
„Der Moment auf dem Podium macht das Ganze so lebendig, den Traum zu leben und Formel-1-Fahrer bei Ferrari zu sein. Das ist der beste zweite Platz, den ich jemals hatte“, erklärte der gebürtige Heppenheimer. Am Anfang des Rennens habe er noch an eine Siegchance geglaubt. „Aber Lewis war einfach wieder unheimlich schnell da vorne, und meine Reifen haben dann ein bisschen abgebaut“, sagte Vettel. Er gehe „hochzufrieden“ aus dem Lauf vor den eigenen Fans.
Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff versicherte, dass sich die Mechaniker beim Reifendruck an den Silberpfeilen an die vorgegebenen Daten gehalten haben. „Es war alles innerhalb dessen, was gemacht werden durfte“, sagte Wolff. „Wir können nur sagen, dass wir unter Pirelli-Aufsicht alles gemacht haben.“ Zu viel Druck in den Reifen wird von den Kommissaren nicht moniert, aber zu wenig. Der italienische Hersteller hatte nach den Reifenplatzern in Spa Richtwerte ausgegeben.
Mit dem Triumph beim Großen Preis von Italien strebt Hamilton im Silberpfeil mit riesigen Schritten seinem dritten Titel entgegen. Sein schärfster Konkurrent und Teamkollege Nico Rosberg musste seinen Boliden wenige Kilometer vor dem Ziel auf Rang drei liegend mit brennendem Motor abstellen.
„Es ist alles nach hinten losgegangen an diesem Wochenende“, sagte Rosberg. „Das ging voll in die Hose. Ich müsste das Ding langsam mal in die andere Richtung drehen, stattdessen gibt es den größten Rückschritt der Saison“, fügte der Gesamtzweite aus Wiesbaden frustriert hinzu.
„Das ist ein unglaublicher Tag“, sagte Hamilton. Er ließ Vettel auf dem schnellen Kurs in Monza keine Chance und hatte den Vorsprung in den Schlussrunden noch einmal auf 25,042 Sekunden ausgebaut. Auf mehrfaches Geheiß der Teamleitung, die Hamilton bemerkenswerterweise bat, keine Nachfragen zu stellen. Alles werde später erklärt, er solle es einfach nur machen.
Erst auf mehrfaches Nachfragen erklärte Wolff nachher: „Wir wollten einfach die größtmögliche Lücke rausholen für die verschiedensten Szenarien“, erklärte Wolff. Hamilton hat vorerst nach seinem siebten Saisonerfolg 252 Zähler auf dem Konto. Fast schon beiläufig gelang ihm an diesem Wochenende auch sein zweiter Grand Slam aus Sieg, Poleposition, schnellster Runde und alle Umläufe in Führung nach Malaysia 2014. Der Vorsprung auf seinen schärfsten Rivalen Rosberg beträgt vor dem Übersee-Auftakt am 20. September in Singapur 53 Punkte. Vettel als WM-Dritten fehlten nach dem Europa-Finale erst mal 74 Zähler auf Hamilton.
Beim Start war ausgerechnet Vettels Ferrari-Teamkollege Kimi Räikkönen von Platz zwei aus gar nicht vom Fleck weggekommen. Der Finne wurde durchgereicht. Rosberg musste um das Hindernis herumkurven und fiel von Rang vier auf sechs zurück. Räikkönen schob sich in der Zwischenzeit immer weiter nach vorne. Nach knapp einem Drittel Renndistanz lag der „Iceman“ schon auf Position fünf.
Hamilton ließ mal wieder keine Zweifel an seinem Weg zum WM-Titel aufkommen. Er ist nur noch einen Erfolg von Ayrton Senna und Vettel entfernt. Er kam einen Umlauf nach Vettel in Runde 27 an die Box, zog frische Reifen auf und setzte seine Solofahrt fort. „Ich denke, der einzige, der mich stoppen kann, bin ich selbst“, erklärte der Brite selbstbewusst. Fast auf den Tag genau neun Jahre nach Michael Schumachers letztem Monza-Triumph für Ferrari schrumpften die Scuderia-Hoffnungen auf die Neuauflage mit einem deutschen Fahrer immer weiter. (dpa)