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Warum Frauen IT-Berufe scheuen

Die Machokultur des Silicon Valley gibt es im Silicon Saxony nicht. Für die geringe Zahl von Frauen gibt es andere Gründe.

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© Robert Michael

Von Nora Miethke

Am Donnerstag trifft sich die mitteldeutsche IT-Szene in Leipzig auf der großen „Multikonferenz Digital Innovation“. Frauen sucht man auf der Rednerliste nicht vergeblich. Aber die Zahl der Referentinnen lässt sich an einer Hand abzählen. Die Technologiebranche hat ein Problem mit Frauen – nicht nur im kalifornischen Silicon Valley, auch im Silicon Saxony.

Zahlen des Deutschen Start-up-Monitor besagen, dass im vergangenen Jahr nur 14 Prozent junger Tech-Firmen von Frauen gegründet wurden. Laut dem Branchenverband Bitkom kommt bei den Beschäftigten in Start-ups auf drei Männer gerade mal eine Frau. Wie es um die Geschlechterverteilung in sächsischen Start-ups bestellt ist, darüber gibt es keine genauen Zahlen. Bei den in 2016 von „dresden exists“ begleiteten Gründungen lag der Anteil von Frauen in den Gründungsteams bei 22 Prozent.

„Der Anteil ist in den letzten Jahren relativ konstant geblieben. Er schwankt zwischen 18 und 24 Prozent“, sagt Frank Pankotsch vom Start-up Service der Technischen Universität Dresden. Das Statistische Landesamt registrierte zum Stichtag 30. Juni 2016 in Sachsen insgesamt 23 160 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Informations- und Kommunikationstechnologieberufen. Davon waren 3 792 Frauen – eine Quote von gerade einmal 16 Prozent.

Der amerikanische Google-Mitarbeiter James Damore verstieg sich bei seiner Suche nach den Gründen für die mangelnde Präsenz von Frauen in der IT-Branche in stereotypisches Denken. Die Ursache sei „biologisch bedingt“, nicht nur „sozial konstruiert“, schreibt der 28-jährige Softwareentwickler in seinem Pamphlet, das international für Furore sorgte. Während Frauen Konsens suchten, interessierten sich Männer für systematisches Denken. Männer würden härtere Arbeitszeiten akzeptieren, Frauen seien da weniger stressresistent. Männer interessierten sich mehr für Computer und Software, Frauen mehr für Menschen. Das zehnseitige „Manifest“, wie Damore sein Schreiben selbst nennt, kostete ihn den Job bei Google.

Junge Mütter ziehen voll mit

Dabei machte der junge Amerikaner durchaus richtige Beobachtungen, doch er zog daraus die falschen Schlüsse. Weil Frauen sich mehr für Menschen als für Computer interessieren, sind sie oft empathischer und wirken in Teams integrierend bei zwischenmenschlichen Problemen, hat Grit Jäckel, Projektfeldmanagerin bei T-Systems Multimedia Solutions (MMS) festgestellt. Deshalb würden Teams ohne Frauen im Unternehmen sich wünschen, die Frauenquote zu erhöhen. Jäckel stellt bei der Dresdner Telekom-Tochter Entwicklerteams zusammen, ist für die thematische Ausrichtung und die Akquise neuer Aufträge verantwortlich. Gerade arbeitet ihr Team an einer Software, mit der ein schlüsselloses Öffnen von Türen möglich ist. In der 15-köpfigen Gruppe sind zwei Softwareentwicklerinnen. Unterschiede bei der fachlichen Kompetenz oder im systemischen Denken sieht Jäckel keine zwischen den Geschlechtern. Auch würden Mütter mit kleinen Kindern voll mitziehen. Das Homeoffice werde gern genutzt, weil sich so die Kinderbetreuung besser bewerkstelligen lasse. „Doch in stressigen Projektphasen ist die Motivation so hoch, dass alle an einem Strang ziehen“, sagt Jäckel. Wenn nötig, ist sie auch abends erreichbar, meint die Mutter von zwei Söhnen im Alter von 5 und 14 Jahren. Bei T-Systems MMS sind rund ein Drittel der 1 800 Beschäftigten Frauen. Jeder zehnte Programmierer oder Softwarearchitekt ist weiblich.

Janina Peissig, freiberufliche UX Designerin in Radebeul, sieht die stärkere Empathiefähigkeit von Frauen auch im Umgang mit Kunden von Vorteil. „Ich muss mich in den Endnutzer, der die App oder das Smartphone bedienen soll, hineinversetzen können“, sagt sie. Das gelinge Frauen häufig besser als männlichen Entwicklern, die „tief in ihrem Entwicklungscode steckten und nicht die besten Kommunikatoren sind“, so Peissig. Die zweifache Mutter hat mehrere Jahre lang in Berlin bei Nokia und Here Konzepte für Navigationssoftware für Mobiltelefone entwickelt. Dabei habe sie die Zusammenarbeit mit ihren männlichen Kollegen immer auf Augenhöhe erlebt. Ein Denken wie das von Google-Entwickler Damore sei ihr nicht begegnet. Allerdings hat sie den Eindruck gewonnen, „dass Frauen noch mehr Arbeitspensum als Männer leisten müssen, um die gleiche Position zu erreichen.“

Das ist jedoch nicht der Hauptgrund für die geringe Präsenz von Frauen in der Digitalwirtschaft. Dieser liegt in der Wahl des Studienfaches. In Sachsen schließen gegenwärtig – auf 100 Absolventen bezogen – knapp 30 Frauen und 70 Männer ihre Ausbildung in einem MINT-Fach ab, also in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik. Im Wintersemester 2016/2017 lag der Anteil der Studienanfängerinnen an der TU Dresden im Fach Informatik bei 16,8 Prozent, in der Elektrotechnik bei 18,8 Prozent. „Junge Frauen nehmen heute selbstbewusster ein Studium auch in technisch dominierten Fächern auf. Alte Rollenklischees gelten immer seltener und das ist richtig so“, betont Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD). Ihr Ministerium unterstützt die Hochschulen seit 2008 bei der Werbung um Studienanfängerinnen in MINT-Fächern, zum Beispiel mit der Kampagne „Pack dein Studium“. Auch ist dieser Bereich ein Schwerpunkt bei der Förderung mit Geldern aus dem Europäischen Sozialfonds.

Ostdeutsche Bescheidenheit

Doch trotz aller Werbebemühungen wählt nur jede vierte Studentin in Sachsen ein MINT-Fach. Der Anteil stagniert seit zehn Jahren mehr oder weniger bei 25 Prozent. Um das zu ändern, müsste bei den Mädchen schon in der Schule – oder noch besser im Kindergartenalter – die Neugier auf Computer und Technik geweckt werden. Doch dafür mangelt es bislang oft an entsprechend interessierten Lehrern – und einer deutschen Karly Kloss. Das amerikanische Supermodel startete 2016 ihre Initiative „Kode with Klossy“ (Programmieren mit Klossie). In zweiwöchigen Ferienkursen will sie Schülerinnen im Alter von 13 bis 18 Jahren für Informatik begeistern.

Fehlende Programmierkenntnisse sind ein Grund, Frank Pankotsch sieht mit Blick auf die Start-up-Welt noch weitere Ursachen für die geringe Präsenz von Frauen. Einer ist der „eher männliche Hang zur Selbstvermarktung, der im Start-up-Bereich noch ausgeprägter ist“, so Pankotsch. Das schrecke potenzielle Gründerinnen ab. Da wäre es von Vorteil in Sachsen, „dass sich hier die ostdeutsche – auch männliche – Zurückhaltung mal positiv auswirkt“, sagt er. Auch sei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht einfach zu bewältigen, aber in Start-ups mit hohem Zeiteinsatz noch schwerer. Auch da habe Sachsen einen leichten Vorteil. „Zum einen wegen der deutlich besseren Kita-Infrastruktur, zum anderen, weil es historisch bedingt selbstverständlicher ist, dass man Familie und Job unter einen Hut bringt und das ganze Umfeld dabei hilft“, so Pankotsch. Den dritten Grund sieht er im traditionellen Frauenbild vieler Kapitalgeber und Kunden, „das nach wie vor von einer gewissen Skepsis gegenüber Frauen in Führungspositionen und Gründerinnen geprägt ist.“