Merken

Warum starb Frank?

Am 22. Juni 1962 endete in einer Hoyerswerdaer Kita das Leben eines Kleinkindes. Seine Eltern wissen bis heute nicht, was damals geschah.

Teilen
Folgen

Von Mirko Kolodziej

Frank war ein Sonntagskind, geboren am Heiligen Abend des Jahres 1961. Ausgerechnet. Jedes Jahr zu Weihnachten stellt sich bei seinen Eltern wieder dieser Schmerz ein, denn Frank wurde nur ein halbes Jahr alt und seine Eltern wissen bis zum heutigen Tage nicht, warum. „Das ist absichtlich vertuscht worden“, vermuten die beiden Hoyerswerdaer Monika und Karl-Heinz Rowoldt, heute 72 und 82 Jahre alt. „Todesurache unbekannt“, stand im Sommer 1962 auf dem Totenschein ihres Sohnes.

Frank starb in seiner ersten Kita-Woche. Mitte Juni 1962 brachte seine Mutter ihn erstmals in die Kinderkrippe II an der Heinestraße – von 9 bis 13 Uhr zur Eingewöhnung. Als sie ihn am Freitag abholen wollte, musste sie allein wieder heimgehen. Was an diesem Vormittag passiert ist? „Man hat uns gar nichts gesagt“, erzählt Monika Rowoldt.

Sie und ihr Mann sahen Frank erst am Tag der Beerdigung wieder. Im heutigen Martin-Luther-King-Haus war das Kind aufgebahrt und man konnte deutlich eine blau angelaufene Beule an der linken Stirnseite wahrnehmen.

Ist Fank gestürzt? Hat er sich eine Gehirnerschütterung zugezogen, daraufhin erbrochen und ist erstickt? Hat er sich beim Füttern verschluckt und ist vielleicht bei Rettungsversuchen zu Boden gefallen? Es gab hinterher verschiedene Andeutungen, den Eltern immer hintenherum gesteckt. Offizielles nie. Fest steht: Polizei und Staatsanwaltschaft haben dazu nie ermittelt. Das, so sagt Frank Dietrich, Chefpathologe am Seenland-Klinikum, deutet auf einen natürlichen Tod hin. Aber was ist bei einem Baby ein natürlicher Tod? Frank ist eine Woche vor seinem Ableben von einer Ärztin auf seine Krippenfähigkeit hin untersucht und für absolut gesund befunden worden. Pathologe Frank Dietrich hat herausgefunden, dass Frank im Cottbuser Krankenhaus obduziert wurde. Schließlich gab es in der DDR eine Obduktionspflicht, wenn ein Kind starb. Es gibt im Sektionsbuch der Cottbuser Pathologie noch einen entsprechenden Eintrag dazu. Der Obduktionsbericht wurde wohl nach Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist von 20 Jahren vernichtet.

Es war nicht so, dass Monika und Karl-Heinz Rowoldt nicht versucht hätten, Klarheit zu bekommen. Sie waren damals sogar zur juristischen Sprechstunde im Gericht. Dort sagte man ihnen, sie sollten die Sache auf sich beruhen lassen. Frank werde ja doch nicht wieder lebendig. Monika Rowoldt wurde bei einem Kadergespräch auf Arbeit recht deutlich nahegelegt, besser nicht über den Tod ihres Sohnes zu sprechen. Anderenfalls, hieß es, würde die gelernte Krankenschwester nie wieder im Gesundheitswesen arbeiten können. Rowoldts versuchten also, ihren Schmerz mit sich selbst auszumachen. Schließlich bekamen sie noch zwei Kinder, der Tod von Frank rückte etwas in den Hintergrund. Doch als Sohn und Tochter endgültig ihre eigenen Wege gefunden hatten, kehrten die bohrenden Fragen im Kopf zurück.

Es ist wohl recht unwahrscheinlich, dass sich die Todesursache noch klären lassen wird. Rowoldts konnten sich auch nach dem Untergang der DDR, als es womöglich leichter möglich gewesen wäre, lange Zeit nicht aufraffen, die Angelegenheit überprüfen zu lassen. „Wir haben das versäumt, aber es war auch zu schmerzlich“, sagt Karl-Heinz Rowoldt.

Inzwischen ist wohl zu viel Zeit vergangen. Das TAGEBLATT hat im Kreis- und im Stadtarchiv nach Anhaltspunkten suchen lassen. Doch hier sind keine Akten dazu zu finden. Auch die damalige Leiterin der Kita II, die heute recht betagt in einem Altenheim lebt, konnte nichts zur Aufklärung beitragen. Die Frau sagt, sie könne sich nicht erinnern. Rowoldts haben im vorigen Jahr erstmals den Versuch gemacht, ihren Schmerz zu teilen. Zum 50. Todestag veröffentlichten sie eine Jahresgedächtnis-Anzeige. Es war die erste öffentliche Notiz zum Tod ihres Sohnes überhaupt. Unterzeichnet war die mit dem Wort „Unvergessen“.