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Vier für Orlando

Riesaer Cheerleaderinnen fahren im Frühjahr zur Weltmeisterschaft. Gemeinsam trainieren können sie nur selten.

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© Thomas Riemer

Von Thomas Riemer

Riesa. Immer wieder werden die Griffe trainiert, die Pyramiden, die Stunts. Jeder Handgriff muss sitzen, das Quartett scheint sich blind zu verstehen. Dass Sophia Herkt (21), Anne-Marie Miethe (19), Victoria Natzschka (18) und Franziska Schmiedgen (22) an einem Wochentag zu viert gemeinsam in Riesa trainieren können, ist trotzdem eher selten. Denn im „normalen“ Leben sind die Cheerleaderinnen Schülerinnen und Studentinnen in Dresden, Halle, Riesa. Doch sie eint ein Ziel: Die jungen Frauen haben sich für die Weltmeisterschaft in Florida im kommenden Jahr qualifiziert. „Wir haben so dolle darauf gehofft, aber nie wirklich geglaubt, dass wir es schaffen“, sagt Sophia Herkt. Als der CCVD, der Cheerleading und Cheerdance Verband Deutschland, dann im Oktober die Nominierung bestätigte, „saßen wir da und haben uns ziemlich ungläubig angeschaut“.

Im Herbst wurden Anne-Marie Miethe, Franziska Schmiedgen, Victoria Natzschka und Sophia Herkt (v.l.) in den Bundeskader für die WM berufen.
Im Herbst wurden Anne-Marie Miethe, Franziska Schmiedgen, Victoria Natzschka und Sophia Herkt (v.l.) in den Bundeskader für die WM berufen. © privat

Zurück zum Ursprung

Die Weltmeisterschaft in Florida ist für jeden Cheerleader sowas Ähnliches wie ein Marathonlauf in Griechenland. Denn die Sportart hat in Amerika ihren Ursprung und kehrt folgerichtig mit den Weltmeisterschaften auch dorthin zurück. Der Wettbewerb wird im Erlebnispark Disneyworld stattfinden vor einer sicherlich riesigen Kulisse. „Die vier Mädels starten im Senior Allgirl Cheer Level 5“, erklärt Trainerin Eva Georgi. „Senior“ beschreibe dabei die Erwachsenen-Altersklasse, „Allgirl“ meint, dass in dieser Kategorie nur Frauen starten dürfen, Cheer beschreibt den generellen Modus. „Hier unterscheiden wir zwischen Dance – also Tanz – und Cheer“, so Eva Georgi. In der Cheerkategorie müssen dabei ganz verschiedene Elemente gezeigt werden. „Hier schauen die Juroren zum Beispiel auf die Stunts, die Pyramiden, das Tumbling – also Bodenturnen wie Saltos und Flickflack und Sprünge – und bewerten die generelle Präsenz im Gesamteindruck“, erklärt die Heimtrainerin des WM-Quartetts. Level 5 wiederum beschreibe den Rahmen an erlaubten Stunts. „Also salopp gesagt: Wieviele Personen darf ich übereinander stapeln oder wieviele Umdrehungen darf man als Pyramidenabgang planen“, so Eva Georgi.

„Ihre“ Mädels sind trotz des jungen Alters schon recht erfahren im Cheerleading. Alle gehören seit zehn und mehr Jahren dem Riesaer Cheerleaderverein an, der deutschlandweit bekannt für seine tolle Ausbildung ist. Und Trainingsfleiß ist mehr als die „halbe Miete“. Zwei- bis dreimal pro Woche sind die WM-Starterinnen in der Halle zu finden, bilden „nebenbei“ auch noch Kinder im Verein aus. Doch gemeinsame Trainingseinheiten können oft nur an Wochenenden stattfinden. „Wir hoffen immer, dass wir mal zu viert sind“, beschreibt Sophia Herkt schmunzelnd das Szenario. Ansonsten ist jede der vier Sportlerinnen selbst „zuständig“ für den Fitnesszustand: Krafttraining, Grundlagentraining müssen dann halt ohne die Gruppe vonstatten gehen.

Im Spätsommer kam die offizielle Anfrage des CCVD an alle Vereine, talentierte Mitglieder zu finden, die sich auf Plätze im deutschen Nationalkader bewerben. „Hierzu gibt es dann einen genauen Anforderungskatalog, denn bevor Teilnehmer zum Training eingeladen werden, müssen sie ihr Können zunächst per Video unter Beweis stellen“, so Eva Georgi. Die Mädels hätten aber natürlich nicht erst im Sommer angefangen zu trainieren. „Sie arbeiten schon über anderthalb Jahre gemeinsam. Und sie trainieren hart, sie sind selbstkritisch, verlieren aber trotzdem nie den Spaß und die Freude daran“, so die „Kurzbeschreibung“ der Trainerin für das Quartett. Schließlich müsse man bedenken, dass, sobald eine Person von vieren unkonzentriert ist und nur kurz daneben greift, „der ganze Stunt fallen könnte“. Deshalb brauche es bei jeder Einzelnen Geduld und Verständnis für sich und die Anderen. „Und genau das vereinen die Mädels: den Ernst, die Leichtigkeit und das Teamgefühl – und das ist als ,Heimtrainerin‘ besonders toll zu sehen“, so Eva Georgi.

Geduld, Hartnäckigkeit, Kompromissfähigkeit, Teamwork – Anne-Marie, Victoria, Franziska und Sophia gehen routiniert mit den Herausforderungen um. „Wir mussten sogar die Richtung unserer Drehungen ändern, weil die anderen deutschen Teams das so einstudiert hatten“, sagt Sophia. „Das hat viel Zeit gekostet.“ Der Heimatverein ermöglichte dazu professionelle Hilfe, engagierte externe Trainer, um die Abläufe zu optimieren. Es ist gelungen.

Jetzt stehen bis zur WM-Woche Ende April 2017 noch einige Trainingswochenenden mit dem deutschen Nationalkader sowie „Aufbauwettkämpfe“ auf dem Programm. Das Programm für die Weltmeisterschaft ist grundsätzlich bereits fertig: Zweieinhalb Minuten Power, Lächeln, Anspannung, Konzentration. „Wir wollen unser Programm einfach ordentlich durchturnen und dann schauen, wo wir stehen“, formuliert Victoria Natzschka den eigenen Anspruch. Sie selbst wird in jedem Fall den Überblick behalten – mit 47 Kilogramm Körpergewicht ist die 18-Jährige das Leichtgewicht des Quartetts und damit die Frau für die „obere“ Etage bei den Pyramiden.

Auf Suche nach Sponsoren

Eine Herausforderung ganz anderer Art steht allen Beteiligten im Vorfeld allerdings noch bevor. Denn: Die Reise nach Übersee kostet. Rund 2 000 Euro pro Teilnehmerin sind aufzubringen – für Flug, Unterkunft, Verpflegung, Kleinbus für den örtlichen Transport und und und. „Wir sind auf der Suche nach Sponsoren, die uns bei der Finanzierung unterstützen“, so Sophia Herkt. Riesas Oberbürgermeister Marco Müller gebe zum Beispiel Unterstützung bei der Vermittlung von potenziellen Sponsoren. Bei diversen Spendenaktionen wird auf das große Ziel aufmerksam gemacht. Die Einnahmen aus Showauftritten kommen ebenso ins Orlando-Sparschwein. „Man kann uns als Gruppe oder Verein auch buchen“, macht Sophia Herkt gleich noch einmal schmunzelnd Werbung in eigener Sache. Angesichts der optimistischen Ausstrahlung der Mädels bestehen kaum Zweifel, dass das Unterfangen nicht gelingen könnte.

Und dann werden Sophia Herkt, Anne-Marie Miethe, Victoria Natzschka und Franziska Schmiedgen im Scheinwerferlicht von Orlando stehen. Nicht nur die Mädchen selbst fiebern dem großen Auftritt bereits entgegen. „Wir sind alle – vom kleinsten bis zum größten Mitglied und ich denke auch alle Eltern, Freunde und Familie – jetzt schon super stolz auf die Vier und werden auch mit einer kleinen Delegation nach Orlando reisen, um sie bei der WM anzufeuern“, so Eva Georgi. Und sie vergisst nicht, schon jetzt den großen Rückhalt der Schulen, Arbeitgeber und Sponsoren der Mädels zu erwähnen. „Das ist ganz große Klasse in unserer Sportstadt.“