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Was nun, liebes Aschenbrödel?

Offener Brief an die Frau, die drei Nüsse zum ewigen Erfolg führten. Woher rührt denn nun die anhaltende Begeisterung für den alten Streifen?

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Endlich kann der Prinz (Pavel Travnicek) sein Aschenbrödel (Libuse Safrankova) in die Arme schließen - Szene des Märchenfilms "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel".
Endlich kann der Prinz (Pavel Travnicek) sein Aschenbrödel (Libuse Safrankova) in die Arme schließen - Szene des Märchenfilms "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel". © WDR/DRA/dpa

Liebes Aschenbrödel,

Wie machst du das nur? Jahr für Jahr das Gleiche. Du musst nicht mal werben. Jeder schaltet ein. Jeder will dich sehen. Zumindest für mein Umfeld kann ich weitgehend sagen: Jeder feiert dich. Was andere heutzutage nicht alles tun, um Aufmerksamkeit zu generieren! Sie essen Kakerlaken-Gebärmütter im Dschungelcamp, sie reiten oben ohne auf Fischfang durch russische Flüsse, sie knutschen mit dem Gitarristen von Tokio Hotel.

Manche sagen, die Währung von heute sei Aufmerksamkeit. Die Menschen haben alles schon gesehen. Um Aufmerksamkeit zu generieren, braucht man schon richtig viel Asche, eine extrem außergewöhnliche Idee – oder man muss blankziehen. Wobei, selbst das genügt nicht mehr. Es sollten dann schon drei nackte Brüste mit fünf lila Warzen aus dem Dekolleté winken.

Du hast nichts davon. Das Geld hat deine fiese Stiefmutter gekapert, um hässliche Regenschirm-Hüte zu kaufen. Du läufst in Lumpen durch die Gegend, bis Eule Rosalie dich retten kommt.

Eine extrem außergewöhnliche Idee hattest du – mit Verlaub – auch nicht. Zum Ball des Prinzen in ein Schloss zu rennen, das ist schon vielen in den Sinn gekommen. Blankziehen kommt für dich erst recht nicht infrage, dein Film zeigt ja nicht mal eine anständige Knutsch-Szene. Voll prüde. Wie zur Hölle also machst du das? Weißt du, wie viele Filme ich gern endlich sehen würde, und einfach nicht dazu komme? Und doch schalte ich auch zum 37. Mal ein, wenn du ihn zu kitschiger Säuselmusik betörst, deinen leicht minderbemittelten Prinzen in bunten Strumpfhosen. Ich gebe zu: Ich muss nicht mal ins Programm gucken. Ich habe dich auf DVD.

Ich schätze, du gibst der Welt etwas, das sie verloren glaubt: die gute, alte Zeit, in der angeblich alles besser war. Wo noch Schnee liegt, weil’s dem Klima gut geht. Wo Menschen in Kutschen fahren, statt über Diesel-Plaketten zu streiten. Wo dein Pferd durch wilde Wälder reiten darf, statt bei Turnieren verscherbelt und gedopt zu werden. Du präsentierst Jahr für Jahr eine heile Welt, in der es noch Happy Ends gibt. Nicht, dass deine Ausgangslage heil wäre. Was für eine schreiende Ungerechtigkeit, die deine fiese Stiefmutter da mit dir veranstaltet. Die Kohle des toten Vaters einsacken und dich im Dreck versauern lassen. Wenngleich das Erbrecht Fortschritte gemacht hat, schreiende Ungerechtigkeiten kennen wir auch heute. Hungernde Kinder, profitgierige Banker. Das Happy End in unserer Welt bleibt aber aus. Kinder leiden weiter, Banker werden reicher. Deine Geschichte erteilt am Ende jedem die Lehre, die er verdient. Deine Stiefschwester, die dumme Trulla, muss ein Stück Fuß einbüßen, deine Freunde vom Hof ziehen ins Schloss und du findest die Liebe, die dir gebührt. Ja, das ist kitschig und vorhersehbar. Aber es erinnert mich daran, dass es noch Milieus ohne zynischen Rückhall geben darf. Eine Blaupause. Danke. Wir sehen uns am 25.

Deine Franziska Klemenz

Der Offene Brief ist eine Rubrik im Wochenendmagazin der Sächsischen Zeitung.