Merken

Vom Vollidioten zum Superpapa

Felix Bormann flog von drei Schulen und war der Polizei bestens bekannt. Die Geburt seiner Tochter änderte alles.

Teilen
Folgen
© Christian Juppe

Von Henry Berndt

Auweia, jetzt lieber kein falsches Wort. Dieser Mann macht einem Angst. Stiernacken, Silberkettchen um den Hals, die Arme restlos durchtätowiert. Den rechten Arm zieren ein Totenschädel mit Pistole und ein Symbol für die Omertà, den Ehrenkodex der Mafia. Womit könnte so jemand sein Geld verdienen? Da fällt einem auf die Schnelle kaum etwas Legales ein.

Doch Felix Bormann kann überraschen. Sein dreijähriges Töchterchen Hannah hat ihn zu einer Idee inspiriert, die so gar nichts Kriminelles an sich hat. Gerade hat sich der 30-Jährige, der konsequent jeden duzt, mit einem personalisierten Tagebuch selbstständig gemacht, das er selbst ersonnen und entwickelt hat. Voller Stolz präsentiert er den vier Kilo schweren Wälzer, der seine Besitzer durch das ganze Leben begleiten soll. Genauer gesagt durch 100 Jahre. Passend dazu – und mit internationalen Ansprüchen – hat er sein Werk „Your 100 Years“ getauft. Den Titel ziert in großen Buchstaben der Vorname des Beschenkten. Darunter steht das Geburtsdatum. Größe und Geburtsgewicht finden sich in einer Zeichnung wieder.

Unter dem Buchdeckel dann der wahre Coup: Von Geburt an sind für jedes Lebensjahr genau zwei Seiten für Erinnerungen vorgesehen. Aber nicht irgendwelche Erinnerungen. Felix Bormann hat sich für jedes Lebensalter Aufgaben einfallen lassen. Anfangs sind es die ersten Schritte, mit zehn Jahren soll ein Baum gepflanzt werden, mit 43 Jahren heißt es: „Spende einem Obdachlosen etwas zu Essen“ und mit 49 Jahren: „Übernachte bei einem Freund.“ Insgesamt 200 konkrete Ereignisse hat sich Felix Bormann ausgedacht und dazu passende Zeichnungen entwerfen lassen. „Die Jahre 0 bis 60 fielen mir relativ leicht“, sagt er. „Danach wurde es schwieriger.“ Wer das 100. Lebensjahr erreicht, für den heißt es am Ende nur noch: „Vergib dir alle Fehler.“

Wenn Felix Bormann behutsam die Seiten seines Buches umschlägt, dann lächelt er dabei zufrieden in sich hinein. Er ist restlos davon überzeugt, dass die Welt auf seine Idee gewartet hat. „Ich habe nach der Geburt meiner Tochter lange nach so einem Buch gesucht“, sagt er. „Keine Chance. So etwas in dieser Art gibt es noch nicht.“ Es gibt Bücher für Babys, Poesiealben für Kinder und Bücher für die Großeltern. Aber für das ganze Leben? Das hat gefehlt! Deswegen setzt er nun alles auf diese Karte.

Die erste Idee zu „Your 100 Years“ hatte er vor zwei Jahren. Seitdem trieb er das Projekt voran, holte sich Mitstreiter ins Boot, entwickelte eine Website, kümmerte sich um einen Kredit und eine Förderung durch die Bürgschaftsbank. Zuletzt hatte der gelernte Fleischer und langjährige Messebauer in einer Softwareschmiede gearbeitet. Den Job schmiss er hin. Er will allen beweisen: Das hier ist nicht mehr der Felix, der er noch vor zehn Jahren war.

Aufgepumpt und Spaß dabei

„Ich war ein Vollidiot“, sagt er über den Felix von einst. Von drei Schulen flog er. Seinem Mathelehrer durfte er sich nur noch auf zehn Meter nähern, Hausaufgaben ignorierte er konsequent. Es hagelte Sechsen. Seine Mutter verzweifelte an ihm, redete ihm ins Gewissen: „Du bist nicht dumm, du bist nur faul.“ Bei der Polizei war er lange Zeit bestens bekannt. Auf seiner eigenen Harley „Fat Boy“ knatterte er durch die Straßen. Im Fitnessstudio pumpte er sich auf, bis er 45 Kilo mit der Kurzhantel drückte. „Als Junge wolltest du breit sein, was hermachen“, sagt er. Vor allem wollte er sich nichts sagen lassen. Nicht von seinem Mathelehrer und nicht von irgendwelchen Typen auf der Straße, die ihn provozieren wollen.

Das war mal. Jetzt sitzt Felix Bormann im Kinderzimmer seiner Tochter und sinniert: „Ich hätte nie geglaubt, dass ein Kind so viel mit einem machen kann.“ Schon dieser Moment, als ihm seine Freundin abends den Schwangerschaftstest zeigte, habe ihn wie ein Blitz getroffen. Von einem Tag auf den anderen fuhr er nicht mehr auf Montage, ging nicht mehr auf Partys und begleitete seine Freundin zu jedem Arzttermin. „Ich weiß selbst nicht, was da passiert ist, aber ich wollte unbedingt bei ihr sein.“

Statt Kraftsport macht er seitdem Fitness. Statt sich zu prügeln, flechtet er nun Zöpfe. „Seit ich Papa bin, habe ich die dunkle Seite in mir komplett eliminiert.“ Er spricht von diesem Moment, wenn er sein Kind anschaut und glücklich und traurig zugleich ist, weil er den Moment nicht festhalten kann. Und wieder kommt sein Buch ins Spiel. Manchmal habe er sich gefragt, was er seiner Tochter später mal antworten kann, wenn sie wissen will, wie er gelebt hat. „Soll ich dann für sie meine Facebook-Timeline durchscrollen?“ Dieser Gedanke habe ihm nicht gefallen.

Das Abenteuer beginnt

Für sein Buch des Lebens mit hochwertiger Fadenheftung verlangt Felix Bormann 99,95 Euro. Ein stolzer Preis. „Doch es kommt der Punkt im Leben, an dem Erinnerungen unbezahlbar sind“, sagt er. „Was sind dann schon 100 Euro?“

„Your 100 Years“ ist inzwischen auch auf Englisch erhältlich. In der zweiten Auflage stammen alle Zeichnungen aus einer Feder. Verkauft hat er bislang 50 Exemplare. Sein Abenteuer geht gerade erst los. Die GmbH ist in Gründung. Auch auf Amazon, Dawanda und Ebay ist er schon zu finden.

Zuletzt zeichnete ihn Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries als „Kultur- und Kreativpilot“ aus. Mit dem Preis verbunden ist ein einjähriges Mentoring-Programm, über das er nun regelmäßig an Workshops teilnimmt.

Der neue Felix Bormann klopft offensichtlich nicht nur Sprüche. Was wohl sein Mathelehrer dazu sagen würde?

www.your100years.de