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Von Windeln und Wundern

Zwischen bürokratischen Nöten und dankbaren Eltern: unterwegs mit einer Hebamme in Dresden.

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© Christian Juppe

Von Henry Berndt

Es kommt, wie es immer kommt. Eben hat Almut Biere alles fertig geputzt, verpackt und den Strampler angezogen, da knattert es unmissverständlich in Theos Windel. „Theo, wir waren gerade fertig! Eh! Du wolltest es so!“ Und das ganze Spiel noch mal von vorn.

Es ist kurz nach 9 Uhr am Freitagmorgen, und die Hebamme Almut Biere ist auf ihrem ersten Hausbesuch des Tages in Löbtau. Der kleine Theo ist gerade elf Tage alt und hat die doppelte Wickelei komplett verschlafen. Es ist das erste Kind für Mama Linda und Papa Martin. Ein äußerst pflegeleichtes Modell – und trotzdem schwirrten den jungen Eltern anfangs Tausende Fragen durch den Kopf. Wie gut, dass es die Almut gibt. Freunde hatten ihnen die 45-Jährige empfohlen, die freiberuflich für die Hebammenpraxis Dresden-Plauen im Einsatz ist. Selten im Leben ist es wichtiger, dass für die Zusammenarbeit auch die Chemie stimmt. „Das ist so eine intime Zeit, in der sich so viel verändert“, sagt Almut Biere. „Da muss ganz viel Vertrauen da sein.“ Zumal Dammpflege und Hämorrhoiden auch nicht gerade zu den beliebtesten Plauderthemen gehören.

Anfangs schaute sie jeden Tag vorbei. Mit der Zeit werden die Abstände größer. Heute ist ihr vierter Besuch. Während sich Almut Biere die Hände desinfiziert, erkundigt sie sich, wie die vergangene Nacht denn so lief. Theo hat sich nur zweimal gemeldet, erfährt sie. „Prima“, findet das die Hebamme. So kann es weitergehen. „Kann Theo pullern und kackern?“ Kann er. „Spuckt er viel?“ Zum Glück nicht. Der Nabel ist noch dran. Das darf er. „Und der darf ein bisschen müffeln.“

Jetzt will sie die Gebärmutter prüfen und zeigt Linda bei der Gelegenheit gleich noch auf dem Sofa, wie sie den Beckenboden trainieren kann. „Beine anstellen, Kiste hoch, Kiste runter. Und beim Aufstehen die Oma-Variante.“

So langsam wird Theo munter. Höchste Zeit zum Wiegen! Almut Biere hat dafür eine Art Kofferwaage und eine bunte kleine Hängematte dabei. Noch werden Gewichts-Wetten angenommen. Die drei Kilo dürfte Theo noch nicht erreicht haben, sind sich alle einig. Aber Pustekuchen. „Nein, er hat sie!“, entfährt es der Hebamme. „Super, Wahnsinn. Schön habt ihr das gemacht.“ 400 Gramm in einer Woche.

Es zeigt sich, was neben Rat und Tat ihre wichtigste Aufgabe ist: für gute Stimmung im Wochenbett zu sorgen. Schön, super, prima. Egal, ob ihre Mütter gerade unter Milchstau leiden oder die ganze Nacht lang von ihrem Nachwuchs angebrüllt wurden. Almut Biere hat die Gabe, den Eltern das Gefühl zu vermitteln, sie seien fehlerlos, und ihr Baby sei das hübscheste und überhaupt großartigste auf der Welt. „Die Eltern machen es immer richtig“, sagt die Hebamme weise. „Und wenn sie es nicht richtig machen, dann machen sie es trotzdem richtig.“

Nach einer halben Stunde packt Almut Biere ihre Sachen zusammen. Bei der Krankenkasse kann sie nur 20 Minuten abrechnen, aber auf die Uhr schauen will sie nicht. Auch nach den Dutzenden Telefonaten täglich, dem Schreibkram zu Hause und dem Vorbereiten ihrer Geburtsvorbereitungs- und Rückbildungskurse fragt sie niemand. Im Jahr 2018 in Deutschland Hebamme sein – das muss man schon sehr wollen. Wer, anders als sie, auch noch Hausgeburten anbieten will, für den wird es richtig teuer. Seit 2017 sind dafür allein 7 600 Euro im Jahr für die Haftpflichtversicherung fällig. „Dafür musst du entweder einen reichen Ehemann haben oder den Job als Hobby betreiben“, sagt Almut Biere, während sie mit ihrem kleinen Skoda zum nächsten Termin braust. Aufzugeben, wie viele andere, ist für sie keine Option. „Es macht einfach einen Heidenspaß und ich erlebe jeden Tag so viel Liebe.“ Schon als Kind in Köln habe sie mit ihren Puppen Hebamme gespielt. Später lernte sie zunächst Arzthelferin und durfte dann nach einiger Wartezeit ihre heiß ersehnte Ausbildung zur Hebamme angehen. Nach einigen Jahren als Angestellte in Krankenhäusern zog Almut Biere 2009 mit ihrem eigenen frisch geborenen Kind nach Dresden. Schichtarbeit war von nun an undenkbar für sie. Deswegen heuerte sie in der Hebammenpraxis an. Und hier will sie auch noch lange bleiben. „Wenn ich meinen Rentenbescheid sehe, muss ich bis zum Tod arbeiten“, sagt sie und lacht. Immerhin kann sie sich jetzt ihre Zeit selbst einteilen – mal abgesehen davon, dass sie nie mal spontan wegfahren oder feiern gehen kann, weil jederzeit einer ihrer Schützlinge in einer Notlage anrufen könnte. Nur nachts hat sie ihr Handy stumm.

Dieser Freitag ist ungewöhnlich ruhig. Nur drei Hausbesuche stehen auf dem Plan. Im Schnitt sind es sechs. Langfristig geplant werden kann so etwas nicht, denn nur die wenigsten Babys halten sich an die abgesprochenen Termine. Almut Biere dagegen schon. Jetzt ist sie in Plauen zu Gast. Hier hatte die Mama einen etwas schwereren Start. Die Milch wollte noch nicht so recht fließen. „Gut siehst du aus“, sagt Almut Biere zur Begrüßung. „Das sagst du schon die ganze Schwangerschaft durch“, entgegnet Claudia. Die beiden schwatzen über die jüngsten Stillversuche und die schwindende Geduld. Von nachts 2 Uhr bis 5 Uhr gibt das Baby gerade nur auf Mamas Bauch Ruhe. Das würde man dem Kleinen gar nicht zutrauen, so friedlich, wie er jetzt im Tragetuch schlummert. Dabei knarrt er wie eine alte Tür. „Muss wohl mal geölt werden, das Kind“, sagt Almut Biere und beruhigt: „Die können auch mal Röcheln wie ne kaputte Kaffeemaschine.“

Nach einem weiteren Termin am frühen Nachmittag ist die Runde für Almut Biere beendet. Jetzt geht ihre Arbeit am Schreibtisch weiter. Die lästige Bürokratie. Aber was tut man nicht alles, um am Montag wieder volle Windeln und dankbare Eltern erleben zu dürfen?