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Von Vergangenem und Vergessenem

Wer und was sich dahinter verbirgt – unsere Serie wirft ein Licht darauf. Heute Teil 7: Schöpsdorfer Straße.

Von Uwe Jordan
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Die Schöpsdorfer Straße im hoyerswerdischen WK VIII könnte mit gutem Recht den Titel „Schöpsdorfer Straßen“ beanspruchen.
Die Schöpsdorfer Straße im hoyerswerdischen WK VIII könnte mit gutem Recht den Titel „Schöpsdorfer Straßen“ beanspruchen. © Foto: Uwe Schulz

Hoyerswerda. Eine Straße hat normalerweise einen Anfang und ein Ende; vielleicht noch eine sehr kurze, sehr überschaubare Seitenstrebe. Aber in Hoyerswerda ist eben manches anders, und daher gibt es hier Straßen, die nicht nur einfach Straßen sind, sondern gleich ein ganzes Labyrinth davon.

Eine dieser Straßen befindet sich im WK VIII, im Wohnkomplex römisch acht – die Schöpsdorfer Straße. Wenn man so will, ist sie ein Wohnkomplex im Wohnkomplex. Die sieben zu einem geschlossenen System verbunden Einzel-Trassen stellen ein Ensemble dar, das als ein Mini-Quartier gelten darf. Zwar fehlt der in Hoyerswerdaer Wohnkomplexen übliche „Nahversorger“, aber das ist kein Manko, denn unmittelbar südwestlich liegt das Treff-8-Center mit allem, was an Einkaufsmöglichkeiten und Gastronomie für einen Nahversorger erforderlich ist.

Einst hieß sie „S(iegfried)-Widera-Straße“. Ihr Namensgeber war, wie auch die der anderen Straßen des WK VIII, ein DDR-Grenzsoldat, der an der innerdeutschen Linie starb; „ermordet“, hieß es seinerzeit.

Heute sind diese Mauer-Toten offiziell ausgeblendet. Um eine zynische Erklärung der Auslöschung oder doch zumindest Umdeutung dieses Historien-Kapitels zu versuchen, wie es aktuelle Geschichtsschreiber mit dem gültigen, überlegenen und ewig Bestand haben werdenden Wissen des Jetzt (von nach 1990) unumstößlich tun: Wer sich freiwillig auf der doch offenkundig ins Auge springend falschen Seite an die Grenze meldete wie Widera (* 12. Februar 1941 -keine Angabe-/ † 8. September 1963 -Berlin-), noch dazu als Längerdienender (Widera war Unteroffizier), dem musste doch, ungeachtet des gültigen, überlegenen und ewig Bestand haben werdenden Wissens des Jetzt von 1963 klar sein, dass er sich mutwillig, grob fahrlässig in Lebensgefahr begab – und sich dem Regime als potenzieller Mörder andiente! Weil er, dem (Schieß)befehl gehorchend, um mit Waffengewalt einen Grenzdurchbruch zu verhindern, zielen würde auf Menschen, die doch nur Freiheit in Wohlstand wollten. Die ihrerseits ja nicht ahnen konnten, dass die Grenzer so gewissenlos waren, das zu tun, worauf sie den Kommandanten des Gefängnisses DDR den Eid geleistet hatten.

Nun, die Erinnerung an Widera ist genau so getilgt wie die an seine unglücklichen Leidensgenossen: Im Mai 1990 wurden ihre Namen entfernt und durch die Namen von Dörfern ersetzt, die dem von der DDR, wie man heute weiß, freventlich betriebenen Bergbau zum Opfer gefallen waren. So wurde unsere Straße: Schöpsdorfer.

Schöps ist ein früherer Name für Hammel, und so verwundert es nicht, dass lange Jahre die Schafzucht blühte in dem Dorf, das sich einige Kilometer nördlich von Uhyst an der Spree befand. Schöpsdorf, 1418 erstmals urkundlich als Schebsdorf erwähnt, war nie groß oder reich. Nicht zu Zeiten, als der Ort denen von Nostiz gehörte; nicht, als der Braunkohlentagebau seine Fühler auszustrecken begann und erste Landverkäufe erfolgten (um 1933); nicht zu DDR-Zeiten während des kurzen Bestehens der LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) „Thomas Müntzer“.

1658 wurden in Schöpsdorf sieben Bauern (Frauen, Kinder und Gesinde nicht gerechnet) gezählt, sodass man in summa von etwa 100 Bewohnern ausgehen kann. Auch um 1925 waren es etwa 100 Einwohner. Als im Juli 1981 aufgrund eines 1976 gefassten Beschlusses Schöpsdorf dem erweitert werdenden Tagebau Bärwalde wich, zählte der Ort noch 18 Familien.

Insofern ist die Schöpsdorfer Straße heute weit größer als der namensgebende Ort. Allein der Block 31-35, den das Foto andeutungsweise frontal zeigt, dürfte die vielfache Anzahl von Familien des einstigen Schöpsdorf beherbergen. Ob ehemalige Schöpsdorfer zu den Bewohnern hier zählen, entzieht sich der Kenntnis des Verfassers. Schöpse aber gibt es dort: gar keine.