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Warum wir nicht zurückkommen

Zwei Ex-Görlitzer sind zufrieden mit dem Leben in der Ferne. Die Stadt hingegen will Fachkräfte gern nach Hause holen.

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© privat/szo

Von Daniela Pfeiffer

Wenn er nach vielen Monaten wieder einmal in Görlitz einrollt, hat er es schon, dieses Heimatgefühl. Dieses Aufgehobensein, hier, wo Familie und Freunde sind. Aber wieder ganz hier leben? Nein, das kommt für Stefan Köcher nicht infrage. Nürnberg, wo er zehn Jahre gelebt hat, und Hamburg, wo er seit zwei Jahren ist, böten da doch so unendlich viel mehr als Görlitz. Sowohl an Lebensqualität, Freizeitmöglichkeiten als auch auf dem Arbeitsmarkt. Letzterer ist für die Meisten, die Görlitz den Rücken gekehrt haben, natürlich das Argument Nummer eins gewesen, zu gehen. Auch für Stefan Köcher. Zwar hatte er bis 2003 in der Region studiert, nämlich in Zittau, doch seinen ersten richtigen Job fand er in Nürnberg. Das Gefühl, rauszumüssen, in einer größeren Stadt leben zu wollen, spielte dabei keine unerhebliche Rolle, die beruflichen Perspektiven aber eben auch. Sein Freundeskreis in Nürnberg bestand zum Großteil aus „Ossis“, wie er sagt. Ihnen allen ging es genauso.

Inzwischen in Hamburg ist sich Stefan Köcher noch sicherer, dass Görlitz allenfalls ein schönes Ziel für ein paar freie Tage bleiben wird. Zumal er dort im Norden sogar Verwandtschaft und einen alten Schulfreund aus Görlitz reaktiviert hat. Seine Heimat schätzt der 37-Jährige doch eher als Stadt für ältere Menschen ein. „Es ist schade, dass für junge Leute so wenig angeboten wird.“

Das ist immer noch der Grundtenor, der in vielen Diskussionen zu hören ist – auch auf der Internetplattform Facebook. Nichts los für junge Leute, keine Jobs. Je länger sie weg sind, umso seltener die Heimatbesuche, umso kleiner das Heimweh. Jedenfalls bei Vielen. Wer tatsächlich zurück will, steht oft vor der Entscheidung, einen gut bezahlten Job aufzugeben und sich mit deutlich weniger Geld im Osten zufrieden zu geben.

So geht es auch Matthias Schäfer. Bei Volvo in Kodersdorf lernte er Kfz-Mechatroniker, wurde aber nicht übernommen. Auch aus verschiedenen Probearbeitsstellen in und um Görlitz wurde nichts. Durch eine Leiharbeitsfirma landete er 2011 binnen einer Woche in München. „Es gab zuhause für mich einfach keine Jobperspektive“, sagt der 28-Jährige. In seinem Job in München arbeitet er an der Instandsetzung gepanzerter Fahrzeuge. Die Aufträge kommen aus der ganzen Welt, das Gehalt stimmt. Die Bindung nach Görlitz ist trotzdem noch stark und einen Satz würde Matthias Schäfer auch nie sagen: Ich komme nicht mehr zurück. Immer wenn er hier ist, spielt er Basketball bei den Görlitzer Squirrels, Freunde, Familie, seine Geschwister – alle sind noch hier. Zu Weihnachten oder zum Altstadtfest würde er nie woanders sein als in Görlitz. Ein Freund versorgt ihn auch immer mal mit Jobangeboten, aber die Ansprüche werden nicht kleiner, wenn man in den alten Bundesländern gute Arbeit hat. Eine Industriefirma sollte es schon sein, da werde ganz anders gearbeitet als in Handwerksbetrieben. Aber im Moment ist eben nichts in Aussicht. Und seit Schäfer beim ASV Dachau Handball spielt, hat er auch Anschluss gefunden.

Für die Region Görlitz sind die beiden jungen Männer aber genau die Fachkräfte, die hier fehlen. Initiativen wie „Sachse komm’ zurück“ versuchen schon seit Jahren, Rückkehrwilligen Möglichkeiten zu bieten. Mit wechselndem Erfolg. In einer Debatte zum Thema Rückkehrer schrieb der Görlitzer Axel Krüger jüngst: „Die Kommunikation mit den möglichen Rückkehrern findet kaum statt. Wir bräuchten eine komplexe Kampagne zu diesem Thema, bei dem intelligentes Binnenmarketing weit vor dem Kleben bunter Plakate steht. Dazu wäre ein ernsthaft kritischer Blick nach innen nötig, vor dem sich offensichtlich viele fürchten.“ Martin Schreiber kommentierte: „Marketing kostet Geld, und das ist halt immer knapp. Dabei bräuchte es lediglich eine gut gepflegte Website und wiederkehrende lokale Kampagnen, um über den Umweg der hier verbliebenen Anverwandtschaft die verstreuten Oberlausitzer anzusprechen. Für das Thema müssten viele ins Boot geholt werden, leider schafft man es ja hier aber kaum sich zusammenzuschließen, siehe Tourismus.“

Doch genau einen solchen Zusammenschluss soll es nun geben. So sei eine sogenannte Fachkräfteallianz im Gespräch, die sich im Landkreis gezielt um Fachkräfte und damit auch Rückkehrer kümmert. Das teilt Eva Wittig von der Europastadt Görlitz/Zgorzelec (EGZ) mit. Darüber hinaus betreibt die EGZ seit 2013 ein Jobportal, auf dem aktuell um die 100 Stellenangebote der Region erfasst sind. Festanstellungen, Praktika, Ausbildungsstellen, alles ist dort zu finden. Hohe Klickzahlen verzeichne die EGZ hier, sagt Eva Wittig. Auch Jobspeeddating bietet das Unternehmen an, das sich neben dem Stadtmarketing um die Wirtschaftsförderung der Stadt kümmert, regelmäßig an. Hier können sich selbst weniger bekannte Firmen vorzustellen.

Warum aber ist dennoch die Stimmung eher schlecht? Warum glauben viele, hier keine Perspektive zu haben? Vielleicht, weil mancher, der vor Jahren ging, noch immer das Bild von damals im Kopf hat, das nicht mehr der Realität entspricht. „Ich zähle selbst zu den Görlitzern, die lange woanders gelebt haben“, sagt Eva Wittig. Nie hätte sie sich träumen lassen, in Görlitz einen Job in der Marketing-Branche zu finden. Und heute leitet sie das Stadtmarketing. „Der Zustand der Stadt, als ich ging, hatte sich auch bei mir verfestigt.“

Dass inzwischen große Unternehmen wie Alsa, Partec oder Sysmex jungen Leuten Chancen bieten, wüssten viele gar nicht. Der Mittelstand habe sich entwickelt, nur nehme man das im Stadtbild nicht so deutlich wahr. „Deshalb ist unsere größte Herausforderung, zu zeigen, was es hier gibt: nämlich Wachstum.“ Um diese Botschaft jenseits aller Internetangebote auch an die Rückkehrwilligen zu bringen, seien deren Familien und Freunde wichtig. „Auch sie müssen von den Chancen wissen und sie weitertragen.“

Bei Matthias Schäfer und Stefan Köcher funktioniert das. Durch Familie und Freunde wissen beide ziemlich genau Bescheid – sowohl über den Arbeitsmarkt in Görlitz als auch über das städtische Leben. „Ich freue mich schon, wenn ich bei Heimatbesuchen neue Cafés oder andere Dinge entdecke, wo sich junge Leute Gedanken gemacht und etwas auf die Beine gestellt haben“, sagt Stefan Köcher. Für eine Rückkehr ist das aber noch zu wenig.

www.jobs-in-goerlitz.de