Von Marleen Hollenbach
Bautzen. Die Tür ist fest verschlossen. Und doch ahnt Hans-Georg Karpf schon, dass Kundschaft kommt. Am Scheppern hat er es erkannt. „Das muss der Gisbert sein“, sagt er. Tatsächlich öffnet sich Sekunden später das große Tor am Bautzener Rathaus. Doch der Gisbert ist es nicht. Ein junger Mann mit schwarzer Jacke und einer dicken Wollmütze betritt den Raum im Keller. Vorsichtig hebt er vier Paletten voll mit dreckigen Tassen von seinem Handwagen. Es ist Punkt 17 Uhr in Bautzen. Für Karpf beginnt jetzt der Arbeitstag.
Alle dreckigen Glühweintassen kommen an diesem Nachmittag bei ihm und seinen Kollegen an. Er ist dafür verantwortlich, dass die Becher wieder hygienisch sauber werden. Obwohl das so nicht ganz stimmt. Die Drecksarbeit – wenn man so will – übernehmen andere. Drei professionelle Maschinen stehen bereit. Mit einer schnellen Handbewegung schiebt Hans-Georg Karpf eine Palette nach der anderen in die richtige Position. Dann stülpt er einen metallenen Kasten darüber. Um den Rest kümmert sich die Technik.
Bei 90 Grad werden die Tassen gespült. Das ist so Vorschrift. Fünf Minuten dauert das etwa. Anschließend kann Hans-Georg Karpf die noch vor Hitze dampfenden Paletten aus der Maschine heben. Übereinandergestapelt können die Tassen trocknen – bis zu ihrem nächsten Einsatz.
Heiße Schokolade ist hartnäckig
Etwa 30 000 verschiedenfarbige Becher sind beim Bautzener Wenzelsmarkt im Umlauf. Ganz genau könne man das aber nicht sagen, meint Karpf, der nach jeder Reinigung einige Tassen kontrolliert. Der Glühwein lässt sich gut entfernen, doch heiße Schokolade ist da schon hartnäckiger. „Wir haben in diesem Jahr erstmals Probleme damit. Offenbar hat der Händler die Sorte der Schokolade gewechselt“, meint Karpf lächelnd. Das Problem ist schnell behoben. Für besonders schmutzige Tassen gibt es einen zweiten Spülgang.
Manchmal finden Karpf und seine Kollegen aber auch kaputte Tassen auf den Paletten. Die werden sorgsam aussortiert. Eine kniehohe Kiste voll mit Scherben steht am Eingang der Spülküche. Am Ende des Weihnachtsmarktes, so weiß der Mann mit der grauen Weste, werden es mindestens vier volle Kisten sein. Bruch, nennt der Experte das. Damit müsse man immer rechnen. Das ist auch ein Grund, warum jedes Jahr 8 000 bis 10 000 neue Tassen für den Wenzelsmarkt gekauft werden. Ein anderer ist, dass die Gäste immer wieder neu gestaltete Tassen erwarten und sich einen solchen Becher auch gern als Souvenir mit nach Hause nehmen.
Mit Klingel am Handwagen
Mittlerweile hat der Mann in Schwarz saubere Tassen auf seinen Handwagen geladen. Er heißt Peter Zuschke und hat es jetzt richtig eilig. Die Becher werden am Glühweinstand an der Reichenstraße dringend benötigt. Doch er muss auch vorsichtig sein, will er heute keine Scherben produzieren. Ob ihm das gelingt? Kaum hat er seinen Wagen ein Stück geschoben, tritt schon das erste Problem auf. Eine kleine Touristengruppe vor dem Bautzener Rathaus steht ihm im Weg. Genau für solche Fälle hat Zuschke eine Klingel an seinen Handwagen montiert. Es funktioniert. Die Gruppe teilt sich, gibt den Weg frei.
Den Hang hinunter zum Hauptmarkt muss Peter Zuschke den Wagen gut festhalten, damit er nicht zu schnell über das Kopfsteinpflaster rattert. Dann hat er endlich die Reichenstraße erreicht. Doch auch dort wird es noch einmal richtig brenzlich. Eine Bordsteinkante muss er überwinden. Zuschke holt kurz Schwung, die Tassen klirren gefährlich, doch alles bleibt heil. Am Stand wartet schon die Chefin, nimmt den Tassen-Nachschub gern entgegen. Einen Becher nach dem anderen schenken ihre Verkäufer an diesem Nachmittag aus. Die Bautzener sind in Glühweinlaune.
Das Klirren im Kopf
Während die einen ihr Getränk genießen, kommt Hans-Georg Karpf langsam ins Rotieren. Ein Händler nach dem anderen will neue Tassen abholen. Und allmählich spürt er die Arbeit im Rücken. Kein Wunder. Auf eine Palette passen 36 Tassen. Fast zehn Kilo wiegt das insgesamt. Ein Job, bei dem man fit sein muss. Doch die körperliche Anstrengung stört Karpf gar nicht. Ihn und seinen Kollegen belastet etwas anderes. „Irgendwann verfolgt dich dieses Klirren der Tassen. Das bekommst du so schnell nicht mehr aus dem Kopf“, sagt er.
Wieder scheppert es. „Das muss jetzt aber der Gisbert“, meint Hans-Georg Karpf. Auf den Mann mit der leuchtend gelben Jacke hat er schon gewartet. Gleich für mehrere Händler sammelt Gisbert die Tassen ein, gibt sie bei der Spülküche ab. „Du bist ein echtes Unikum“, begrüßt Karpf ihn. Ein kurzer Plausch über die Besucher und ihre Trinkfestigkeit, dann scheppert Gisbert mit den neuen Tassen davon. Allen ist klar: Der wird heute noch mal wiederkommen.
Der Bautzener Wenzelsmarkt hat noch bis einschließlich Sonnabend für Besucher geöffnet.