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Weißstorch aus Schornstein gerettet

Über Großschönau und Waltersdorf fliegt ein schwarzer Storch. Aber er ist gar keiner. Und er hat jetzt Riesenglück gehabt.

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© Gerd Goldberg

Von Holger Gutte

Majestätisch stolziert der schwarze Storch über eine Wiese in Saalendorf. Gerd Goldberg hat das seltene Exemplar endlich vor die Linse seiner Kamera bekommen. Der Storch kann dem erfahrenen Hobby-Tierfotografen allerdings nichts vormachen. Der Waltersdorfer kennt seine aufregende Geschichte. Er weiß, dass es kein Schwarzstorch ist, der über Waltersdorf und Großschönau fliegt und auf den Wiesen ringsum seine Leckerbissen sucht.

Angelika Fröhlich zeigt den Schornstein, in den er hineinstürzte ...
Angelika Fröhlich zeigt den Schornstein, in den er hineinstürzte ... © Matthias Weber
.. und die Öffnung, aus der er gerettet wurde.
.. und die Öffnung, aus der er gerettet wurde. © Gerd Goldberg

Das Tier verhält sich völlig normal und zeigt keine Spur einer Verletzung. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, da schien der Storch dem Tode nahe. Damals ist sein Federkleid noch schneeweiß gewesen. Zusammen mit einem Artgenossen stand er auf dem Schornstein am Lindenweg 10 in Großschönau. Plötzlich waren beide weg. Aber nur einer von ihnen ist weggeflogen. Geistesgegenwärtig reagieren damals Nachbarn, denen das auffällt.

Sie klingeln bei den Besitzern des Hauses, zu dem der stillgelegte Schornstein gehört. „Wir haben gerade mit Bekannten im Garten gegrillt“, erzählt Angelika Fröhlich. So aufgeregt, wie die Nachbarin erzählt, glaubt sie ihr sofort. Der Schornstein wird schon viele Jahre nicht mehr genutzt. Er wurde zu DDR-Zeiten von einer größeren Bäckerei genutzt. Viele Großschönauer kennen das Gebäude aber eher noch als „Haus der Technik“. Etwa 28 Meter ist der Schornstein hoch. Die einzige Möglichkeit, sich zu überzeugen , ob der Storch wirklich in den Schornstein gefallen war, ist, die Klappe für den Schornsteinfeger zu öffnen.

Alle blicken gespannt auf die Metallklappe. Und dann trauen sie ihren Augen nicht. „Da stand wirklich ein Storch drin. Zu sehen waren aber nur seine Beine“, sagt Angelika Fröhlich. Aber wie sollen sie das Tier herausbekommen. Er scheint ausgewachsen zu sein. Und die Klappe gibt lediglich eine Öffnung von exakt 40 mal 40 Zentimeter frei. Da drin steht schließlich nicht die zutrauliche Hauskatze, die man retten will, sondern ein verängstigtes Wildtier. Und noch dazu ist es deutlich größer als die kleine Öffnung, aus der der Schornsteinfeger nach dem Kehren lediglich den Ruß herausholen will.

Der Storch steht ganz ruhig da und rührt sich nicht. Mit einer Harke lässt er sich sogar ohne große Mühe an die Öffnung herandrücken. Einer der anwesenden Männer fasst sich schließlich ein Herz, packt den Storch und zieht ihn durch das kleine Loch. „Ich weiß auch nicht, wie der Mann das geschafft hat. Aber plötzlich war der Storch draußen“, schildert Angelika Fröhlich. Der Storch lässt sich umarmen und durch das Haus auf den Hof tragen. Regungslos steht er da. Erst jetzt bemerken die Retter, dass sein Federkleid völlig schwarz ist. „Ich wollte schon den Tierarzt rufen und fragen, was wir tun sollen“, sagt die 54-jährige Großschönauerin. Da zeigt der Storch plötzlich seine riesige Flügelspannweite und fliegt weg. Er gewinnt sofort richtig an Höhe. „Deshalb sind wir relativ sicher gewesen, dass er sich nicht verletzt hatte“, meint sie. Wahrscheinlich stand der Storch durch den Sturz in den Schornstein nur unter Schock und ließ sich deshalb so einfach herausziehen.

Einen Tag später fliegt der „Schwarzstorch“, den zumindest einige jetzt dafür halten, wieder über das Grundstück. Diesmal landet er aber auf dem Schonstein der nicht weit entfernten Werkzeugschmiede. Tierfotograf Gerd Goldberg macht ein paar Tage später erneut Fotos von ihm. Noch immer ist er vollkommen schwarz vom Ruß im Schornstein.

Und das wird er auch noch eine Weile bleiben, ist sich der Storchenbeauftragte im Altkreis Löbau-Zittau, Dietmar Spittler, sicher. „Mit Putzen kann er sich von dem fettigen Ruß auf seinen Federn nicht befreien“, sagt er. Nach der Brutzeit mausern sich die Störche aber. Das geschieht Ende Juni und Juli bei Störchen aber nur stückweise. Sie verlieren nur einzelne Federn, damit sie flugfähig bleiben. „Bei ihnen ist das anders als beispielsweise bei Enten“, sagt er. Wenn man jetzt die Erpel in ihrer Mauser an den Teichen beobachtet, kann man sie kaum noch von den Weibchen unterscheiden, weil sie ihr buntes Federkleid verloren haben, schildert er.

Dietmar Spittler weiß aus seiner langjährigen Erfahrung und Mitarbeit in der Fachgruppe Ornithologie, dass der verunglückte Großschönauer Storch kein Einzelfall ist. „Immer wieder fallen mal Störche in Schornsteine. Ganz selten wird das aber bemerkt“, sagt er. Wegen ihrer Flügelspannweite kommen sie allein aber nicht mehr heraus und verenden. In Sachsen sind vor der Wende mal in einem stillgelegten Schornstein die Überreste von etwa 50 Störchen gefunden worden, berichtet Dietmar Spittler. Deshalb appelliert er schon viele Jahre daran, stillgelegte Schornsteine abzudecken.

Echte Schwarzstörche gibt es allerdings auch im Altkreis Löbau-Zittau. In diesem Jahr ist schon einer in Bertsdorf gesehen worden. Aber auch in Olbersdorf, Oybin und Oderwitz gab es schon welche. „Schwarzstörche sind eigentlich scheuer und bevorzugen Waldgebiete. Zunehmend sieht man sie bei uns jetzt aber auch über Dörfer fliegen“, schildert Dietmar Spittler. „Das liegt daran, dass unsere Wälder immer mehr austrocknen und in den Bächen wieder Fische sind“, berichtet Dietmar Spittler.