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Warum wählen Protestwähler nicht mehr links?

Der Linken-Abgeordnete André Hahn über den Bundestag, die AfD und was er nun für den Landkreis tun will.

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© Dirk Zschiedrich

Herr Hahn, Sie sind wieder in den Bundestag eingezogen, im Landkreis hat Ihre Partei aber Stimmen verloren. Das liegt auch am Ergebnis der AfD. Wie haben Sie den Wahlabend erlebt?

Ich war entsetzt angesichts des hohen Stimmenanteils der AfD. Wegen des guten Listenplatzes musste ich selbst keine Sorge um mein Mandat haben. Aber in Bezug auf die AfD und die CDU lagen die Wahlforscher weit daneben. Noch zwei Tage vor der Wahl haben die alle Direktmandate in Sachsen bei der CDU gesehen. Das ist nun anders gekommen, auch hier bei uns.

Ist die Wahl eine Zäsur für die Region?

Ja, aber nicht nur wegen der AfD. Sondern auch, weil die CDU nach 27 Jahren keinen Bundestagsabgeordneten im Landkreis mehr hat. Das ist für die CDU sicher gewöhnungsbedürftig. Ich kann Klaus Brähmig, dessen Partei seit der Wende 20 Jahre lang im Bund regiert hat, nicht ersetzen. Was seine Politik angeht, will ich das auch gar nicht. Denn um die sozialen Probleme wie Altersarmut oder Abstiegsängste hat sich die CDU nie gekümmert. Die Linke berät in den Wahlkreisbüros seit vielen Jahren die Menschen gerade auch zu diesen Sorgen. Unser Landkreis braucht eine vernehmbare demokratische Stimme in Berlin. Da ist von der AfD nicht viel zu erwarten.

Neben Ihnen sitzen aus dem Landkreis nun Frauke Petry und Verena Hartmann im Bundestag. Wollen Sie sich künftig noch mehr für die Wirtschaft und den Tourismus einsetzen?

Ich habe mich noch nie nur als Vertreter meiner Partei oder der Linke-Wähler gesehen. Sondern immer als Vertreter aller Bürger sowie von Unternehmen, Vereinen und Verbänden aus dem Landkreis. In meine Sprechstunde kommen auch Leute, die mich nicht gewählt haben. Wenn Landrat Geisler oder Firmen meine Unterstützung wollen, werden sie die bekommen. Auch wenn der Zugang zu Fördergeldern für die Opposition etwas schwieriger ist.

Sind Sie mit dem Wahlergebnis Ihrer Partei zufrieden?

Mit unserem Abschneiden in Ostdeutschland bin ich nicht zufrieden. Wir müssen wieder deutlicher machen, dass die Linke die Partei ist, die die Interessen der Ostdeutschen am stärksten vertritt. Aber wir haben bundesweit 540 000 Stimmen mehr bekommen als vor vier Jahren. Im Westen und bei den jüngeren Wählern waren wir erfolgreich. Wir haben fünf Sitze mehr im Bundestag als 2013 und sind wieder vor den Grünen gelandet. Das ist wichtig, wenn es um Plätze in Ausschüssen geht.

Wie erklären Sie sich, dass die AfD diesmal deutlich mehr Protestwähler gewinnen konnte als die Linke?

Die AfD hat suggeriert, wenn man dort das Kreuz macht, kann man die Regierenden am meisten ärgern und vielleicht sogar abwählen. Es gibt ganz objektiv große Probleme im Land: Niedrige Löhne und Renten, soziale Unsicherheit, Lehrermangel, fehlende Polizei und Ärzte im ländlichen Raum, Pflegenotstand – und auch die Integration von Flüchtlingen ist schwierig. Im Wahlkampf habe ich gemerkt, dass sich viele Menschen einfache Antworten wünschen. Aber auf die komplexen Probleme gibt es oft keine einfachen Antworten.

In ihrem Wahlprogramm gibt auch die AfD keine einfachen Antworten.

Sie hat zu manchen Themen, zum Beispiel zur Rente, gar keine Antworten gegeben. Beim Oberbürgermeister-Wahlkampf in Pirna wurde plakatiert: ‚Schnauze voll!‘ und ‚Es reicht!‘ Das sind platte Parolen ohne politische Substanz.

Wahlforscher sagen: Vielleicht wurde den Ostdeutschen seit der Wende zu viel zugemutet. Und jetzt wollen sie sich nicht auf weitere Veränderungen einlassen. Stimmen Sie dieser These zu?

Ja. Wenn die Leute ihre Rentenbescheide bekommen und sehen, dass sie nach 30, 40 Jahren Arbeit in der Grundsicherung landen, fühlen sie ihre Lebensleistung entwertet. Das ist ein großes Problem. Nach der Wende wurden Berufsabschlüsse teils nicht anerkannt. Akademiker müssen in befristeten oder gering qualifizierten Berufen arbeiten, um irgendwie über die Runden zu kommen. Rentner stocken mit Nebenjobs auf. Und die Menschen sehen, wie sich ihre Orte verändert haben: Die Schule ist weg, der Bäcker ist weg, der Dorfladen ist dicht, der Bus fährt am Wochenende nicht mehr. Zwar hat sich einiges positiv entwickelt, aber für viele auf dem Land manches eben auch nicht.

Von den sozialen Fragen sind sicher mehr Menschen direkt betroffen als von den Flüchtlingen. Dennoch konnte die AfD mit dem Thema den Wahlkampf bestimmen. Warum sind die anderen Themen nicht durchgedrungen?

Ich halte nichts von Medienschelte, aber ich hätte mir gewünscht, dass Presse, Funk und Fernsehen die genannten wirklichen Probleme und politische Verantwortlichkeiten dafür genauer beleuchtet hätten.

Sind die Menschen weniger politisch?

Nein. Ich denke, viele sind resigniert. Auch die leicht höhere Wahlbeteiligung in unserem Kreis deutet auf das Frustpotenzial hin. Das konnte die AfD mit ihrer Merkel-muss-weg-Kampagne leider abschöpfen.

Der Name Frauke Petry hat im Landkreis gezogen. Sie hat das beste Ergebnis für die AfD bundesweit eingefahren.

Petry ist als Parteivorsitzende das Gesicht der AfD im Osten gewesen. Die eigene Partei wollte sie vor der Wahl als Kandidatin dennoch ablösen. Trotzdem bekommt sie so ein Ergebnis. Absurd! Ich habe schon mit viel Zustimmung für die AfD gerechnet. Ich hätte aber nicht gedacht, dass sie das Direktmandat holt.

Versprechen Sie sich etwas von Petry?

Ihre Wähler werden bitter enttäuscht sein, wenn sie es nach den Querelen und Petrys Parteiaustritt nicht schon sind. Frau Petry hat an unserer Region kein Interesse und wird sich hier kaum engagieren. Und jetzt will sie noch ihr Landtagsmandat behalten. Es ist unmöglich, zwei Abgeordnetenmandate auf Bundes- und Landesebene auch nur halbwegs vernünftig wahrzunehmen.

Letzte Frage zur AfD: Wird sie die politische Kultur im Bundestag verändern?

Ja. Ich befürchte, dass die Debattenkultur noch weiter den Berg runtergeht. Ernsthafte Diskussionen mit einem klaren Bezug zur Sache dürften schwerer werden. Ich stelle mich auf unqualifizierte Angriffe, Beleidigungen und rassistische Äußerungen ein. Die Bürger werden schnell merken, dass von der AfD inhaltlich nichts zu erwarten ist. Hoffentlich berichten die Medien dann nicht tagelang über jede Entgleisung der AfD. So viel Aufmerksamkeit hat diese Partei gar nicht verdient.

Noch ein Wort zu Klaus Brähmig: Ich denke, er selbst hat überhaupt nicht damit gerechnet, dass er nicht im nächsten Bundestag sitzt. Nach 27 Jahren ist das ein bitterer Abschied von der Bundespolitik. Tut er Ihnen leid?

Mitleid ist in der Politik keine Kategorie. Würde ich nicht mehr gewählt, würde das in der CDU wohl auch keiner bedauern. Bei allen Differenzen respektiere ich, dass sich Klaus Brähmig lange Zeit im Bundestag engagiert und für die Region manches erreicht hat. Er hat Minister hierher geholt und etwa von der Notwendigkeit der Südumfahrung Pirnas überzeugt, er hat Fördertöpfe geöffnet und auch Netzwerke aufgebaut, vor allem im Tourismus. Politisch gehört er eher zum rechten Flügel der CDU und hat zuletzt mehrfach versucht, sich von Positionen der Bundeskanzlerin abzusetzen. Genutzt hat es ihm nicht. Für Klaus Brähmig ist diese Niederlage sehr schmerzhaft. Er hatte sich sicher einen anderen Abschied aus dem Bundestag vorgestellt.

Das Gespräch führte Franz Werfel.