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Was bringt die elektronische Patientenakte?

Wenn es um medizinische Unterlagen geht, läuft in der Hightech-Nation Deutschland noch vieles auf Papier oder per Fax. Fragen und Antworten zum Status quo:

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© Wolfgang Kumm/dpa

Von Sascha Meyer, Berlin

Die Techniker Krankenkasse (TK) will mit einer eigenen bundesweiten „elektronischen Gesundheitsakte“ neue digitale Lösungen für Patienten voranbringen. Versicherte sollen zum Beispiel Daten zu Diagnosen, Impfungen, verordneten Medikamenten oder Röntgenbilder in der Akte sehen können, wie die TK am Dienstag in Berlin mitteilte. Damit sollen dezentral bei Krankenhäusern, Ärzten oder Therapeuten liegende Daten zusammengeführt werden können. Branche und Politik sehen darin einen großen Fortschritt. Gesundheitsexperten mahnen einheitliche Standards an.

Was eigentlich so alles über sie erfasst ist, wissen wohl die meisten Kassenpatienten gar nicht genau. Wie hieß noch mal das Medikament, das der Arzt im Urlaub verschrieben hat? Ans Ergebnis des letzten Blutbilds ist die Erinnerung auch nur noch schwach. Dabei liegen bei Ärzten, Kliniken und Krankenkassen jede Menge Daten, die Behandlungen schneller und zielgenauer machen könnten – nur sind sie eben großflächig verstreut. Seit Jahren mühen sich die Akteure des Gesundheitswesens um mehr elektronische Vernetzung, doch voran geht es kaum.

Was sollen elektronische Patientenakten bringen?

Für Jens Baas, den Chef der Techniker Krankenkasse (TK), geht es um nicht weniger als eine kleine Revolution, indem diverse Daten zu neuen hilfreichen Informationen zusammengeführt werden. Das soll vermeiden, dass Ärzte etwa lieber noch einmal ein extra Röntgenbild machen, weil ein Befund eines Kollegen nicht so einfach aufzutreiben ist. Auch Medikamenten-Wechselwirkungen könnten damit vermieden werden. Zudem sollen Patienten erstmals Klarheit über ihre gebündelten Gesundheitsdaten bekommen und so besser mitreden können, wenn es um ihre Behandlungen geht.

Wie soll das technisch funktionieren?

Die TK will bundesweit einen digitalen „Datensafe“ als Handy-App an den Start bringen, den Patienten nach eigenen Wünschen füllen können, etwa mit allen verordneten Medikamenten und Labordaten. Gespeichert werden können auch Angaben zu Arztbesuchen – samt Diagnose plus der Rechnung, wie viel die Kasse dafür gezahlt hat. Alle Daten sollen verschlüsselt und nur mit ausdrücklicher Freigabe des Patienten für Ärzte einsehbar sein. Das Angebot setzt die TK mit IBM um, Daten sollen in einem Rechenzentrum in Deutschland gespeichert werden. Geplant ist zunächst ein Anwendertest, für den sich TK-Versicherte bundesweit registrieren können. Der Start für alle Mitglieder wird noch für dieses Jahr angestrebt. Genaue Angaben zu den Kosten des Projekts wurden nicht gemacht. Die AOK ist schon einen Schritt weiter. Sie hat bereits ein eigenes Gesundheitsnetzwerk gestartet, das auch eine digitale Akte umfasst und ebenfalls anschlussfähig an ein einheitliches Datensystem sein soll. Das Netzwerk soll weiter ausgebaut werden. Beide Kassen versichern: Die volle Datenhoheit haben die Patienten. Zudem müssen bei Kassenwechseln die Daten mitgenommen werden können.

Was sagen Patientenschützer zu dem Vorhaben?

Neben der Datensicherheit geht es auch darum, dass die schöne neue Digitalwelt niemanden benachteiligt. Absolut freiwillig und kostenlos seien die Angebote, heißt es von den Kassen. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz mahnt indes: „Wer nicht mitmachen kann oder will, wird schnell identifiziert und dann vielleicht diskriminiert.“ Da nur der Staat höchste Standards garantieren könne, solle besser ein Bundesamt für die Digitalisierung im Gesundheitswesen kommen. Die Verbraucherzentralen begrüßen mehr Vernetzung und Transparenz. „Das klappt aber nur mit einheitlichen Standards“, sagt Experte Kai Vogel.

Wie geht es nun weiter mit der Digitalisierung?

Dass die Digitalisierung dringend Fahrt aufnehmen muss, bestreitet niemand. „Seit über zehn Jahren sind Krankenhäuser, Ärzte, Apotheker und Kassen nicht in der Lage, ein sicheres System zu etablieren“, klagt der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Fast zwei Milliarden Euro seien nur für die elektronische Gesundheitskarte verschwendet worden – die erhofften Zusatzfunktionen leistet sie immer noch nicht. „Da könnte man nicht einmal ein Röntgenbild abspeichern“, sagt Kassenärzte-Chef Andreas Gassen. Die digitalen „Akten“ von TK und AOK kommen denn auch ohne die Karte aus. Sie sollen aber auch keine Inseln werden, sondern mit der Datenautobahn des Gesundheitswesens verknüpfbar sein, die gerade – mit Verzögerung – entsteht. Ein Ziel für die Einführung von E-Patientenakten hat auch die Bundesregierung: Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, bis 2021 eine elektronische Patientenakte einzuführen. (dpa)