Von Jochen Wittmann, SZ-Korrespondent in London
Das ist eine schockierende Vorstellung: Prinz Harry in den Händen der aghanischen Taliban. Die Nummer drei der britischen Thronfolge als Geisel im Afghanistan-Krieg. Eine Nation vor der Entscheidung, sich erpressen zu lassen oder einen Prinzen zu opfern. Dieses Szenario will demnächst der britische Fernsehsender Channel 4 ausbreiten. Der fiktionale Dokumentarfilm „Die Entführung eines Prinzen“ soll am 21. Oktober ausgestrahlt werden. Aber schon jetzt schlagen die Wellen der Empörung hoch.
Als „äußerst geschmacklos“ bezeichnete ein Sprecher des Verteidigungsministeriums das Vorhaben. Er könne sich nichts Dümmeres vorstellen, schimpfte Dai Davis, ehemaliger Chef von Scotland Yards königlichen Leibwächtern. „Potenzielle Irre könnten dadurch ermutigt oder gar angeregt werden.“ Ein Sprecher von Clarence House, der offiziellen Residenz von Prinz Harry, erklärte: „Wir sind nicht bereit, dieses Werk der Fiktion zu kommentieren. Über die Sicherheit von Prinz Harry zu spekulieren, ist nicht hilfreich.“
In dem 70-minütigen Dokudrama wird gezeigt, wie Harry mit seinem Apache-Helikopter in Afghanistan zu Boden geht, von Taliban festgenommen und nach Pakistan verbracht wird. Dort wird er gezwungen, eine Videobotschaft an das britische Volk zu richten. „Der Preis meiner Freilassung“, sagt der fiktionale Harry, „ist der sofortige Abzug der Koalitionstruppen aus Afghanistan. Wenn das nicht passiert, werde ich niemals nach Hause zurückkehren, und ihr werdet niemals meine Leiche finden.“ In einer Scheinexekution hält ihm ein Taliban eine Pistole ins Gesicht und zieht den Abzug.
Channel 4 will mit der Pseudodoku die Konsequenzen durchspielen, die eine solche Situation für die Nation hätte. Das Szenario hat durchaus einen realen Hintergrund. Immerhin hat Prinz Harry schon einmal in Afghanistan gedient. Knapp zehn Wochen kämpfte er Anfang 2008 in der südafghanischen Provinz Helmand gegen die Taliban, bevor das Geheimnis durchsickerte und er aus Sicherheitsgründen abgezogen wurde. Auch jetzt will der Rotschopf gern wieder zurück an die Front.
Der Film stößt an wunde Punkte. Eine Entführung würde die Frage der Erpressbarkeit des Staates aufwerfen. Bisher war die Position der britischen Regierung da knallhart: Mit Entführern wird nicht verhandelt. Doch was, wenn es um einen Royal geht? Der öffentliche Aufschrei wäre gewaltig. Kein Wunder, dass Harry verärgert ist. Denn die Chancen, dass er noch einmal an die Front darf, sind angesichts der potenziellen Gefahren, die der Film aufwirft, minimal. Schon jetzt wurde die Sicherheit des Royals verstärkt: Seit letzter Woche bewachen ihn jetzt nicht mehr drei, sondern sechs Leibwächter.