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Was war denn nun am 11. September, Herr Bröckers?

Ein Verschwörungstheoretiker will Mathias Bröckers nicht sein, doch er hat viele Fragen, die ihn zweifeln lassen.

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Von Jörg Marschner

So sieht also einer der erfolgreichsten deutschen Verschwörungsgurus aus: Matthias Bröckers ist sehr schlank, leger gekleidet, unterm grauen Sakko trägt er ein weißes T-Shirt, dazu passend ein weißes Basecape, das seinen spärlichen Haarwuchs bedeckt. Er kommt gerade von der linken Berliner Zeitung „taz“, bei der er nach einem Studium ab 1980 elf Jahre als Kulturredakteur arbeitete und die er seit vier Jahren bei ihrer digitalen Entwicklung berät. Viel Zeit hat er nicht. Ein Radiogespräch steht noch an, und vorher muss er unbedingt etwas mit seinem Sohn, der Anwalt und Dozent für Strafrecht ist, besprechen. Es geht etwas hektisch zu bei Matthias Bröckers, nachdem im Juli im Westendverlag das Buch „11. 9. Zehn Jahre danach. Einsturz eines Lügengebäudes“ erschien, das er zusammen mit dem Journalisten Christian C. Walther schrieb.Der Titel sagt es: Bröckers und Walther greifen die offizielle Tatversion der US-Regierung vom vierfachen Terrorangriff frontal an. Sie machen das geschickt: „Auch wir kennen die Wahrheit des 11. Septembers nicht“, schreiben sie, „aber wir kennen die Lügen …, und wir wissen, wer sie in die Welt gesetzt hat.“ In 38 Kapiteln schildern sie Widersprüche, Ungereimtheiten und Merkwürdigkeiten. So die Geschichte von Hani Hanjour, der eine Boeing 757 im Tiefflug ins Pentagon, das Verteidigungsministerium, steuerte. Einen Monat vorher war ihm das Ausleihen einer Cessna 172 verweigert worden, weil er die kleine Maschine weder allein fliegen noch landen konnte. Und dann der metergenaue Terrorflug mit einem Jumbo-Jet? Bröckers zweifelt.

Oder die Sache mit dem Reisepass von Satam Al-Sukami, einem der Entführer des Flugzeuges, das in den WTC-Nordturm raste und dabei einen riesigen Feuerball auslöste. Öffentlich vorgelegt wurde dieser Pass vom FBI, der Bundespolizei, 2006 in einem Prozess gegen einen Terroristenhelfer. Völlig unversehrt gefunden worden sein soll er laut offizieller Version am 11. September von einem Passanten, kurz bevor die beiden Türme in sich zusammenstürzten. Der Pass, der aus dem Inferno trudelte – kann das sein?

Schließlich der Fall von Khalid Scheich Mohammed, festgenommener Chefplaner des Attentats, der 180-mal der Folter mit Waterboarding unterzogen wurde und alles gestand. Doch die erst sehr spät, unter öffentlichem Druck eingesetzte Regierungskommission durfte den Kronzeugen weder sprechen noch die Vernehmungsprotokolle lesen. Warum diese Geheimniskrämerei? Solche Fragen stellen Bröckers und Walther dutzendfach.

Freunde machen sich die beiden Autoren damit nicht. Für den bekannten Enthüllungsjournalisten Hans Leyendecker von der „Süddeutschen Zeitung“ war Bröckers schon sehr früh ein „argumentativer Schwindler“. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ sieht in seinem Buch „paranoide Pseudoenthüllungen“ und blanken „Antiamerikanismus“. Wenn es gar zu toll wird und Bröckers seine Persönlichkeitsrechte verletzt sieht, schaltet er auch schon mal seinen Anwalt ein. Er scheut den Streit nicht, eher mag er ihn. „Ich ballere zurück, da kenne ich nichts“, sagt er selbstbewusst, aber unaufgeregt. Das Internet liebt er. Es gibt ihm Öffentlichkeit, in ihm schreibt und streitet er fast täglich. Manche Fehden lassen sich über Jahre zurückverfolgen. Auch Ironie mag er. Die Tatsache, dass im Jahr vor dem Anschlag in den USA 56-mal Abfangjäger starteten, um vom Kurs abweichende oder nicht antwortende Maschinen zu kontrollieren, am 11. September aber nicht einer, kommentiert er im Gespräch lakonisch: „Was für ein Zufall!“

„Ich wurde auch schon als nicht zurechnungsfähiger bekiffter Journalist bezeichnet, über so was kann ich nur lachen“, sagt Bröckers. Das „bekifft“ bezieht sich offensichtlich auf eine frühere Schaffensphase, als Bröckers durch Bücher wie „Hanf im Glück“ bekannt wurde. Fast ein Jahrzehnt lang leitete er das „HanfHaus“ und bot im Großhandel Spaghetti, Gummibärchen mit Hanfextrakt, Hosenträger, Möbelpolitur, Likör, Damenslips und Klobürsten an – alles aus Hanf, aber nicht berauschend.Wie Millionen in aller Welt verfolgte Bröckers den 11. September vorm Fernseher. „Ich sah das alles und wunderte mich, dass schon nach kurzer Zeit CNN das erste Mal den Namen Osama bin Laden nannte und dass der schon am nächsten Tag nicht ein Verdächtiger, sondern der Täter war.“ Da habe er so ein Bauchgefühl gehabt, das ihn zur Skepsis mahnte. Dies umso mehr, da er auf Anregung seines Verlags an einem Buch über Verschwörungen saß. Den Satz, den er am Morgen geschrieben hatte, kennt er noch heute: „Verschwörungstheorien reduzieren komplexe Ereignisse auf eine einfache Ursache oder einen Sündenbock.“ Daraus wurde 2002 das Buch „Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9.“. Das verkaufte sich in der deutschen Ausgabe 140 000-mal und wurde in sechs Sprachen übersetzt. Und weil das Thema so gut lief, schrieb Bröckers dazu zusammen mit einem Kollegen unter dem Pseudonym John S. Cooper zwei Thriller – „Das Fünfte Flugzeug“ bringt der WDR jetzt als zweiteiliges Hörspiel.

Fast 90 Prozent der Deutschen glauben einer Umfrage zufolge, dass die US-Regierung nicht die „ganze Wahrheit“ über den 11. September sagt. Da gehen Bücher über Verschwörungen gut. Den Vorwurf, es locke ihn nur das Geld, weist Bröckers zurück. Sein erstes Buch sei zuvor kostenlos in Fortsetzungen auf Telepolis im Internet zu lesen gewesen. „Es geht nur um die Wahrheit“, sagt Bröckers. Er sei nicht der Erfinder von Verschwörungen, sondern deren Analytiker. Selbst gute Bekannte sagen trotzdem zu ihm: „Bleib mir vom Acker mit deinem Nine-eleven-Zeug“. Das stört ihn nicht allzu sehr. Dass das Buch in der Spiegel-Bestsellerliste auf Platz 31 abgerutscht ist, schon eher. „Sonst läuft es gut“, sagt Bröckers. Termine bei SWR und MDR, bei Radio Fritz Berlin, nächste Woche beim ORF in Wien. Große Besprechungen in der „Süddeutschen Zeitung“ und in „Titel, Thesen, Temperamente“, dem ARD-Kulturmagazin. „Sehr objektiv“, sagt Bröckers, „der Affront ist nicht so groß wie 2002.“Dass er aber am Ende nichts erreichen, dass sich in den USA kein Staatsanwalt für die Aufnahme neuer Ermittlungen finden wird, ist ihm klar. „Vielleicht in 50 oder 60 Jahren, wenn die Akten aufgehen“, sagt Bröckers. Denn dass er recht hat, daran kann ihn nichts beirren.