Christoph Thanei
Bratislava. „Die Griechen sind jetzt zu Reformen gezwungen, wie wir sie durchmachen mussten.“ Diese Überschrift der Tageszeitung „Dennik N“ formuliert nicht ohne Genugtuung die Sicht vieler Slowaken. In der Slowakei als einem der ärmsten Euro-Länder war das Verständnis für die Nöte der griechischen Bevölkerung seit jeher gering.


Schließlich machte das mitteleuropäische Land mit seinen fünfeinhalb Millionen Einwohnern schon vor fünfzehn Jahren eine Radikalkur durch, die mit der heutigen Situation Griechenlands vergleichbar ist. Damals standen die größten Banken des Landes vor dem Kollaps und die Volkswirtschaft durchlitt eine tiefe Krise.
Mit enormem finanziellem Aufwand rettete die damalige Regierung die Banken und verkaufte sie zu einen Bruchteil ihrer Investitionen an ausländische Interessenten. Zugleich wurden fast alle staatlichen Großbetriebe an ausländische Investoren verkauft. Die Zeche zahlte die Bevölkerung: mit drastischen Einschnitten bei Pensionen und Sozialsystem sowie einer Arbeitslosenrate von über zwanzig Prozent.
Zwiespältige Bilanz nach harten Jahren
Die später geernteten Früchte der Entbehrungen waren Jahre des Wirtschaftsbooms in dem Niedriglohnland. Das BIP-Wachstum kletterte vorübergehend auf über zehn Prozent pro Jahr und machte die Slowakei zur am schnellsten wachsenden Volkswirtschaft der EU. Auf der anderen Seite der Bilanz zeigen eine bis heute hohe Arbeitslosigkeit von immer noch über zwölf Prozent und die drastisch gestiegene soziale Ungleichheit, dass nicht alle Slowaken profitierten.
„Warum sollen es die Griechen leichter haben als wir?“ und „Warum sollen slowakische Pensionisten für die viel reicheren Griechen zahlen?“, sind Standard-Sätze slowakischer Politiker wie des sozialdemokratischen Regierungschefs Robert Fico, seit das Land 2009 der Eurozone beitrat. Im Oktober 2011 blockierte das Parlament in Bratislava sogar vorübergehend die von den anderen Euro-Ländern bereits abgesegnete Erweiterung des Euro-Rettungsschirms EFSF.
Die Arbeiterin Lubica Lajcinova findet seit mehr als einem Jahr in ihrer nordslowakischen Heimatregion Orava keine Arbeit mehr, trotzdem zeigt die Mittvierzigerin Verständnis für die Griechen: „Die EU ist wie eine große Familie: Wenn einer in Schwierigkeiten ist, helfen ihm die anderen.“
Ähnlich äußerte sich in Bratislava der Informatik-Hochschullehrer Frank Schindler (61): „Ohne Solidarität kann die Eurozone nicht existieren. Als überzeugter Europäer bin ich froh über den Kompromiss, der jetzt gefunden wurde. Auch wenn er wohl zu hart für die Griechen und noch immer zu weich für die Deutschen ist.“
Die Büroangestellte Marianna Dunkova (37) widerspricht: „Ich als Slowakin sehe in unserem eigenen Land so viel Armut. Unsere Rentner haben 200 Euro Minimalpension, das ist viel weniger als in Griechenland. Die Kinderbeihilfe beträgt 24 Euro - wie soll eine Mutter damit auskommen? Das Geld, das wir jetzt für Griechenland in den Sand setzen, sollten wir lieber zur Unterstützung dieser Leute einsetzen.“ (dpa)