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Waffenruhe an der Neiße

Geschichte: Vor hundert Jahren kamen 7 000 griechische Soldaten nach Görlitz. Bald schon bestimmten sie das Stadtbild mit.

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© Repros: Ratsarchiv / Sammlung Schermann

Von Ines Eifler

Diese Lage mitten im Ersten Weltkrieg war verwirrend: Das IV. griechische Armeekorps unter Oberst Chatzopoulus befand sich 1916 im Nordosten seines Landes nahe Bulgarien. Der griechische König, verschwägert mit dem Deutschen Kaiser und im Ersten Weltkrieg neutral, musste abdanken. Eine republikanische Regierung übernahm die Macht. Als diese Deutschland und Bulgarien den Krieg erklärte, wurde das königstreue Korps eingekesselt.

© Repros: Ratsarchiv / Sammlung Schermann

Oberst Chatzopoulus wandte sich an den deutschen General Paul von Hindenburg und bat ihn um Aufnahme der Männer im Deutschen Reich, mit allen Waffen. Die meisten seiner Leute ließen sich freiwillig von den Deutschen internieren. Denn sie fürchteten die bulgarische Gefangenschaft, und Hindenburg versprach, sie würden im Deutschen Reich als Gäste behandelt – in Görlitz. Und so erreichten am 28. September 1916 knapp 7 000 Griechen mit zehn Zügen Görlitz. Oberbürgermeister Georg Snay empfing sie: „Nehmen Sie freundlichst vorlieb mit dem, was wir Ihnen bieten können.“

Das war für die Mannschaften das ehemalige Gefangenenlager im Stadtteil Moys am heute polnischen Ufer der Neiße, dessen Baracken für die Ankunft der Griechen umgebaut worden waren (Offiziere bekamen Privatquartiere). Da das Lager für knapp 12 000 Leute ausgelegt war, hatten sie mehr Platz, als der Bau vorsah. Die Baracken wurden besonders stark beheizt, weil die Griechen das mitteleuropäische Klima nicht gewohnt waren. Eine davon wurde in eine Kirche verwandelt, damit die Griechisch-orthodoxen eigene Gottesdienste feiern konnten. Die Griechen bekamen sogar wesentlich mehr Kohlen geliefert, als für deutsche Soldaten zur Verfügung standen. Und auch verpflegt wurden sie überdurchschnittlich gut. So versuchte die deutsche Verwaltung, ihnen Speisen zu besorgen, die sie von zu Hause kannten. Sogar eine eigene griechische Zeitung erschien. Und die Görlitzer waren den Gästen wohlgesonnen, weil sie den deutschen Truppen nicht feindlich begegnet waren. Und da sie vom Kaiser versorgt wurden, fielen sie der Stadtkasse auch nicht zur Last.

Je länger die Griechen in Görlitz waren, desto problematischer wurde, dass sie nicht arbeiten durften. Obwohl sie es wollten. „Aus politischen Gründen von der Arbeit befreit“, teilte die Korpsleitung damals mit. Manche Offiziere und Soldaten wollten gern ins deutsche Heer eintreten, doch auch das war nicht erlaubt. Da die Männer ohne Beschäftigung waren, begann sich die Disziplin zu lockern, die Leute waren unzufrieden. Und auch die deutsche Verwaltung fand es immer wichtiger, dass die Männer etwas zu tun hätten. So gab Mitte 1917 die Korpsleitung zumindest die Genehmigung zur Teilnahme an Sprachkursen. 700 Männer nutzten das. Und als immer mehr den Wunsch nach Arbeit äußerten, wurde das für Soldaten, die etwas tun wollten, endlich auch möglich. Fast 6 000 von ihnen konnten so in Görlitzer Betrieben Geld wie Deutsche verdienen, einen Beruf erlernen oder den ihren weiter ausüben. Sie arbeiteten nicht mit Kriegsgefangenen zusammen, sondern blieben unter dem Kommando der Korpsleitung. Sie konnten Krankenkassen, Berufsgenossenschaften und soziale Einrichtungen nutzen wie Deutsche.

Den Abschied der Griechen läutete die Novemberrevolution am 9. November des Jahres 1918 ein. Die damals neu gewählten Arbeiter- und Soldatenräte forderten die Rückkehr der Griechen, die der Kaiser geschützt hatte. Deshalb flohen viele von ihnen am Ende des Ersten Weltkriegs panisch in Richtung Süden, ab Februar 1919 wurden geordnete Rücktransporte nach Griechenland organisiert. Rund 200 der Männer blieben jedoch in Görlitz. Sie arbeiteten als Zahnärzte, Ärzte, Schuhmacher, Friseure, Landwirte. Bekannt wurden im Alltag Namen wie Apostolidis, Basiotis, Halaris. Sie heirateten hier, gründeten Familien, bekamen Kinder. Auf dem Städtischen Friedhof wird den in Görlitz damals gestorbenen Griechen mit zwei Schriftplatten und mehreren Grabsteinen gedacht.