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EU-Kommissar im Kraftwerk Boxberg

Wandel geht nicht ohne die Menschen, sagt der Luxemburger Nicolas Schmit. Beeindruckt ist er von der Strategie der Leag zur Transformation – und über die Sozialpartnerschaft dabei.

Von Constanze Knappe
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Am Pult eines Leitstandes aus den 70er-Jahren informierte sich EU-Kommissar Nicolas Schmit im Gespräch mit Regionalentwicklungsminister Thomas Schmidt, Leag-Vorstand Hubertus Altmann, Landrat Dr. Stephan Meyer und Kraftwerksleiter Carsten Marschner (v.li.
Am Pult eines Leitstandes aus den 70er-Jahren informierte sich EU-Kommissar Nicolas Schmit im Gespräch mit Regionalentwicklungsminister Thomas Schmidt, Leag-Vorstand Hubertus Altmann, Landrat Dr. Stephan Meyer und Kraftwerksleiter Carsten Marschner (v.li. © Constanze Knappe

So sauber? Das ist ein Kohlekraftwerk? Etwas ungläubig schaute EU-Kommissar Nicolas Schmit drein, als er am Freitag vor den Toren des Kraftwerks Boxberg von Hubertus Altmann, Vorstand der Lausitz Energie Bergbau AG (Leag), und Kraftwerksleiter Carsten Marschner empfangen wurde. Die dicken Wolken drückten den Wasserdampf aus den Kühltürmen nieder und hüllten sie ein. Eigentlich wollte man dem Luxemburger Gast vom Dach der Leitwarte aus einen Überblick verschaffen. Doch mit den ersten Schneeflocken dieses Winters wurde das zu gefährlich. Es sei „kein gutes Besucherwetter, aber dafür gutes Produktionswetter“, hieß es stattdessen. So tat es auch ein Blick in das mit zahlreichen Monitoren bestückte Herzstück des Kraftwerks – die Leitstandswarte. Aus dieser Zentrale werde der gesamte Betrieb gefahren.

EU-Kommissar Schmit, der für Beschäftigung und soziale Rechte zuständig ist, wollte sich über die Anforderungen von Energiekrise und Strukturwandel informieren. „Die Kraftwerke, die noch zur Verfügung stehen, sind das Rückgrat der Energiewende. Trotz der vielen Störfeuer von außen machen die Leute hier zuverlässig ihren Job“, versicherte Carsten Marschner. Im Kraftwerk Boxberg sind 550 Mitarbeiter in fünf Schichten beschäftigt, Doch ohne den Bergbau, so Leag-Vorstand Altmann, wäre das Kraftwerk nicht lebensfähig. In den Tagebauen Nochten und Reichwalde stehen zusammengenommen weitere 700 Mitarbeiter in Lohn und Brot. Überdies habe die Leag viele mittelständische Zulieferer und Servicefirmen unter Vertrag. Das mache zusammen 4.000 Leute, hieß es.

Nicolas Schmit interessierte, wie lange die Kohle reichen würde, „wenn nicht 2038 Endstation wäre“. Selbst im genehmigten Bereich würde die Kohle weit über 2038 hinaus reichen, es gebe jedoch noch viel mehr Vorräte. „Aber diese Diskussion wollen wir gar nicht mehr führen“, so Hubertus Altmann. Das Gesetz verpflichtet zum Kohleausstieg. Und für die Verkürzung der Laufzeiten gebe es eine Entschädigung.

In die älteren Blöcke aus Mitte der 80er Jahre sei viel Geld reingesteckt worden, um sie weiterfahren zu können. Sie sollen 2029/30 außer Betrieb gehen, 2038 die beiden Jüngeren von 2000 und 2012. Sie würden dann „technisch erschöpft sein, insofern passe die Auslaufkurve“, sagte der Kraftwerksleiter. Wenig Verständnis hat man deshalb bei der Leag, dass an dem ausgehandelten Kompromiss gerüttelt und der Kohleausstieg womöglich auf 2030 vorgezogen wird. „Als Unternehmen brauchen wir Planungssicherheit, auch um unseren Mitarbeitern eine Perspektive geben zu können“, betonte Hubertus Altmann.

Nicolas Schmit hatte sodann eine ganz praktische Frage: „Für die vielen Elektroautos, die wir alle wollen, brauchen wir sehr viel Strom. Doch wo soll der herkommen?“ Das beschäftigt auch hierzulande viele Menschen. In der Energiekrise laufen jetzt alle Kraftwerke der Leag „volle Pulle unter Dampf“, um die Versorgungssicherheit zu garantieren. Dafür seien auch zwei in Jänschwalde bereits stillgelegte Blöcke wieder hochgefahren worden. Der Vollständigkeit halber erwähnte Altmann noch, dass das Kraftwerk Fernwärme nach Boxberg und Weißwasser liefere und weiterhin ein guter Partner der Kommunen bleiben wolle.

Das Unternehmen hält am Energiestandort Boxberg fest. Es sei aber kein Geheimnis, dass sich die Leag in der strategischen Ausrichtung den erneuerbaren Energien zuwendet. Man wisse, „dass der konventionelle Betrieb endlich ist“. In einem kurzen Abriss skizzierte Hubertus Altmann, der selber in der Firma von der Pike auf gelernt hat und mittlerweile 45 Jahre dabei ist, wohin die Reise gehen soll.

Investitionen in die Zukunft

Mit der GigaFactory will man zum größten deutschen Zentrum für erneuerbare Energien werden. 2023 soll der Bau von Batterieanlagen beginnen. Doch Strom muss es 24 Stunden geben. Deshalb plant die Leag für Boxberg „ein Wasserstoffkraftwerk mit Horizont 2030“. Weil die Infrastruktur dafür dann noch nicht vollständig verfügbar sein wird, werde man den Wasserstoff zunächst selber produzieren. Sukzessive wolle man die Kohlekraftwerke aus dem Markt nehmen. Mit deren Auslaufen soll es aber „im gleichen Maße einen Zuwachs durch andere Energieträger“ geben. Dabei werde das Personal mitgenommen – durch Anpassung der Tätigkeitsbilder und der Ausbildung. „Es ist ein Spannungsfeld: Das Eine verantwortungsbewusst bis zum letzten Tag zu machen und parallel dazu das Andere zu entwickeln“, sagte er.

Bis 2038 will die Leag nach Aussage von Altmann jedes Jahr eine Milliarde Euro investieren. Dafür bedürfe es aber der dringenden Freigabe der Entschädigung von 1,75 Milliarden Euro. „Das wäre für uns eine große Rückendeckung“, wandte er sich an den EU-Kommissar mit der Bitte um Unterstützung in dem noch immer nicht abgeschlossenen Beihilfeverfahren.

Der Sächsische Staatsminister für Regionalentwicklung betonte, dass man neben möglichen Neuansiedlungen auch die im Blick haben müsse, die schon da sind. „Es freut mich, dass die Leag selber eine Perspektive entwickelt und nicht bloß die Prämie kassiert und weg ist, wie es Viele unterstellen“, so Thomas Schmidt (CDU).

Die 15 Jahre bis 2038 würden lang erscheinen, seien aber sehr kurz, stellte der EU-Kommissar fest. „Man kann nicht nur Anforderungen zum Ziel stellen, man muss auch flexibel sein, was den Weg dahin betrifft. Also werden wir über die Beihilfe reden“, versprach Nicolas Schmit. Es dürfe keine abrupten Geschehnisse geben, wo die Menschen vor dem Nichts stehen. „Wandel geht nicht ohne die Menschen. Perspektive heißt: gute und sichere Arbeitsplätze“, sagte er. Die Leag könne man zu den Ersatzaktivitäten nur beglückwünschen. Er sehe das optimistisch, weil es einen klaren Plan gebe, dessen Umsetzung in 15 Jahren machbar sei. Mit europäischem Geld könne der Prozess der Ausbildung und Umschulung begleitet werden.

Mit großem Interesse nahm der EU-Politiker zur Kenntnis, dass die Strategie der Leag mit den Betriebsräten abgestimmt sei. „Die Transformation wird gelingen, wenn der Sozialdialog funktioniert“, sagte er. Da habe Deutschland einen kleinen Vorteil in der Mitbestimmung. Dass es unter Sozialpartnern auch Streit gibt, sei normal, aber für die großen Ziele müsse man sich einig sein. „Wir haben den Kohlekompromiss akzeptiert, nicht freudestrahlend, aber wir haben es angenommen. Die jetzigen politischen Schwingungen verunsichern unsere Leute“, erklärte Martina Kutter, Betriebsratsvorsitzende im Kraftwerk. Was die Beihilfen angeht, betonte auch sie, dass man das Geld dringend brauche – für Investitionen und ebenso für einen sozialverträglichen Personalabbau und Umschulungen in andere Berufe. Man stehe immer in einem partnerschaftlichen Dialog, bestätigte Silke Rudolf, die Betriebsratsvorsitzende des Tagebaus Nochten. „Auch mit Gemeinden, die Leute bauen auf die Leag“, sagte sie.