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Von Jena über Wien nach Görlitz

Martin Wünsche hat einst bei seinem Vater Augenoptiker gelernt. Jetzt kehrt er als Meister zu seinen Wurzeln zurück.

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© nikolaischmidt.de

Von Ingo Kramer

Manchmal ist sich Martin Wünsche ein bisschen unsicher. „Sehe ich wirklich so alt aus? Oder mein Vater so jung?“, fragt sich der 30-Jährige dann öfter. Grund der Verunsicherung sind einige Stammkunden im Optikergeschäft auf der Jakobstraße 4a. „Manche kommen rein und begrüßen mich ganz selbstverständlich mit einem Guten Tag, Herr Wünsche“, erzählt er. Und stellt schnell fest, dass er schon wieder mit seinem 53-jährigen Vater Thomas Wünsche verwechselt wird, der das Geschäft seit 1989 führt. Manchen Kunden fällt es dann doch auf, anderen bis zum Verlassen des Ladens nicht. Der Junior nimmt es mit einem Schmunzeln: „Mit Guten Tag, Herr Wünsche liegen sie ja nicht falsch.“

Doch Martin Wünsche ist erst seit Juli in dem Geschäft anzutreffen. Wobei auch das nicht ganz korrekt ist. Er war ja schon mal da. Nach dem Abitur 2006 und einem Jahr Zivildienst absolvierte er von 2007 bis 2010 in Vaters Laden eine Ausbildung zum Augenoptiker. „Der Beruf wurde mir in die Wiege gelegt“, sagt er. Nicht nur der Vater und der Onkel sind Augenoptikermeister, sondern auch der mittlerweile verstorbene Großvater war es, damals noch in der Straßburgpassage. „Ich bin also die dritte Optiker-Generation in der Familie“, sagt Martin Wünsche. Zu dem Beruf überredet werden musste er aber nicht: „Das war wirklich ein Kindheitswunsch.“ Gereizt hat ihn die vielseitige Arbeit: handwerklich einerseits, mit Kundenkontakt andererseits: „Das Soziale liegt mir auch ganz gut.“

Nach der Ausbildung verabschiedete er sich 2010 recht schnell aus der Heimat – und ging zum Meisterstudium nach Jena. Das war ein Vollzeitstudium und seit 2015 darf er sich schließlich Augenoptikermeister nennen. Als solcher arbeitete er fortan zwei Jahre lang in Wien. Die Stadt hatte er sich ausgesucht, weil er sie seit einem Urlaub als Kind schön fand – und weil er generell mal in Österreich arbeiten wollte, an Land und Leuten interessiert war.

Dass er irgendwann in die Heimat zurückkehren will, stand immer fest, der Zeitpunkt aber war stets offen. Ende 2016 war es dann sein Vater, der ihn fragte, ob er nicht jetzt zurückkommen wolle. Er hatte den Laden über viele Jahre mit drei Mitarbeitern geführt, aber obwohl sie alle ausgebildete Augenoptiker und nicht einfach nur Verkäufer sind, war die Arbeit jetzt zu viert kaum noch zu schaffen. „Die Produktauswahl ist viel größer als früher, dadurch ist auch mehr Beratung nötig“, sagt Thomas Wünsche. Heute bekomme jeder Kunde die maßgeschneiderte Brille.

Sohn Martin hatte sich aber gerade so richtig in Wien eingelebt, ein soziales Umfeld gefunden. So brauchte der Vater ein halbes Jahr, um ihn zur Rückkehr zu bewegen. Von einer Ladenübernahme kann aber keine Rede sein: „Wir sind jetzt einfach zu fünft statt zu viert.“ Natürlich ist geplant, dass Martin Wünsche irgendwann in die Fußstapfen des Vaters tritt – aber erst in vielen Jahren. Frischen Wind bringt er schon jetzt mit, und das freut den Vater: „Als junger Mensch bringt er neue Impulse mit, sowohl vom Studium als auch von der bisherigen Arbeit.“ Der andere Blickwinkel zeigt sich zum Beispiel in der Bestellung einer neuen Fassungskollektion. „Und wir wollen den Laden nächstes Jahr ein bisschen umbauen und modernisieren“, sagt der Vater. Es soll aber kein Radikalschnitt sein, eher eine Verschönerung, verbunden mit einer Erweiterung des Angebotes.

Martin Wünsche freut sich derweil, wieder hier zu sein. Seine Freundin, die auch gebürtige Görlitzerin ist und in Marburg studiert hat, hat jetzt ebenfalls Arbeit in der Heimat gefunden. Das Paar hat eine Wohnung im Stadtzentrum eingerichtet – und genießt die Vorzüge des Lebens hier. Martin Wünsche hat in Görlitz noch seinen alten Freundeskreis, er kann mit dem Fahrrad statt mit S- und U-Bahn zur Arbeit fahren und die Lebenshaltungskosten sind deutlich geringer als in Wien. Was nicht heißen soll, dass dort alles schlechter war: „Kulturell hat Wien sehr viel zu bieten und die gemeinsamen Konzertbesuche mit den dortigen Kollegen vermisse ich schon.“ Aber Görlitz sei „absolut lebenswert, architektonisch wunderschön“. Mit der Zeit will er sich hier auch ein paar Hobbys aufbauen, vielleicht wieder mit ein paar Leuten zusammen Musik machen: „Vor zehn, zwölf Jahren habe ich Gitarre gespielt.“ Bei der Musik wird er vielleicht nicht mit seinem Vater verwechselt. Und falls doch: Auch egal. „Ich nehme es absolut niemandem übel“, sagt Martin Wünsche.