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Was aus Honeckers Megachip wurde

Dresdens Mikroelektronik-Branche ist gewachsen - aber die Erfinder von 1988 sehen bange nach Übersee.

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© Georg Moeritz

Von Georg Moeritz

Dieser Artikel erschien am 23. März 2015 in der „Sächsischen Zeitung“:

Dresden. Jens Knobloch hat noch glänzende Erinnerungsstücke aus dem Jahr 1988: Mikrochips aus Dresden, verpackt in Glas aus Jena. Der Dresdner Ingenieur war dabei, als Staatschef Erich Honecker einige davon in Berlin überreicht bekam. Für Chefkonstrukteur Knobloch waren es Eigenentwicklungen, obwohl Siemens längst ähnliche Chips in Massen produzierte. Die ersten 1-Megabit-Chips des Staates wurden damals für „groß angelegte DDR-Propaganda“ genutzt, sagt Knobloch - und als Werbung für das zuständige Kombinat Carl Zeiss Jena. Doch Knobloch und seine Kollegen sind heute noch stolz auf ihre „Teamarbeit“ der 80er-Jahre, das zeigte sich bei ihrer Tagung vorige Woche. Die Chip-Entwickler begingen „25 Jahre Entwicklungsabschluss des Megaspeichers in Dresden“. Denn nach dem Besuch bei Honecker 1988 ging ihre Arbeit noch bis 1990 weiter.

War der 1-Megabit-Chip bloße Propaganda?

Staatschef Erich Honecker würdigte die Megachips 1988 laut Sächsischer Zeitung als „Beweis dafür, daß die Deutsche Demokratische Republik auch künftig ihre Position als entwickeltes Industrieland behauptet“. Chefentwickler Knobloch sagt, die DDR-Chips seien „wirklich auf dem eigenen Mist gewachsen“. Zwar kannten er und seine Kollegen das Vorbild aus dem Westen: Siemens hatte zwei bis drei Jahre Vorsprung, nutzte allerdings die Technik von Toshiba aus Japan gegen Lizenzgebühr. Die Dresdner Entwickler dagegen kamen nur schwer an West-Technik. Einzelne Anlagen wurden gegen Embargo-Vorschriften in den Ostblock gebracht, und mit Patentschutz „haben wir uns wenig aufgehalten“, sagt Knobloch auf Nachfrage.

Lasertechnik fehlte den Dresdnern, auch manche Lacke und Metallverbindungen mussten sie durch Ähnliches ersetzen. Ihre 1-Megabit-Chips waren also etwas Eigenes, und sie funktionierten. Doch selbst nach Abschluss der Entwicklung 1990 wurden nicht mehr als 30 000 hergestellt - die Maschinen für eine echte Massenproduktion konnte sich die DDR nicht leisten.

Ziel der Chip-Entwicklung war nach Angaben des damaligen Projektleiters Bernd Junghans nicht ein Prestigeobjekt, sondern die technologische Basis für viele Entwicklungen: Die DDR wollte wieder Anschluss an den Welt-Standard, auch bei Software und Maschinenbau.

Was ist aus den Forschern und Produktionsanlagen geworden?

Nach der Wiedervereinigung waren die DDR-Chips nicht wettbewerbsfähig: zu teuer. Chefkonstrukteur Knobloch und etwa 130 Kollegen fanden „eine neue Heimat“ in einem Fraunhofer-Institut. Von rund 3 300 Mitarbeitern im ZMD Zentrum Mikroelektronik Dresden zur Wendezeit ist „etwa die Hälfte irgendwo untergekommen“, sagt Dieter Landgraf-Dietz, der damals die Geschäftsführung in Treuhand-Auftrag übernahm und sich bald wie ein Konkursverwalter fühlte. Etwa die Hälfte der ZMD-Belegschaft hatte allerdings wenig mit Mikroelektronik zu tun: Hunderte Handwerker waren darunter, es gab einen eigenen Maschinenbau, eigenen Wachdienst.

Siemens hatte an den ZMD-Anlagen kein Interesse, gab Geschäftsführer Landgraf-Dietz aber ein Signal: Die Elektronik-Fachleute sollten möglichst zusammengehalten werden, mit Fördergeld ließe sich vielleicht etwas aufbauen. Tatsächlich baute Siemens später Chipfabriken in Dresden. Daraus wurde Infineon Dresden mit heute 2 000 Mitarbeitern sowie die Infineon-Tochter Qimonda, die bis zu ihrer Pleite und Schließung 2009 auf bis zu 4 000 Mitarbeiter kam. Außerdem baute der US-Konzern AMD eine Chipfabrik, die heute dem US-Konzern Globalfoundries gehört und 4 000 Menschen beschäftigt. Rund 350 arbeiten in der ehemaligen ZMD-Chipfabrik, die dem Erfurter Konzern X-Fab gehört.

Woran arbeitet die Mikrochipbranche jetzt?

Der 1-Megabit-Chip von 1988 konnte den Inhalt von 35 eng beschriebenen Schreibmaschinenseiten speichern. Halbleiter-Forscher weltweit haben es seitdem geschafft, alle zwei Jahre die Leistung der Chips auf gleicher Fläche zu verdoppeln („Moore’s Gesetz“). Heute stapeln sie mehrere Chips übereinander und verbinden sie, vor allem arbeiten sie an immer feineren Strukturen. Im DDR-Chip war das kleinste Detail noch 1 000 Nanometer (Millionstel Millimeter) fein, heute schafft Globalfoundries in Dresden 32 und 28 Nanometer. Forscher in Taiwan und den USA wollen sieben Nanometer schaffen, machen Versuche mit ultravioletter Strahlung bei der Übertragung der Strukturen vom Entwurf auf den Chip und nutzen bis zu 100 Belichtungsschablonen, bis ein Schaltkreis fertig ist.

Zugleich plant die Branche, in den Fabriken mehr Chips gleichzeitig zu fertigen und dazu Siliziumscheiben von 450 Millimeter Durchmesser statt heute höchstens 300 Millimeter zu nutzen. Auch Dresdner Anlagenhersteller bereiten sich darauf vor, allerdings rechnet Globalfoundries-Technologe Michael Raab nicht vor 2020 mit der Verbreitung dieser Technik.

Im Dresdner Fraunhofer-Institut IPMS, zu dessen Leitung Jens Knobloch bis zur Rente 2009 gehörte, wird an Chips mit eingebauten Sensoren und beweglichen Spiegeln gearbeitet. Millionen Schwingspiegel in einem Chip dienen etwa zur Lenkung von Laserlicht in Medizintechnik oder in Chip-Produktionsanlagen.

Der Anteil der Mikroelektronik in allen Lebensbereichen nimmt zu, ob im Auto oder im Haushalt. Der jüngste Teil der digitalen Revolution wird auch als „Industrie 4.0“ bezeichnet; gemeint sind Fabriken, in denen der Mensch fast überflüssig ist und Maschinen sich gegenseitig Aufträge geben. Die Infineon-Chipfabrik in Dresden gehört zu den Vorreitern und ersetzt derzeit einen Teil der Arbeiter durch Roboter.

Hat die Technik in Europa eine Chance gegen die weltweite Konkurrenz?

Die Dresdner Chip-Veteranen machen sich Sorgen: Megachip-Projektleiter Bernd Junghans sieht Europa heute in einer ähnlichen Klemme wie die DDR in den 80er-Jahren - Europa verliere den Anschluss in der „universellen Technologie“ um die Mikrochips.

In Asien und in den USA werden Chipfabriken mit hoher staatlicher Förderung aufgebaut; Globalfoundries konzentriert seine Forschung bei New York. Junghans warnt, selbst die deutsche Autoindustrie könne in wenigen Jahren ihre starke Stellung verlieren, weil Elektroautos und Google-Selbstfahrtechnologie vor allem vom Elektronik-Fortschritt abhängig seien. Nur noch etwa zehn Prozent der Mikrochips werden in Europa hergestellt; eine Verdopplung dieses Anteils ist der Wunsch der EU-Kommission. Im Förderprogramm Ecsel stehen 800 Millionen Euro vom Staat für Pilotprojekte in Sachsen bereit.

Eine neue Chipfabrik kostet einige Milliarden Euro - selbst damit würde Europa aber noch nicht auf 20 Prozent Weltmarktanteil kommen, sagt der ehemalige X-Fab-Chef Hans-Jürgen Straub. Zudem bemängelt er, dass die Unternehmer „zu zersplittert“ sind und der Politik keine klaren Forderungen bringen. Tatsächlich: Zeitgleich mit der Tagung der Dresdner Chip-Experten forderte auch Sachsens Software-Branche mehr politische Unterstützung.