Von Hanna Gersmann
Es geht schon früh morgens los. An der Ampel gibt der Fahrer eines schwarzen Audi oder Mercedes seine Zurückhaltung auf – und Gas. Der Motor heult auf. Kurz darauf kommt ein Motorrad mit typisch röhrendem Sound heran. So geht das bis spät in die Nacht. In Umfragen gibt über die Hälfte der Bevölkerung an, dass sie der Krach der Straße stört. Das Herz kann rasen, der Blutdruck steigen, wenn es dauerhaft lärmt. Warum kommen die lauten Fahrzeuge überhaupt auf die Straße?
Die Antwort erinnert an den Abgasskandal: Die Werte der offiziellen Messverfahren für den Lärm weichen erheblich von jenen ab, die es auf der Straße gibt. Der Chef einer Verkehrspolizei, Dieter Schäfer von der Verkehrspolizeidirektion Mannheim, hat nun erstmals Verstöße beim Kraftfahrt-Bundesamt gemeldet. Darüber berichtete als erstes das ARD-Wirtschaftsmagazin Plusminus.
Der Hintergrund: Bei der Typenzulassung von Autos, auch von Motorrädern, kommt es auf die Geräuschentwicklung in nur in einem kleinen Messkorridor an. In der Regel wird mit einem Mikrofon der entstehende Lärm bei der Beschleunigung im zweiten und dritten Gang bei 50 bis 60 km/h gemessen. Ist der Test bestanden, kontrolliert im Grunde niemand mehr. Der Fahrer kann bei über 60 km/h weiter Gas geben, er kann im ersten oder zweiten Gang mit Vollgas und bei höherer Drehzahl beschleunigen.
Jan Gebhardt ist Experte für Straßenlärm beim Umweltbundesamt. Er bestätigt, dass „die Betriebsbedingungen bei der Typprüfung relativ fern von der Realität sind.“ Das Umweltbundesamt hat dies vor wenigen Tagen erstmals öffentlich gemacht. In der politischen Debatte spielte der Lärm bislang aber kaum eine Rolle. Der bekannte Mediziner Robert Koch schrieb schon 1910: „Eines Tages wird der Mensch den Lärm ebenso unerbittlich bekämpfen müssen wie die Cholera und die Pest.“ Im Jahr 2011 verkündete die Weltgesundheitsorganisation WHO dann, dass der Lärm nach der Luftverschmutzung die zweitgrößte Belastung für die Gesundheit ist. Allein in Deutschland, so schätzen Experten, sollen 4 000 Herzinfarkte im Jahr auf Verkehrslärm zurückzuführen sein. Die EU hat 2016 einen Stufenplan für eine leichte Senkung der Grenzwerte beschlossen. Will ein Hersteller eine Typzulassung für ein Auto erhalten, sind maximal 72 bis 75 Dezibel erlaubt.
Auto dröhne wie ein Düsenjet
Die Autos würden dennoch nicht leiser, kritisiert Holger Siegel vom Umweltverband BUND. Denn: Solange der Messkorridor klein bleibe und unerheblich sei, was darunter und darüber passiert, sei die rechtliche Lücke groß. Und diese würden Auspuff- und Autohersteller nutzen.
Siegel, selbst Motorradfahrer, meint: „Manche Motorsteuerungen können erkennen, dass sich das Fahrzeug nicht mehr im Testzyklus befindet, dann geben sie zusätzliche Dezibel für den Auspuff frei.“ Das freue so manchen Kunden, der vom satten Sound spricht und viel Geld für seine leistungsstarke Maschine gezahlt hat. Es reiche ein Tastenbefehl, das könne auch abhängig sein von Drehzahl und Tempo – plötzlich ähnelt der Klang dem eines Formel-1-Wagen.
Möglich macht das die Erfindung des Klappenauspuffs. Das Prinzip steckt schlicht im Namen. Eine Klappe im Auspuff lässt sich öffnen und schließen. Mit offener Klappe wird der Wagen zum dröhnenden Boliden, mit geschlossener Klappe ist sein Geräusch eher harmlos. „Mancher Sportwagenhersteller baut auch einfach computergesteuerte Fehlzündungen ein, damit das Auto martialischer wirkt“, sagt Siegel. Dabei würden Dezibelwerte erzeugt, die jenseits der 100 lägen.
Im letzten Jahr, so Verkehrspolizist Schäfer, sei er in Mannheim gegen die „schon etwas peinlichen Poser vorgegangen, die in ihre Auspuffrohre Drei- und Vierecke schneiden, damit es dröhnt“. Ihm sei ein Auto aufgefallen, das 137 Dezibel erreichte. 137 Dezibel tun weh in den Ohren, das ist so laut wie ein startender Düsenjet. Die Polizei beschlagnahmte das Auto, ließ ein Lärmgutachten erstellen, legte es dann still. Diese „Amateure“ hätten sie heute im Griff, meint Schäfer. Die Hersteller, die serienmäßig Klappauspuffanlagen einbauen, aber nicht. Eine gerichtsfeste Messung des Fahrgeräusches bei Kontrollen sei oft auch viel zu kompliziert und teuer. Schäfer ärgert vor allem eins: „Es kann nicht sein, dass die Autohersteller das Lärmproblem und die -vorgaben ignorieren, um ihre Wagen besser zu verkaufen.“ Für ihn steht fest: „Es darf nicht am grünen Tisch serienmäßig genehmigt werden, was auf der Straße übermäßigen Lärm verursacht, der krankmacht“. Darum habe er einen „exemplarischen Fall“ eines lärmenden Serienfahrzeugs offiziell an das KraftfahrtBundesamt herangetragen. Die Flensburger Behörde hat reagiert, sie sicherte Schäfer Nachprüfungen zu.