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Wäre von der Leyen eine gute Russin?

Der Konsens zwischen Russland und Deutschland ist aktuell weg. Auch zwischen den Menschen? Ein internationaler Abend mit Debatten testete das in Dresden.

Von Franziska Klemenz
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Die Demoslamer und Moderator Moritz Gathmann.
Die Demoslamer und Moderator Moritz Gathmann. © Thomas Schumann

Willkommen in der Welt, Baby. Du bist jetzt Russe, Glückwunsch. Du bist Patriot. Mit dieser Botschaft begrüßt Aleksandr Valkov die Plastik-Puppe auf seinem Arm. Der 20-jährige Russe studiert Germanistik im fast 8 000 Kilometer entfernten Chabarowsk. Die Puppe fliegt über die Bühne. In die Arme von Felix Blatt. „So, liebes Baby. Jetzt bist du in Deutschland geboren. Aber was heißt das?“, fragt der Politik-Student, der früher mal der Bundeswehr diente. Seit einem halben Jahr lebt er in Moskau. Es heiße Glück, das sei reiner Zufall, meint Felix. Und fragt sein Kind: „Warum solltest du stolz sein?“

Aleksandr und Felix sind an diesem Abend eine Mischung aus Partnern und Widersprechern. Ein Russe, ein Deutscher. Ihr Thema: Patriotismus. Seit drei Tagen lernen sie und zwei andere Paare einander kennen, suchen Gemeinsamkeiten und Gegensätze. „Demoslam“ nennt sich der Debattenabend in der Dresdner Motorenhalle, der russische Deutschlandfreunde und deutsche Natoverächter, Gürtellinien-Unterschreiter und Demokratieverteidiger im Publikum versammelt.

Für Evgeniia Korsukowa aus Lipezk ist die Frau „im Inneren eine zarte Blume“. Dafür gemacht, Schönes zu schaffen. Eine Frau als Bergarbeiterin oder gar Verteidigungsministerin? Undenkbar. Ursula von der Leyen und andere Verteidigungsministerinnen erscheinen auf der Leinwand. Für Evgeniia ein seltsames Bild. Toleranz ist das Thema von ihr und Johannes Kunze, der zum Kultusaustausch nach Moskau kam. Der Wirtschaftsstudent stilisiert seinen Wohnort Köln als Hort der Toleranz.

In Moskau auf einer Schwulenparty zu landen, war für ihn überraschend, sagt er. „Wenn einer von denen rüberkommt, hau ich ihm auf die Fresse“, sagten seine Gastgeber. Evgeniia sei „egal, was du bist“. Aber Gefühle öffentlich zeigen? „Kann ich nicht verstehen.“ Es ist ein Ping-Pong der Haltungen. Evgeniia, für die Familie ein Muss ist. Johannes, der darin nur eins von vielen Modellen sieht – und Siebenfach-Mutter von der Leyen als Beweis dafür, dass Familie und Job vereinbar sind.

Ein 29-Jähriger aus dem Publikum findet die Darstellung des Kölners „naiv“. Außerdem habe er selten tolerantere Menschen erlebt als auf der Krim. Auf Russisch, sagt eine Frau mit russisch-deutscher Familie, gebe es ein Wort für Homosexualität, das sich mit „aushalten“ übersetzen ließe: terpet. „Kann ich aushalten, dass jemand völlig anders ist als ich?“, fragt sie. Das könne vor allem, wer mit sich im Einklang sei.

„Deutschland über alles“?

Alexandra Konkina aus Moskau hat keine Angst, ihre Meinung frei zu äußern, sagt sie. In den Titeln ihrer aktuellsten Artikel zitiert die Redakteurin der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik Menschen aus Politik, Wirtschaft, Kultur, oft Deutsche oder Österreicher. Etwa mit „Man muss Russland lieben“ oder „Die Deutschen sind den Russen ähnlich“. Eine Weile hätten sie und Partnerin Johanna Verhoeven gebraucht, um sich über ihr Thema Meinungsfreiheit uneinig zu sein. Dann fragten sie sich: Ist Meinungsfreiheit in Russland möglich? Und in Deutschland? Johanna: „Nein, ja.“ Alexandra: „Ja, nein.“ Auch deutschen Journalismus kritisiert Johanna, die selbst Journalistin werden will. Ihr Gefühl: Journalisten hätten ihren Standpunkt zu häufig vor der Recherche. Sie wolle alles anders machen. Was sie Putin fragen würden? „Wir schaffen Sie das alles?“, wäre Alexandras Favorit. Johannas: „Können Sie in den Spiegel blicken?“ Im jeweils anderen Land mussten die Frauen sich selbst viel fragen lassen. Im Bundestag, wo Alexandra ein Praktikum machte, wollte jeder wissen, was sie von der Krim halte. In Moskauer Taxis, klagt Johanna, habe sie jeder auf den Weltuntergang angesprochen, den Merkel mit den Flüchtlingen für Deutschland angezettelt habe.

Was bleibt von diesem Abend, den es mit anderen Slammern auch in Jekaterinburg schon gab? Bringt er Kulturen näher? Ein älterer Herr mit russischem Akzent fragt die Männer mit dem Thema Patriotismus, warum die Deutschen nicht die erste Strophe ihrer Hymne sängen. Felix blickt zu Alexandr. Der hatte ihn das in den gemeinsamen Tagen auch schon gefragt. Alexandr kennt die Antwort jetzt: „Da hätten einige Nachbarländer ein Problem, wegen der Flüsse.“ Mit der besungenen Memel als deutsche Grenze zum Beispiel; die fließt schließlich auch durch russisches Gebiet.