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Vom Treff der feinen Leute zum Bürohaus

Vor 115 Jahren kam der Wiener Platz zu seinem Namen. Im Kaiser-Café traf sich die bessere Gesellschaft.

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© Sammlung H. Naumann

Von Ralf Hübner

Wieder einmal rückt der Wiener Platz in das Blickfeld der Stadtplaner und Architekten. Diesmal geht es vor allem um dessen Ostseite, wo auf einer Wiese verlassen ehemalige Häuser der Bahn stehen. Die Stadtverwaltung will ein Pendant zur markanten „Prager Spitze“ an der Prager Straße schaffen und den Platz schließen. Architekten haben ein Hochhaus vorgeschlagen.

Das Kaiser-Café am Wiener Platz um 1920. Dort vergnügte sich die bessere Gesellschaft. Doch wegen des Krieges wurden die Gäste weniger.
Das Kaiser-Café am Wiener Platz um 1920. Dort vergnügte sich die bessere Gesellschaft. Doch wegen des Krieges wurden die Gäste weniger. © Sammlung H. Naumann

Zu seinem Namen kam der zuvor namenlose Wiener Platz vor 115 Jahren, 1903. Fünf Jahre zuvor war das Gebäude des Hauptbahnhofes fertig geworden, damals das Modernste an europäischer Ingenieurskunst im wilhelminischen Deutschland. Er ersetzte den Böhmischen Bahnhof. Schon bei diesem war Mitte des 19. Jahrhunderts großer Wert auf die Gestaltung des Vorplatzes gelegt worden, wo vor dem Bahnhofsrestaurant oft Sommerkonzerte stattfanden. Ab 1851 entstand die Prager Straße, die am Hauptbahnhof ihren Anfang nimmt. Sie und der Wiener Platz zählten bis zum Zweiten Weltkrieg zu den elegantesten Einkaufs- und Vergnügungsstätten in Europa.

Etwa um 1930 umrahmten zehn Gebäude den Platz, darunter Villen und drei Hotels wie das 1888 eröffnete Kaiser Wilhelm Hotel und das Hotel Sandig sowie das prunkvolle Gebäude der Landwirtschaftlichen Feuerversicherungs-Genossenschaft. Jenes fünfgeschossige, platzbeherrschende Eckhaus am Wiener Platz 1 mit reichen Verzierungen im Wiener Jugendstil, dem Sezessionsstil, war von September 1901 bis Oktober 1902 nach Plänen von Kurt Diestel entstanden. Als bemerkenswert galt auch der dreistufige Turm über der abgeschrägten Gebäudeecke im Stil des Neoempire von Georg Pöschmann. Im Erdgeschoss waren an der Hauptfassade acht schmale Läden untergebracht – ein Friseur, eine Blumen- und Pflanzenhandlung, ein Schokoladengeschäft sowie das „Installationsbureau für elektrische Anlagen“ der Firma AEG. Zum Hof lagen die Büroräume der Feuerversicherung.

Eine breite Treppe führte in das Kaiser-Café von Richard Richter im ersten Obergeschoss, weshalb das Haus auch als Kaiser-Café stadtbekannt war. Bis zu 600 Gäste konnten dort bewirtet werden. Die Plätze waren mit Halbwänden in sogenannte Kojen geteilt. Ein 34 Meter langer Balkon mit Blick zum Bahnhofsvorplatz, der später zur Veranda ausgebaut wurde, war eine der Attraktionen. Das Innere war bis in die 1920er-Jahre im Jugendstil gehalten. 153 in- und ausländische Zeitungen sollen ausgelegen haben. Das Café hatte Billardsäle und einen Konzertsaal, an Karten- und Schachtischen vergnügte sich die bessere Dresdner Gesellschaft. Unter den Gästen waren viele Adlige, Offiziere der Dresdner Regimenter mit ihren Damen und Mitglieder des königlichen Hoftheaters. Ab Mitte der 1920er-Jahre wurden im großen Saal täglich Konzerte mit dem damals bekannten Violinsolisten und Kapellmeister Oskar von Dombeé gegeben. Vor dem Eckgebäude befand sich ein laubenähnliches Straßencafé. 1936 war damit Schluss. In die Räume zog die Kraftverkehrsgesellschaft Sachsen ein, das Straßencafé wurde zur Wartehalle umfunktioniert, in dem die Fahrgäste noch eine Kleinigkeit essen konnten. 1945 wurde das Gebäude zerstört und Anfang der 1950er-Jahre abgerissen.

Ab Mitte der 1960er-Jahre baute die Stadt Dresden an dem Platz und der sich anschließenden Prager Straße Wohn- und Hotelhochhäuser. Als 1994 ein Denkmal für Wladimir Iljitsch Lenin, den kommunistischen Politiker und Begründer der Sowjetunion, errichtet wurde, erhielt auch der Platz den Namen Lenins.

Seit 1991 heißt er wieder Wiener Platz. Die Stadt Dresden hat das 120 Tonnen schwere Lenin-Denkmal aus karelischem Granit 1992 an einen Sammler aus Gundelfingen verschenkt. Für die neue Gestaltung des Platzes lobte Dresden einen Wettbewerb aus. Auf der Grundlage des Siegerentwurfs sollte er bebaut werden. Die Rathausplaner träumten Anfang der 1990er-Jahre von der zweitgrößten Baustelle nach dem Potsdamer Platz in Berlin.

Doch die Rechnung ging nicht auf. Zunächst mussten Leitungen verlegt werden und seit 1991 wurde für den Verkehr vor dem Bahnhof ein Tunnel gebaut. In der Zwischenzeit sanken sowohl die Nachfrage als als auch die überteuerten Grundstückspreise. Der zur Vermarktung der Flächen gegründeten Aufbaugesellschaft Prager Straße gelang es nicht, genügend Investoren zu gewinnen. Das Desaster kostete  die Dresdner Steuerzahler zwischen 1996 und 2008 etwa 87 Millionen Euro. Die später auf der Südseite des Platzes gebauten Würfelhäuser sollen an die einstigen Villen an dem Ort erinnern. 2005 eröffnete das neue Kugelhaus, ein Bürohaus, das in Teilen das ehemalige Kugelhaus von 1928 nachahmt. 2006 ging das gläserne Geschäftshaus „Prager Spitze“ in Betrieb, das etwa dort steht, wo sich einst das Kaiser-Café befand.