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Zwickau wird reines Elektroauto-Werk

Der Volkswagen-Konzern will mit Milliardeninvestitionen in die E-Mobilität den tiefgreifenden Wandel der ganzen Branche bewältigen. Eine zentrale Rolle soll dabei Zwickau spielen.

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Nora Miethke

Herbert Diess setzt Volkswagen unter Strom. Immer wieder bekräftigt der Vorstandsvorstand der Marke VW, dass der Konzern ab 2025 jährlich eine Million Elektroautos verkaufen will. Das wäre nach dem jetzigen Gesamtabsatz jedes vierte Auto. Für Beschäftigte und Zulieferer hieß das bislang, in Zwickau werden künftig zu 80 Prozent Verbrenner und zu 20 Prozent Elektroautos gebaut. Denn in Zwickau soll ab 2019 der I.D. – elektrischer Hoffnungsträger der VW-Marke – vom Band laufen.

Siegfried Fiebig, Geschäftsführer VW Sachsen GmbH.
Siegfried Fiebig, Geschäftsführer VW Sachsen GmbH. © dpa

Doch jetzt sieht die Rechnung plötzlich anders aus. VW-Markenchef Herbert Diess und auch Konzernchef Matthias Müller wollen alle E-Fahrzeuge der Marke VW und weiterer Konzernmarken zunächst an einem Standort bauen lassen – und zwar in Zwickau. Der Aufsichtsrat hat am Freitag die dafür notwendigen Investitionen genehmigt.

Ein reines Werk nur für Elektroautos – bedeutet das mehr Chancen oder mehr Risiken? Die SZ hat dazu mit VW-Sachsen-Chef Siegfried Fiebig gesprochen und analysiert die wichtigsten Fragen.

Was will VW künftig in Zwickau produzieren?

Ab 2019/20 sollen dort die vollelektrischen Fahrzeuge der Marke VW sowie laut Medienberichten auch der Marken Audi und Seat auf zwei Fertigungslinien mittels des Modularen Elektrifizierungsbaukastens (MEB) produziert werden. Bis zu sechs oder sieben Anläufe sind geplant. Die Jahreskapazität von zurzeit rund 300 000 Fahrzeugen soll sogar weiter ansteigen. Täglich würden dann mehr als 1 400 Autos vom Band rollen, statt heute 1 300. „Zwickau soll sich zu hundert Prozent als der E-Mobilitätsstandort profilieren. Es wird keine Mischfertigung mehr mit Verbrennermotoren geben“, sagt VW-Sachsen-Chef Siegfried Fiebig. Damit werde Zwickau von einem reinen VW-Werk zu einem Mehr-Marken-Standort.

Wie verändert sich die Fertigung und was kostet der notwendige Umbau?

Der I.D. basiert auf einer völlig neuen Fahrzeugarchitektur, die speziell für reine E-Autos entwickelt wurde. Der 125-kW-Elektromotor wird platzsparend auf der Hinterachse sitzen, die Hochspannungsbatterie kommt in den Boden. Dadurch wird das Raumgefühl großzügiger. Anfangs müsse man den I.D. noch selbst fahren. Doch die VW-Designer wollen bis 2025 ein Lenkrad entwerfen, das sich auf Knopfdruck im Armaturenbrett versenken lässt, damit der I.D. autonom fahren kann. Für den Fertigungsfluss heißt das: „Es bleibt kein Stein auf dem anderen“, so Fiebig. Das Presswerk bleibe komplett ausgelastet, im Karosseriebau soll die Wiederverwendung massiv erhöht werden. Die Lackiererei wird auf 1600 Fahrzeuge pro Tag aufgestockt. Im Montageablauf ist eine stärkere Automatisierung vorgesehen. Es werde auch darüber diskutiert, das Batterie-Rack vor Ort zusammenzubauen.Wer die Batterien liefern wird, ist noch nicht klar. Aber eine eigene Batteriezellenfertigung sei nicht im Gespräch. Dazu sind die Energiekosten in Deutschland zu hoch, wie die Autobauer übereinstimmend sagen.

Worauf müssen sich die 7 800 Mitarbeiter in Zwickau einstellen?

Ein höherer Automatisierungsgrad in der Montage, ein Elektromotor mit 900 Teilen statt mit 2 200 Teilen wie beim Verbrennungsmotor im Phaeton. Die Mitarbeiter bangen um ihre Jobs. Werden es 2025 noch die 7 800 sein, die jetzt auf dem Lohnzettel stehen? „Wir werden die Beschäftigungssicherung nicht verlassen, sie wird eingehalten“, versichert Fiebig. Aber die heutige Arbeitsorganisation gehöre der Vergangenheit an. Mit zunehmender Automatisierung solle zukünftig stärker in Fertigungsteams zusammengearbeitet werden. Das sei auch in der Montage denkbar. „Es wird keine einfachen Aufgaben mehr geben. Die Arbeit insgesamt wird anspruchsvoller werden“, betont der Produktionsexperte.

Das Durchschnittsalter der Mitarbeiter liegt momentan bei 43 Jahren. Bis 2020 sollen rund 1000 Beschäftigte über Altersteilzeitverträge ausscheiden. Wenn der Gesetzgeber es zulässt, könnten noch mehr Mitarbeiter auf diesem Weg das Unternehmen verlassen. VW Sachsen orientiert sich in der Personalentwicklung an der demografischen Kurve im Unternehmen.

Wie werden die Mitarbeiter auf die elektrische Ära vorbereitet?

Im zweiten Halbjahr 2018 soll das größte Qualifizierungsprogramm in der Geschichte von VW Sachsen beginnen. Wenn der letzte Passat vom Band gerollt ist, werden die Produktionsmitarbeiter schrittweise die Weiterbildungsbank drücken. Die Mitarbeiter müssen unter anderem in der Hochvolttechnologie, in Industrie 4.0-Verfahren, neuen Maschinensteuerungen oder in der Anwendung von Datenbrillen und Tablet geschult werden. Organisiert wird die Qualifizierung vom hauseigenen VW Bildungsinstitut. Das Volumen der Ausbildungsplätze von 120 bis 150 pro Jahr soll konstant gehalten werden, aber die Lehrinhalte werden sich erheblich ändern müssen. Mit der Schulbildung der neuen Lehrlinge ist Fiebig im Großen und Ganzen zufrieden. „Bei den Grundlagen in Mathematik, Physik und Chemie gilt es jedoch nachzuschärfen“, meint er. „Der Wandel wird nur erfolgreich, wenn wir alle Betroffenen zu Beteiligten machen“, betont der VW-Sachsen-Chef. Wenn er einen Wunsch frei hätte, würde er sich „einen konstruktiveren Dialog mit der Mitbestimmung und den entsprechenden Organen wünschen“. Er hält Mitbestimmung für wichtig und richtig. Es brauche jetzt Mut, die Veränderungen gemeinsam anzugehen.

Was wird aus dem Motorenwerk Chemnitz?

Das Werk mit 1 650 Mitarbeitern bleibt bestehen. Der Automanager gibt sich überzeugt, Autos mit Verbrennermotoren werden noch die kommenden 15 bis 20 Jahre produziert werden. Und die in Chemnitz gebauten Benzinmotoren seien zukunftsfähig. „Bis 2022 bleibt die Abnahme der Motoren und damit die Beschäftigung vertraglich unangetastet. Aber wir gehen davon aus, dass beides auch weit über das Jahr 2022 hinaus gesichert bleibt, denn Elektroautos werden nur 13 bis 20 Prozent der abgesetzten Autos von VW ausmachen“, so Fiebig. Die Produktion der E-Fahrzeuge wird langsam hochfahren. Derweil werden die Verbrennermotoren weiter optimiert werden. Nächstes Jahr soll in Chemnitz eine weitere Schicht eingeführt werden.

Was bedeutet die Entscheidung für die Zulieferbranche in Sachsen?

Fiebig ist klar, dass die Ankündigung, Zwickau zu einem reinen E-Auto-Werk zu machen, Bewegung und Unsicherheit bei den Zulieferern auslösen wird. Denn die verbrennertypischen Bauteile werden in Zwickau nicht mehr gebraucht, dafür werden Produkte mehr gefragt sein, die die digitale Vernetzung im und mit dem Auto sicherstellen. Die abgeschlossenen Verträge für die Passat und Golffertigung werden eingehalten, die Zulieferer müssen dann eben nur nach Wolfsburg und Emden liefern statt nach Zwickau. Auf technischer Basis laufen auch schon die Gespräche, wie es mittelfristig mit der Belieferung des Zwickauer Werkes weitergehen kann. Auf die Frage, ob die Zulieferer die Dynamik bereits erkannt haben, sagt Fiebig: „Ich bin da guter Dinge. Vielleicht haben nicht alle das Thema in ihrer Tiefe durchdrungen. Aber es gibt durchaus größere Mittelständler, die Unternehmermut zeigen und in die Umstellung investieren.“ So gebe es durchaus interessante Forschung und Weiterentwicklungen in der Batterietechnologie.

Wird der jetzige VW-Sachsen-Chef den Umbau begleiten?

Das steht nicht fest. Siegfried Fiebig würde sich zwar freuen, wenn er den Prozess weiter aktiv begleiten könnte. „Aber die Veränderung wird 3 bis 5 Jahre dauern. Man könnte auch die Chance nutzen, nach Abschluss des Entscheidungsprozesses die Umsetzung in jüngere Hände zu übergeben“, sagt der Automanager. Die Entscheidung ist noch nicht gefallen.