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Waldorfkindergarten vertuscht Probleme

Gab es 2011 unpädagogische Betreuung? Erzieher wiegeln ab. Schade, denn die Einrichtung hat längst wieder gute Noten.

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Von Ralph Schermann

Es ist ein Kreuz mit Reportern. „Sie sind mit den Grundzügen eines Elterninitiativ-Kindergartens nicht vertraut“, rügt Almut Urban. Sie gehört zum Vorstand des Vereins Waldorfpädagogik Görlitz und hat recht. Reporter sind mit vielem nicht vertraut. Dennoch haben sie über alles zu berichten. Wo Fragen auftauchen, suchen sie das kompetente Gespräch. Almut Urban und die Görlitzer Waldorfpädagogen aber waren dazu nicht bereit: „Zu Vorwürfen anonymer Absender geben wir keine Stellungnahme ab.“

Die Vorwürfe sind mittlerweile ein Jahr alt. Berichtet wurden sie alles andere als anonym. Auch wenn wir die Namen der Eltern an dieser Stelle nicht publizieren, haben sie welche. Und sie berichten über Vorfälle, die unbedingt einer Stellungnahme bedürfen. Seit dem Frühjahr recherchiert die SZ dazu, und zumindest ein Fall ist noch heute nicht völlig abgeklärt:

Ein Kind wurde mit einem anderen unbeaufsichtigt in einen Raum eingeschlossen. Zwei Kinder im Waldorfkindergarten, die sich nicht mögen. „Vor diesem Jungen hat mein Sohn immer Angst“, sagt die Mutter und ist überzeugt, dass diese Tatsache über der Regel steht, dass Waldorfpädagogik auch die Klärung von Konflikten durch Kinder untereinander befördern soll. Eine knappe Entschuldigung am Telefon reichte der Mutter nicht aus, bis in den Frühsommer dieses Jahres zogen sich Aussprachen. „Zu Konsequenzen im Kindergarten führte das nicht“, sagten andere Eltern. Die Mutter selbst weiß das nicht, denn sie schrieb dem Kindergarten noch 2011: „Aufgrund der Vorkommnisse meinen Sohn betreffend melde ich ihn aus dem Waldorfkindergarten ab. Des Weiteren werde ich meine Tochter nicht bei Ihnen anmelden.“ Nach der Gesprächsablehnung fragten wir im Waldorfkindergarten schriftlich an, ob Kinder dort so eingesperrt wurden. „Nein“, unterschrieb Almut Urban die knappe Antwort. Das ist gewagt. Denn Marita Wollstadt, Fachberaterin Kindertageseinrichtungen im Jugendamt des Görlitzer Landratsamtes, bestätigt Gespräche genau zu diesem Thema auch im Beisein von Almut Urban. Den Eltern wird vom Jugendamt sogar schriftlich die betreffende Erzieherin Marianne S. benannt und „Frau Urban als mit anwesende Erzieherin zum Zeitpunkt des Vorfalls“ angeführt. Wörtlich heißt es: „Die Situation ist als nicht angemessene pädagogische Maßnahme von Frau S. gegenüber den Kindern zu bewerten. Ein eigenständiges Lösen von Konflikten unter Kindern bedarf eines pädagogischen Beobachtens. Eine mögliche disziplinarische Ahndung obliegt dem Träger.“ Allerdings war diese Erkenntnis dem Görlitzer Jugendamt nicht so wichtig, dass sie „eine Mitteilungspflicht an das Landesjugendamt zur Folge gehabt hätte.“ Dieses in Chemnitz ansässige Amt ist nämlich die zuständige Aufsichtsbehörde und hat, so Pressesprecherin Andrea Valendiek, für erhobene Vorwürfe bisher keine Bestätigung gefunden.

„Nein“ formulierte Almut Urban auch auf die Frage, ob im Waldorfkindergarten Biesnitz Kinder mal etwas kräftiger geschüttelt, einmal auch vom Mittagessen ausgeschlossen wurden. Das Schütteln an den Schultern beobachtete Nachbar K., auch Vater S. berichtete darüber. Das „Nein“ aus dem Kindergarten dazu verwundert. Denn Almut Urban bestätigt mit einem „Ja“, dass es im Juli 2011 eine Elternversammlung gab, bei der den Erziehern zwei Seiten „Vorschläge und Forderungen“ übergeben wurden. Darin wurde nicht nur gefordert, dass „Frau S. pädagogische Methoden überdenkt“, sondern dass „Essensentzug als Strafe“ sowie „körperliche Gewalt gegenüber Schutzbefohlenen aus Eltern- und Kindersicht inakzeptabel“ sind. Zudem brauchen Kinder verlässlich vertraute Bezugspersonen, hieß es in dem Forderungskatalog.

Eltern sollen sich einbringen

Die Nachfrage, ob Nicht-Erzieher Dienste übernehmen, brachte wieder ein „Nein“ vom Vorstand. Ein der Redaktion vorliegender Dienstplanauszug weist dagegen durchaus Zeiten aus, in denen lediglich Eltern und der Hausmeister als Vertretungen eingesetzt waren. Das Landesjugendamt stößt sich daran nicht: „Es handelt sich um eine Einrichtung mit besonderem pädagogischen Konzept, in der eine starke Einbindung der Eltern ausdrücklich erwünscht ist.“ Dagegen ist nichts zu sagen, eine alleinige Aufsichtsführung durch Eltern aber scheint fragwürdig. Denn wer haftet dann bei Vorkommnissen? Und ob es die Aufgabe des Hausmeisters ist, in pädagogischer Funktion eingesetzt zu werden, fragt bereits kritisch ein Protokoll von 2010, notiert von Carmen Kollmer, Fachberaterin der Vereinigung Waldorf-Kindergärten, Region Mitte-Ost.

Der Leiter dieser Vereinigung, Michael Flad, wurde ebenfalls durch Eltern von den Vorfällen informiert. Seine Antwort von September 2011: „Ich denke, dass aufgrund des Vorfalls im Kindergarten einige Dinge in Bewegung gekommen sind. Sicher gibt es noch eine Menge zu tun.“ Das gab es wohl. Zunächst wurde trotz Personalproblemen der gut ausgebildeten Erzieherin U. gekündigt. „Ich war ihnen zu kritisch“, sagt sie. Der Vorstand sagt dazu nichts. Eine Mutter, die daraufhin ihr Kind abmeldete, erzählt: „Die Kündigung der Erzieherin hatte daran Anteil. Sie war sehr beliebt bei den Kindern.“

Mittlerweile sind neue Erzieherinnen eingestellt, der Hausmeister unverändert tätig, die Fehler von Frau S. ungesühnt vergessen. „Die Einrichtung entwickelt sich gut“, betont Michael Flad, sie sei nach ihrer Betriebserlaubnis mit 24 Kindern ausgelastet und erhielt jüngst erst eine Auszeichnung beim 3.sächsischen Kindergartenwettbewerb. Auch einige Eltern äußern sich verhalten, dass sich die Qualität im Waldorfkindergarten verbessert hat. Umso unverständlicher ist es dann, einstige Probleme unter den Teppich kehren zu wollen. Aber das liegt vermutlich nur an der Unkenntnis der Reporter.