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Vorsichtige Bewegung im Minenfeld

Haben Sachsens Polizisten ein Haltungsproblem oder sind sie zu Unrecht die Prügelknaben? Zeit für ein klärendes Gespräch.

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© Christian Juppe

Von Tobias Wolf

Es gibt Themen, die sind etwas heikel. Die Polizei ist so eines. Entweder wird sie lauthals gelobt oder massiv kritisiert. Wenn Demonstranten die Versammlungsfreiheit in Gefahr sehen oder einzelne Polizisten ihre Kompetenzen überschreiten.

Freund und Helfer oder Prügelknabe. Ein Thema, das am Sonntag 500 Dresdner trotz des Tatorts im TV zur Veranstaltung „Tacheles“ des Vereins Atticus ins Hygiene-Museum lockte. Schon die Zusammensetzung des Podiums ist für sächsische Verhältnisse einigermaßen ungewöhnlich. Auf der einen Seite die Polizeipräsidenten Horst Kretzschmar (Dresden) und Torsten Schultze (Görlitz) sowie Polizeiprofessor Dieter Müller. Auf der anderen Vize-Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) und der Oppositionsführer im Landtag Rico Gebhardt (Linke). Da ist Streit programmiert.

Kann die Polizei angesichts rigider Sparzwänge ihre Aufgaben erfüllen und haben sächsische Beamte ein Haltungsproblem gegenüber der Demokratie? Statt Streit gibt es offene Worte. Als Erstes räumt Martin Dulig ein, dass die Personalpolitik der Staatsregierung, an der auch die SPD beteiligt war, ein großer Fehler war. Man sei einer Sichtweise gefolgt, wonach „weniger Staat gut ist“, sagt er und spricht über politische Glaubenssätze wie „In Beton investieren ist gutes Geld“, in Menschen dagegen, heiße zu konsumieren.

Die demografische Entwicklung mit einer kleiner werdenden Bevölkerung sei unter dem damaligen CDU-Ministerpräsidenten Georg Milbradt der Maßstab gewesen. Köpfe verrechnen, anstatt nach Aufgaben zu gucken. Dabei ist die Polizei mit immer mehr Dingen zusätzlich konfrontiert. Ständig Demonstrationen absichern, Internetkriminalität und Terrorismus bekämpfen.

Seit 2001 ist die Zahl der Polizisten von 15 300 auf 12 900 gesunken, sagt Gebhardt. Dulig sagt, dass ja wieder mehr Polizisten eingestellt würden und dass es eine Wertschätzung für den öffentlichen Dienst geben muss. Polizeiprofessor Müller, der als Mann bekannt ist, der sich nicht einmal vom Innenminister den Mund verbieten lässt, kontert listig. Die neu eingestellten besetzten ja gerade mal die Stellen, die zuvor eingespart worden sind. Von mehr Personal könne also noch nicht die Rede sein.

Der Görlitzer Polizeichef Schultze freut sich trotzdem auf mehr Streifenpolizisten im Grenzbereich. Und dann kommt, weshalb alle im Saal den Dresden-Tatort im TV sausen lassen. Demos, bei denen die Polizei Gegendemonstranten benachteiligen würde, Polizisten, die für Pegida und andere rechte Gruppen Sympathie haben sollen.

Dresdens Polizeichef Kretzschmar sagt: „Wir sind ein Spiegelbild der Gesellschaft.“ Aber nicht auf dem rechten Auge blind. Polizisten sind Menschen, auch in Uniform. Er habe wegen Pegida schon klärende Gespräche geführt. Der Kollege ergänzt: „Die Polizei handelt nach Recht und Gesetz.“ Der Professor nennt die Frage „vermintes Gelände“. Gelächter. Kein angenehmes Thema. Dulig greift den Ball auf: „Jetzt sind wir im Minenfeld.“ Moderator Eric Hattke kontert: „Die Veranstaltung heißt ja auch Tacheles.“ Wieder Gelächter.

Es geht um das Mantra der Vergangenheit, wonach Sachsen immun gegen Rechtsextremismus und der Linksextremismus genauso schlimm sei. Der Verfassungsschutz listete für 2016 rund 600 linksextreme, aber 2 400 rechtsextreme Straftaten. „Die Zahlen sprechen für sich“, sagt Kretzschmar. „Aber die Bekämpfung gesellschaftlicher Fragen kann nicht Aufgabe der Polizei sein. Wir sind für die Folgen zuständig.“ Fast schon ein vorweg genommenes Schlusswort.

Später sagt Dresdens oberster Polizist noch, solche öffentlichen Runden müsse es öfter geben, auch wegen der Gesprächskultur. Denn Kretzschmar kennt auch die andere Seite mit den Pöblern, die nicht reden, sondern nur schreien wollen.