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Von der Baracke zum modernsten Knast der DDR

Stahlwerk und Reichsbahn betrieben zu DDR-Zeiten eigene Gefängnisse. Eine SZ-Serie geht dem nach.

Von Antje Steglich
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Stahlwerk und Reichsbahn betrieben zu DDR-Zeiten eigene Gefängnisse.
Stahlwerk und Reichsbahn betrieben zu DDR-Zeiten eigene Gefängnisse. © SZ-Grafik

Teil 1 der Serie "Zwischen Haft und Hölle"

Riesa. Die Planvorgaben für die volkseigenen Betriebe können kaum gestemmt werden. Die Flüchtlingswelle gen Westen zieht weiter an. Trotzdem will die DDR-Führung Ende der 1950er den fortwährenden Aufschwung erzwingen. Dafür braucht die Industrie dringend Arbeitskräfte. Egal, ob freiwillig oder nicht. Es ist der 10. Juni 1958, als auch das VEB Stahl- und Walzwerk Riesa in einem Schreiben an die Abteilung Strafvollzug des Innenministeriums in Berlin mehr Arbeitskräfte einfordert – der Umbau einer alten Lagerbaracke zum Standkommando Riesa hatte da längst begonnen.

In den folgenden Jahren werden Hunderte Häftlinge nahe des Martinwerkes II eingepfercht. Hinter Stacheldraht, bei mieser Verpflegung und unter katastrophalen hygienischen Bedingungen. Offiziell reicht der Platz für bis zu 150 Häftlinge, die sich kleinerer Vergehen schuldig gemacht haben und bis zu sechs Monate Haft absitzen müssen. Doch in der Realität teilen sich nachts bis zu 235 Gefangene die kargen Räume, um dann frühmorgens zur Adjustage oder zu Verladearbeiten auszurücken. Die Arbeit ist schwer und nicht selten gesundheitsgefährdend. Eine Wahl haben die Häftlinge aber nicht.

Pro forma ist das Barackenlager zwar dem Strafvollzug unterstellt, doch im Prinzip hat das Stahlwerk das Sagen. Dennoch erzwingt der Generalstaatsanwalt in Berlin Ende 1964 wegen einer „außerordentlich hohen Unfallziffer“ und der „ungenügenden“ Unterkunft das Ende des Standkommandos – auf die Häftlinge als Arbeitskräfte verzichten kann das Stahl- und Walzwerk auf lange Sicht allerdings nicht. Deshalb schließt sich der volkseigene Betrieb keine zwei Jahre später der Deutschen Reichsbahn an. Auch die braucht Arbeitskräfte für die unbeliebten Jobs im Gleisbau oder auf dem Jochmontageplatz Wülknitz.

Gemeinsam betreibt man das Strafvollzugskommando an der Strehlaer Straße in Riesa, ein ehemaliges Wohnlager für Bauarbeiter. Die Holzbaracken werden nachgenutzt, erweitert. Bis heute sind hohe Betonmauern zurückgeblieben. Zu Spitzenzeiten sind dahinter bis zu 750 Häftlinge untergebracht. Vorwiegend junge Männer, die wegen Straftaten gegen die staatliche Ordnung einsitzen. Auch sie müssen für die Volkswirtschaft malochen. Doch das Lager ist der Stadt von Anfang an ein Dorn im Auge. Immer wieder gibt es Beschwerden. Zudem fordert die Industrie immer mehr Arbeitskräfte aus dem Strafvollzug. 

Anfang der 1970er wird deshalb mit den Planungen eines neuen, riesigen Gefängnisses begonnen. Auf der anderen Elbseite wollen das VEB Rohrkombinat Stahl- und Walzwerk Riesa als Bauherr sowie die Deutsche Reichsbahn als Geldgeber Platz für 1 200 Häftlinge schaffen. Realisiert wird letztlich aber nur der erste Bauabschnitt: Am 2. September 1977 feiert die Strafvollzugseinrichtung Zeithain Einweihung. Der Plattenbau gilt als das modernste Gefängnis der DDR – und steht noch heute.