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Was soll aus der Ukraine werden?

Der Westen will die Ukraine gegen Russland unterstützen, braucht aber Russland auch als Wirtschaftshelfer für die Ukraine. Wie das funktionieren soll und ob es überhaupt funktioniert, ist noch unklar.

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© dpa

Von Dieter Ebeling

Athen. Gesucht wird eine Richtung: Wie soll der Westen auf die Annexion der Krim durch Russland reagieren? Auf die latente Bedrohung der Ukraine durch Zehntausende russischer Truppen, die kurz vor der ukrainischen Grenze stehen? Gleich zweimal haben jene, die in der Politik eher für Antworten als für Fragen zuständig sind - die Außenminister also - innerhalb der vergangenen Woche nach Wegweisung gesucht. Als sich die EU-Außenminister am Samstag in Athen nach zweitägigen Beratungen trennten, war der Richtungsstreit noch nicht entschieden.

Zu Beginn der Woche war es in etwas anderem Format bei den Nato-Außenministern in Brüssel um dieselben Fragen gegangen: Ist die Tatsache, dass Russland nach der Annexion der Krim eine Atempause einzulegen scheint, den Sanktionen der EU und den Warnungen der Nato zu verdanken? Oder ist das eher ein Erfolg ständiger, diskreter Gespräche mit Russland, die vor allem zwischen Moskau und Berlin sowie zwischen Moskau und Washington derzeit noch halbwegs funktionieren? Oder ging es vielleicht weder um Sanktionen noch um Dialog, sondern eher darum, dass Russlands Präsident Wladimir Putin aus welchen Gründen auch immer gerade zögert?

„Wir können über diesen Konflikt nicht hinweggehen. Aber wir werden Russland auch brauchen, wenn wir an der Stabilisierung der Ukraine arbeiten. Und deshalb ist das Gespräch, auch wenn es den Konflikt über die Krim gibt, weiterhin notwendig“, lautet das Credo des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier (SPD).

Er arbeitet an einer internationalen Kontaktgruppe, überzeugt davon, dass man Russland, die Ukraine, die Europäische Union und die USA an einen gemeinsamen Tisch bringen kann. Das allerdings hat nur eine Erfolgschance, wenn man zuvor klärt, worüber diese Gruppe eigentlich sprechen soll. EU-Diplomaten sagen, das genau sei derzeit das Problem. Eine Einbindung Russlands sei „keine Belohnung“, sondern gehorche der Not: Schließlich sei die Ukraine wirtschaftlich ohne Hilfe des Energielieferanten Russland nicht zu stabilisieren. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton tat schon am Samstag so, als sei die Kontaktgruppe beschlossene Sache und sprach von „einem starken Weg vorwärts“.

Schutz der baltischen Länder

Andere sehen das anders. „Wir erkennen jetzt, dass das, was geschehen ist, Teil eines russischen Verhaltensmusters und kein isolierter Vorgang ist“, sagte ein ranghoher Nato-Diplomat am Rande eines Treffens der Außenminister der Allianz. Georgien mit Südossetien und Abchasien, die Republik Moldau mit Transnistrien und nun die Ukraine mit der Krim - dies sei Teil von Putins Bestreben, möglichst viel der einstigen Sowjetunion herzustellen. Russland habe „das Regelwerk, das jahrelang für die europäische Sicherheitspolitik gegolten hat, zerrissen“.

Die Schlussfolgerung daraus: Die Nato muss massiv die nach der von Putin angeführten Logik potenziell besonders betroffenen Staaten mit großer russischstämmiger Bevölkerung - vor allem die drei baltischen Länder - schützen. Deswegen müssten innerhalb der Nato zumindest Flugzeuge, möglichst auch Truppen, in den Osten verlegt werden.

Die Frage, wie zwangsläufig oder wie beeinflussbar Putin handelt, bestimmt auch den Meinungsstreit um die Zukunft der Ukraine. Stefan Füle, der aus Tschechien stammende EU-Kommissar für die Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsfragen, will für die Ukraine sogar eine EU-Mitgliedschaft nicht ausschließen. Die EU sei „verpflichtet“, auch ihr „stärkstes Instrument“ für politischen Wandel zu nutzen. Und in der Nato gibt es eine Reihe von Staaten, die für einen möglichst raschen Beitritt der Ukraine zum Bündnis plädieren. Zu denen gehört allerdings nicht US-Präsident Barack Obama: Er ließ in Brüssel wissen, weder die Ukraine noch Georgien könnten in überschaubarer Zukunft Nato-Mitglieder werden.

Sollte es zu der Kontaktgruppe kommen, dann würde dort vermutlich auch über ein ganz anderes Szenario gesprochen werden: Das einer neutralen Ukraine. Sowohl von Finnen als auch von Österreichern hat sich die Übergangsregierung von Arseni Jazenjuk dazu schon beraten lassen. Beide hätten versichert, dass man als neutrales Land in Europa durchaus überlebensfähig sei. Ungewiss ist allerdings, ob die nächste ukrainische Regierung diesen Weg einschlagen will und kann. Einen großen Schritt müsste sie nicht machen: Schon 2010 hatte sich die Ukraine offiziell für blockfrei erklärt. (dpa)