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Von der Straße zur Gasse

Warum die Berliner Straße keine belebte Geschäftsstraße mehr ist, wie sie es früher war.

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© Klaus-Dieter Brühl

Von Kathrin Krüger-Mlaouhia

Großenhain. Fleischer, Bäcker, Friseur – auf der Berliner Straße hatten wir alles und noch viel mehr“, sagt Ansichtskartensammler Hartmut Jannasch, 1939 hier geboren. Jahrzehntelang gab es drei Fleischer, und auch die Schuhmacher waren lange Zeit zu dritt. Jannaschs Sammlung belegt, dass die Berliner eine belebte Geschäftsstraße war. Und dass jedes Haus ein bis zwei Geschäfte hatte. „Heute sind es weniger als die Hälfte, und da sind die Büros noch mitgezählt“, beklagt das Großenhainer Urgestein. Rund ein Dutzend Läden und Einrichtungen hat er gezählt.

Hartmut Jannasch (76) ist in der Berliner Straße geboren, wohnt bis heute hier. Der Postkartensammler hat viele Ansichten von Geschäften.
Hartmut Jannasch (76) ist in der Berliner Straße geboren, wohnt bis heute hier. Der Postkartensammler hat viele Ansichten von Geschäften.

Aus der Geschichte einer Straße

Berliner Straße 1 und 2:  Die Karte von 1910 zeigt die Schuhhandlung Bänsch mit dem Stiefel an der Fassade, den Colonialwarenladen Ecke Kirchplatz und die Buchhandlung Alferie (Mitte).
Berliner Straße 1 und 2: Die Karte von 1910 zeigt die Schuhhandlung Bänsch mit dem Stiefel an der Fassade, den Colonialwarenladen Ecke Kirchplatz und die Buchhandlung Alferie (Mitte).
Berliner Straße Ecke Neumarktgasse:  Markant an der Kreuzung zur Mozartallee: die Lantzsch-Bude, wo Frau Lantzsch bis in die1960er Jahre Gemüse verkaufte. Heute steht hier der Vier-Tore-Brunnen.
Berliner Straße Ecke Neumarktgasse: Markant an der Kreuzung zur Mozartallee: die Lantzsch-Bude, wo Frau Lantzsch bis in die1960er Jahre Gemüse verkaufte. Heute steht hier der Vier-Tore-Brunnen.
Berliner Straße 15:  Dieser Blick geht stadtauswärts und zeigt links an der Einmündung der Gabelsberger Straße um 1902 das Geschäft für Haus- und Küchengeräte Berthold Linse, zu DDR-Zeiten Elektro-Konsum. Vor Jahren war hier der Modeladen Ecktivity, jetzt ist das Lady Vit-Fitnessstudio eingezogen. Im Haus gibt es eine wertvolle Kassettendecke.
Berliner Straße 15: Dieser Blick geht stadtauswärts und zeigt links an der Einmündung der Gabelsberger Straße um 1902 das Geschäft für Haus- und Küchengeräte Berthold Linse, zu DDR-Zeiten Elektro-Konsum. Vor Jahren war hier der Modeladen Ecktivity, jetzt ist das Lady Vit-Fitnessstudio eingezogen. Im Haus gibt es eine wertvolle Kassettendecke.
Berliner Straße 17:  Die Karte von 1920 zeigt den Drogerieladen Brettschneider. Bis 1980 führte ihn die Familie. Dann war es Sattlerei, später Buchladen, dann Sanitärwaren, dann babybubu-Laden.
Berliner Straße 17: Die Karte von 1920 zeigt den Drogerieladen Brettschneider. Bis 1980 führte ihn die Familie. Dann war es Sattlerei, später Buchladen, dann Sanitärwaren, dann babybubu-Laden.
Berliner Straße 12: Das frühere einzige Restaurant der Straße: Hermann Grössel, hier um 1909. Ab 1911 war es Gaststätte und Herberge Beckert, heute Ingenieurbüro Stadelhofer.
Berliner Straße 12: Das frühere einzige Restaurant der Straße: Hermann Grössel, hier um 1909. Ab 1911 war es Gaststätte und Herberge Beckert, heute Ingenieurbüro Stadelhofer.
Berliner Straße 3:  Um 1910 sieht man hier den Putz- und Modewarenladen von Selma Korn, davor Schuhwaren von Schuhmachermeister Rößler, später HO-Taschenwaren.
Berliner Straße 3: Um 1910 sieht man hier den Putz- und Modewarenladen von Selma Korn, davor Schuhwaren von Schuhmachermeister Rößler, später HO-Taschenwaren.
Berliner Straße 19a:  Um 1915 verkaufte Auguste Dietrich an der Ecke Neumarktgasse Kurzwaren und Bettfedern – bis etwa 1949. Ab 1970 war bis zur Wende hier die Volkssolidarität. Seit 1998 ist es die Strießener Wohnungsverwaltung. Vorn links hinter der Littfasssäule war der Eingang zum Kolonialwarenladen Otto Kluge, heute Pizzeria Veccie Mura.
Berliner Straße 19a: Um 1915 verkaufte Auguste Dietrich an der Ecke Neumarktgasse Kurzwaren und Bettfedern – bis etwa 1949. Ab 1970 war bis zur Wende hier die Volkssolidarität. Seit 1998 ist es die Strießener Wohnungsverwaltung. Vorn links hinter der Littfasssäule war der Eingang zum Kolonialwarenladen Otto Kluge, heute Pizzeria Veccie Mura.

Geschäfte sind klein und schmal

Doch die Wandlung von der Straße zur Gasse – die bald aber komplett saniert wird – hat seit der Wende ihren Grund. „Die Geschäfte auf der Berliner Straße waren schon immer klein und schmal“, weiß Hartmut Jannasch. Viele Händler sind deshalb vermutlich auf andere Einkaufsmeilen gezogen bzw. haben sich erst gar nicht auf der Berliner Straße angesiedelt.

Die Berliner Straße hat bekanntlich ihren Namen deshalb, weil sie zum Berliner Bahnhof führt. Allerdings heißt sie erst seit 1991 wieder so. Namenstechnisch entwickelte sich die Magistrale von der Gasse zur Straße. 1745 ist sie nämlich Wildenhainer Gasse benannt, denn auf ihr gelangte man einst nach Wildenhain. Diese Direktverbindung gibt es heute nicht mehr.

Ab 1875 taucht die Bezeichnung Innere Berliner Straße auf, denn ab da gab es den Bahnhof. Zur Hotopstraße wurde ein Teilstück von 1930 bis 1933, benannt nach dem früheren Bürgermeister Max Hotop, der auf der Äußeren Berliner Straße gewohnt hat. Unter den Nazis war bis 1945 der Name Horst-Wessel-Straße gebräuchlich. Die Kommunisten tauften die Berliner in Ernst-Thälmann-Straße um.

Die ältesten Häuser der Innenstadt

Interessantes bringt auch die Denkmalliste zutage. Ein Dutzend Häuser stehen allein in der inneren Berliner Straße, die bis zum Stadtring reicht, unter Schutz. Davon ragen die Häuser Nummer 15 und 19a heraus. Beide haben den Stadtbrand von 1744 überstanden und stammen deshalb noch aus dem 16. Jahrhundert. Nicht von ungefähr ist daher im Wohn- und Geschäftshaus Nummer 15, das jetzt ein Frauenfitnessstudio wird, im ersten Stock eine wertvolle farbige Renaissance-Kassettendecke erhalten. 1993 war das Privathaus aufwendig saniert worden.

Auch bei der Nummer 19a, der Strießener Wohnungsverwaltung, stammen noch Grundmauern und eine Kassettendecke im Erdgeschoss aus der Zeit um 1550. Die Fassade im Stil der Neorenaissance wurde aber in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts angelegt. Dieses Eckhaus wurde 1998 saniert. Wie Hartmut Jannasch weiß, stehen auf der Berliner Straße einige der ältesten erhaltenen Gebäude der Innenstadt: Die Häuser Nummer 15 bis 19a und 20 bis 24. Sie konnten vor den Flammen des Stadtbrandes 1744 gerettet werden.

Schöner Schlussstein

Ist heute von der Berliner Straße innerhalb des Stadtrings die Rede, so denkt jeder an die Postfiliale, die Ende 2014 hier öffnete. Außerdem befindet sich die beliebte Pizzeria Veccie Mura in der Berliner Straße Ecke Franz-Schubert-Allee. Dort kann man noch Teile der originalen Stadtmauer sehen, und zwar nur hier. Dieses hohe Stück Stadtmauer zieht sich hinter den Häusern Berliner Straße 20 bis 24 entlang.

Gleich am Eingang der Berliner Straße, in der Nummer eins – Bäckerei Raddatz – befindet sich ein schöner Schlussstein. „In ihren Wapn und Schilden, ein Kron, sie sollen führn, die zwene Löwen hielten: damit sie triumphieren.“ Dieses Volkslied aus dem 17. Jahrhundert beschreibt das Wappen der Bäcker. Werner Raddatz hat es im Jahr 2000 nach der Sanierung des Hauses anbringen lassen.