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Viel Platz für Senioren

Der Löbau-Zittau ist in Sachsen Spitze bei den Heimplätzen. Dennoch gibt es Nachholbedarf bei der Betreuung.

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© Matthias Weber

Von Anja Beutler

Martha Zöllner und Dorothea Hieke haben es gut getroffen. Die beiden 89 und 81 Jahre alten Damen leben seit etwa drei Jahren im Pflegestift St. Antoni in Ostritz. Hier haben beide, was sie brauchen: passende Betreuung, ein Tagesprogramm mit Sport, Singen, Basteln und Kuchenbacken, Gesprächspartner, mit denen sie sich unterhalten können. Während Frau Zöllner nach einer Erkrankung plötzlich rund um die Uhr auf Pflege angewiesen war, hat sich Frau Hieke nach einem Besuch bei einer Bekannten in der Ostritzer Einrichtung aus freien Stücken für den Umzug entschieden. „Zum Glück war da gerade ein Platz frei“, erklären die beiden einstimmig.

Die Zahl der Pflegeheime und anderer Einrichtungen nimmt in Löbau-Zittau weiter zu. Nur das Fachpersonal reicht oft nicht aus.
Die Zahl der Pflegeheime und anderer Einrichtungen nimmt in Löbau-Zittau weiter zu. Nur das Fachpersonal reicht oft nicht aus. © SZ

Rein zahlenmäßig ist das mit den Plätzen vor allem im Süden des Landkreises Görlitz eigentlich eine eher luxuriöse Sache: Nirgendwo im gesamten Kreis gibt es mehr stationäre Heimplätze pro Kopf als im Gebiet Löbau-Zittau. 17 Plätze pro 1 000 Einwohner sind es im Altkreis Löbau, 19 für den Altkreis Zittau. Im gesamten Landkreis liegt der Schnitt bei 14, im Freistaat bei 13 Plätzen. Sozialplaner Matthias Reuter vom Landratsamt hat diese Zahlen stets im Blick: „Eine Erweiterung der Kapazitäten ist schon aus heutiger Sicht nicht erforderlich“, sagt er. Man sei im stationären Bereich gut ausgestattet. Die aktuellen Prognosen rechnen 2040 mit dem Höchststand an Pflegebedürftigen im Kreis. Denn dann werden die geburtenstarken Jahrgänge das 80. Lebensjahr erreicht haben.

Dass mehr Heimplätze kein großes Thema sind, bestätigt auch eine Umfrage in Senioreneinrichtungen. So sind derzeit in den befragten Heimen weder zahlreiche Anfragen auf einen Platz zu verzeichnen, noch sind aktuell viele Zimmer und Betten unbesetzt. „Es ist ein umkämpfter Markt, aber kein heftiger Verdrängungswettbewerb“, bilanziert Raik Urban, Geschäftsführer der St. Jakob Zittauer Alten- und Pflegeheim GmbH. 184 Plätze hat sein Haus, und er hat derzeit eher Sorgen, für seine Bewohner auch künftig ausreichend Pflegekräfte zu finden, obwohl die Zittauer seit Jahren ausbilden. Ein Problem, das seine Kollegen in gleichem Maße besorgt. Denn Fachpersonal brauchen nicht nur die Heime, sondern auch ambulante Pflegedienste und vorstationäre Einrichtungen wie Tages- und Kurzzeitpflege. So hat sich die Zahl der Tagespflegeplätze seit 2009 im Kreis vervierfacht, sagt Reuter.

Auch Urban betont, dass sich die Rolle des klassischen Pflegeheimes enorm verändert hat. Ein Feierabendheim wie früher gibt es nicht mehr. „Wenn die Menschen zu uns kommen, haben sie bereits erhebliche gesundheitliche Probleme und kommen allein nicht mehr klar“, sagt er. Ein genereller Trend, bestätigt Sozialplaner Reuter. In der Folge leben die Senioren oft nicht mehr so lange in einem Heim, Plätze werden eher frei. Im St. Antoni-Stift in Ostritz muss sich Heimleiter Hubertus Ebermann pro Jahr im Schnitt von 24 seiner 73 Bewohner verabschieden.

Warum die Senioren heutzutage später in ein Heim kommen, hat politische Gründe: Die Devise heißt ambulant vor stationär. Nicht von ungefähr sind in den vergangenen Jahren vor allem Tages- oder Kurzzeitpflege-Einrichtungen und barrierefreie, seniorengerechte Wohnanlagen entstanden. In Hörnitz ist derzeit die Sozialstation Mittelherwigsdorf mit dem Bau einer solchen Einrichtung befasst, die Gemeinde Leutersdorf will selbst investieren, in Ostritz am Markt entsteht Neues – es gibt viele Beispiele. Sie alle haben wie die ambulanten Pflegedienste das Ziel, Menschen länger in ihrer Umgebung leben zu lassen.

Betreiber stationärer Heime sehen diese Ausrichtung – die finanzielle Folgen hat – mindestens skeptisch: Stephan Kothe, Regionalleiter von Dienste für Menschen mit fünf stationären Heimen in Löbau, Görlitz, Seifhennersdorf und Ebersbach, wünscht sich mehr Aufmerksamkeit für die Heime. „Die Menschen werden älter, haben schwere Erkrankungen und brauchen entsprechende Pflege – das muss finanzierbar bleiben“, betont er. Der gleichen Meinung ist Marianne Lutzenberger, Inhaberin des Pflegestiftes Bernstadt. Sie fordert, dass die gesetzlichen Hürden fallen, damit stationäre Einrichtungen und Kurzzeit- oder Tagespflege an einem Ort verzahnt werden können. So müssen sich Senioren im Fall des Falles nicht nochmals neu eingewöhnen.

Ein springender Punkt sind zudem die Kosten: Die kommenden Rentnergenerationen werden durch Arbeitslosigkeit persönlich weniger Reserven haben. Die Sozialkasse – der Kreis – wird künftig einiges zusteuern müssen. Sozialplaner Reuter sieht auch deshalb hier noch eine große Aufgabe: bezahlbare Wohnformen, passende Konzepte, auch für Demenzerkrankte sieht er als Herausforderungen. Martha Zöllner und Dorothea Hieke müssen sich mit diesen Diskussionen nicht mehr auseinandersetzen. Sie akzeptieren, dass sie einen neuen Lebensabschnitt begonnen haben – und sind zufrieden. „Es ist ein Heim, aber kein Daheim“, sagt Frau Zöllner nachdenklich. Doch sie lächelt.