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Was unsere Urenkel erfahren

Claus-Dirk Langer ist Chronist der Stadt Meißen – was macht er da genau?

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© Claudia Hübschmann

Von Udo Lemke

Meißen. Wenn unsere Nachkommen in hundert Jahren wissen wollen, was beispielsweise am 1. Juli 2015 in der Stadt Meißen los gewesen ist, dann werden sie drei Einträge finden. Erstens: „Nach Angaben des Arbeitsamtes Riesa ist die Arbeitslosigkeit im Juni 2015 im Kreis Meißen erstmals auf unter 8 Prozent gesunken.“ Zweitens: „Als neuer Verantwortlicher für Stadtmarketing kommt Christian Friedel (37) in die Meißner Stadtverwaltung.“ Und drittens: „In der Porzellan-Manufaktur müssen 90 Mitarbeiter in Kurzarbeit wechseln.“

Zusammengetragen hat diese Informationen Claus-Dirk Langer. Der studierte Architekt und erprobte Stadtplaner ist seit reichlich einem Jahr der Stadtchronist von Meißen. Und wie die eingangs angeführten Zitate belegen, besteht seine Arbeit nicht darin, in der 1000-jährigen Vergangenheit Meißens zu forschen, sondern die Gegenwart möglichst prägnant für künftige Generationen festzuhalten. So passt etwa das vergangene Jahr auf 37 A 4-Seiten.

Einmal im Jahr eine Chronik

„Ich versuche, die aktuellen Ereignisse festzuhalten und lege dem Stadtrat einmal im Jahr eine Chronik darüber vor“, erzählt Claus-Dirk Langer. Sechs Stunden in der Woche hat er dafür Zeit. Ansonsten arbeitet er als Fotograf und Publizist, zuletzt erschien sein Text-Bild-Band „Verlorene Orte in Meißen“ über verfallende Wohn- und Industriearchitektur in der Stadt.

Das Interesse dafür war schon in der Dresdner Studentenzeit da, wo er sich auf Baugeschichte und Denkmalpflege spezialisierte. Die Doktorarbeit an der TU hatte Herrenhäuser und Schlösser in der Niederlausitz, also im damaligen DDR-Bezirk Cottbus, zum Thema. Eine Pionierarbeit, hat Claus-Dirk Langer doch teilweise Herrenhäuser und Schlösser aufgemessen, fotografiert und beschrieben, die kurze Zeit später den Braunkohlebaggern zum Opfer fielen. 1987 kam er nach Meißen, ins damalige Büro für Stadtplanung und „von 1990 bis 2002 war ich für die Stadtplanung zuständig“. Damals wurde die Sanierung der Altstadt mit ihren 410 Häusern angepackt. „Wahrscheinlich hat es nie eine intensivere Bautätigkeit in der Altstadt gegeben.“

Schwerpunkt: Büchermachen

Auch heute noch nimmt Claus-Dirk Langer den einen oder anderen Planungsauftrag als freier Architekt an. Doch der Schwerpunkt seiner Arbeit ist nun das Büchermachen geworden. Er hat einen aufwendigen Band mit Meißner Stadtplänen herausgegeben, einen Architekturführer über die Stadt und ein Buch, das historische und heutige Gebäudeansichten gegenüberstellt. Als Stadtchronist arbeitet er ehrenamtlich, aber nicht ganz umsonst. Er wird nach den Regeln für geringfügig Beschäftigte honoriert.

Was die Stadtchronik betrifft, so soll sie möglichst objektiv Informationen über das städtische Leben versammeln. „Ich schreibe ganz neutral auf, was geschehen ist, damit nachfolgende Generationen wissen, was geschehen ist.“ Allerdings ist die Grundlage dafür subjektiv: „Was ich für wichtig halte, wird aufgenommen.“ So kommt es, dass sich für den Monat Juli 2015 auch die Nachricht findet, dass am 4. die Lange Nacht der Kunst, Kultur und Architektur stattgefunden hat. „Es ist kein Ereignis von stadtgeschichtlicher Dimension, aber es sagt doch etwas über das Leben in Meißen aus.“ Orientiert hat sich Claus-Dirk Langer bei seiner Arbeit an Chroniken von Städten wie Bautzen oder Leipzig.

Wie war das mit dem Lift?

Bleibt man beim Juli 2015, so findet sich die Mitteilung, dass sich Bundestagsabgeordnete von Grünen, Linken und SPD die durch einen Brandanschlag beschädigte Asylunterkunft in der Rauhentalstraße angesehen haben und dass die Stadt die Jahnsporthalle für 33 000 Euro im Internet angeboten hat. Und dann findet sich dort ein Eintrag zum Aufzug am Burgberg: „Der Lift war am 11. Mai 2011 in Betrieb genommen worden und seitdem an mehr als 100 Tagen wegen technischer Mängel ausgefallen.“ Was wohl unsere Urenkel dazu sagen, wenn sie das in hundert Jahren lesen?