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Von der Kaderschmiede zum Heiteren Blick

Die Olsenbande verdankt Radebeul eine Stimme. Denn das älteste Theater der Stadt diente Egons erstem Synchronsprecher einst als Sprungbrett.

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© Claudia Hübschmann

Von Ulrike Keller

Radebeul. Die Zahl der Aufführungen ist ungezählt. Tausende kommen zusammen über die 70 Jahre, die das Theater Heiterer Blick Radebeul inzwischen besteht. Ein Amateurtheater, das ein beachtliches Stück Stadtgeschichte mitgeschrieben hat.

Nicht zuletzt beim Kulturbahnhof. „Als das Projekt noch eine Vision war, haben wir schon in der Schalterhalle gespielt, um den Beleg zu erbringen: Hier kann Theater gespielt werden“, erzählt Uwe Wittig, der zweite Vorsitzende des als Verein eingetragenen Ensembles. „Wir hatten dann die Ehre, den Kulturbahnhof einzuweihen, mit einem extra für diesen Anlass geschriebenen Stück.“

So ist es denn kein Zufall, dass der Bahnhof auch Schauplatz des großen Festaktes zum 70. Jubiläum ist. Zu diesem reisen Ende Oktober rund 100 Gäste aus allen Teilen Deutschlands an. Darunter namhafte Vertreter verschiedener künstlerischer Bereiche. Viele von ihnen waren in den 60er- und 70er-Jahren Mitglieder des Schauspielzirkels. In seiner Glanzzeit.

„Es war eine Kaderschmiede für professionelle Schauspieler, Regisseure und Bühnenbildner“, würdigt Radebeuls stellvertretender OB Jörg Müller. Als einen der Ersten, die im Jugendalter mitgemacht hätten, nennt er beispielhaft Rolf Ludwig. Jenen renommierten Schauspieler, der als Synchronsprecher der Figur Egon Olsen im ersten Film der Olsenbande einem breiten Publikum bekannt wurde.

Als 1969 der VEB Druckmaschinenwerk Planeta als Rechtsträger die Theatergruppe übernahm, entwickelte sich daraus in den Folgejahren das größte Jugendtheater der DDR – und ein überaus erfolgreiches obendrein. Mit der Aufführung von „Antigone“ holte es 1976 bei den Arbeiterfestspielen die erste Goldmedaille in seiner Geschichte.

Als „sensationell gut“ bezeichnet Uwe Wittig in seinem Rückblick die damalige finanzielle Ausstattung. Planeta engagierte professionelle Schauspieler, ermöglichte den Darstellern nicht nur Sprecherziehung, sondern je nach Stück unter anderem auch Fechtunterricht. Er berichtet, dass es zeitweise sieben Inszenierungskollektive und bis zu 19 Techniker gab. Im Jahre 1976 habe der Betrieb 40 000 DDR-Mark investiert und mit Aufführungen zusätzlich 30 000 DDR-Mark eingenommen. Der höchste Betrag, mit dem später für ein Jahr geplant wurde, lag Uwe Wittig zufolge bei 100 000 DDR-Mark.

Dabei waren die Ausgangsbedingungen 1946 mehr als dürftig gewesen. Als 15-jährige Schülerin gründete Ruth Kelker mit vier, fünf Jugendlichen eine kleine Theatergruppe im Mohrenhaus. Geprobt wurde dort in einer Scheune. „Das war eine Zeit nach dem Krieg, in der nichts entstanden wäre, wenn wir nichts gemacht hätten“, sagt die heute 85-Jährige, die zum Festakt geehrt wird. 1950, nach dem Abitur, ging sie nach Leipzig, die Theatergruppe aber bestand fort. Einen ersten Aufschwung erlebte diese dann unter der betrieblichen Trägerschaft der Radebeuler Schuhfabrik ab Ende der 50er-Jahre.

1965 stieß Klaus Kunick dazu, eine „Lichtgestalt“, wie Uwe Wittig sagt. Bis Anfang der 80er leitete er das Jugendtheater. 1972 erhielt es im Klubhaus der Planeta sogar einen eigenen Theatersaal, den es mit einer Uraufführung einweihte. Daneben bespielte das Jugendtheater die Freilichtbühne Oberlößnitz in der Nähe vom heutigen Augustusweg sowie in Gastspielen zahlreiche auswärtige Bühnen, etwa in Dresden, Freital und Hohnstein.

Dutzenden Talenten diente die Theatergruppe während der DDR-Zeit als Karrieresprungbrett. Beispiele sind Regisseur Axel Richter, Bühnenbildnerin Ulrike Schmitz sowie aus der darstellenden Zunft Carin Abicht, Hans-Jürgen Müller-Hohensee, Harry Merkel und Roman Kaminski. Erstere vier erscheinen persönlich zum Festakt, letztere zwei lassen Grüße übermitteln.

Carin Abicht bringt als Dank für die Chance, die sie als junge Aktrice in Radebeul erhielt, sogar eine theatralische Kostprobe auf die Bühne. 1963 hatte sie in der Aufführung „Das trojanische Pferd“ mitgewirkt. Dabei wurde sie von einer Dozentin der Hochschule für Filmkunst Babelsberg entdeckt. Nach dem Studium spielte sie unter anderem an den Landesbühnen, der Volksbühne Berlin, dem Staatstheater Schwerin sowie Thalia Theater Hamburg.

Das traurige Ende des Jugendtheaters kam mit der Wende. Vize-OB Jörg Müller formuliert es mit den Worten: „Die DDR-Betriebe leisteten sich Kultur, von der sie sich 1989 nicht schnell genug trennen konnten.“ Das Ensemble stand buchstäblich auf der Straße, machte weiter auch ohne feste Spielstätte. Nach der Fusion mit dem Radebeuler Minitheater „Grüne Gans“ bot ab 1993 das Vereinshaus auf der Dr.-Külz-Straße den Amateurdarstellern ein Domizil zum Proben und Lagern der Kulissen wie Requisiten.

„Der Heitere Blick ist nicht wegzudenken aus der Radebeuler Kulturszene“, honoriert Jörg Müller die gleichbleibende Qualität des längst sehr zusammengeschrumpften aktiven Kerns von nicht einmal mehr zehn Personen.

„Das Theater am Leben zu erhalten, war nur möglich, weil eine überschaubare Gruppe nicht aufgegeben hat“, sagt Uwe Wittig beim Festakt und erntet Zwischenapplaus. Gemeinsam mit Vereinschef Jan Dietl stemmt er die organisatorische Hauptlast. „Das größte Problem heute ist nicht das fehlende Geld“, resümiert Wittig. Die grundlegende Herausforderung sei es, Menschen zu finden, die sich über längere Zeit engagieren wollen.

www.theaterheitererblick.jimdo.com