Er ist nicht aufzuhalten, die Vögel verkünden sein Näherkommen: Der Frühling naht! Balzzeit. In der Natur werden die Karten jetzt neu gemischt. Und bei uns Menschen, alles beim alten? Wir könnten ja auch ein bisschen rumbalzen, vorschriftsmäßig, sogar unter Rechtsaufsicht! Zum Beispiel hat die Stadt Weißwasser noch nie mit einer Nachbargemeinde ernsthaft angebändelt. Dabei wäre die Brautschau zurzeit vielleicht sogar von Erfolg gekrönt. Schließlich ist das benachbarte Trebendorf, wie man hört, noch uneins, ob (und wenn ja: wen) es heiraten möchte.
Einiges spricht wohl für Schleife. Nun ja, mag sein, ist ja fraglos recht fesch, die Kandidatin. Und Weißwasser, beileibe, war schon immer das Einzelkind, allein im Wald, während alle anderen drumherum zu Muskau, Schleife oder Priebus gehörten. Schleifer Kirchspiel, Standesherrschaft Muskau – das sind historische Gebilde. Weißwasser war bis vor 150 Jahren ein nahezu von allen vergessener Haufen Häuser im Wald. Und dann, als es boomte und aus seinen Nähten platzte, hat irgendwie keiner so richtig dran gedacht, das Städtchen für eine womögliche Verehelichung auch mal ein bisschen hübsch zu gestalten.
Wilhelm Wagenfeld, der große Glasdesigner, tat sich anfangs ziemlich schwer mit der wuchernden und fransigen Glasstadt, die ihn an amerikanische Industriestädte erinnerte. Doch vielleicht liegt genau hier die eigentliche Mitgift: die einzigartige Industriegeschichte, die aus einem Heidedorf eine kleine Weltstadt machte. Was könnte Weißwasser in eine Heirat einbringen? Ein tolles Industriegebiet, das noch wachsen wird. Global agierende Unternehmen. „Gnubbel“- und andere Erfinder. Handwerksbetriebe. Kreative. Bundesliga-2-Profi-Eishockey. Tierpark. Schwimmhalle. Schulen. Berufsschulzentrum. Volkshochschule. Vielleicht bald eine Uni-Zweigstelle. Ein Bundesamt nebst benachbartem Baugebiet am Ziegelteich. Einen 30 Meter hohen Aussichtsturm und eine 200 Meter lange Holzbrücke, die bald in neuem Glanz erstrahlt, tolle Umgebung, ein Glasmuseum. Und Bahnanschluss nach Berlin! (Ok, den hätte Schleife auch ...)
Historisch verbinden Trebendorf und Weißwasser wohl die Wälder zwischen beiden Orten und Mühlrose – das Jagdrevier der Standesherren mit Urwald und Jagdschloss, das die drei Orte umschlossen. Leider gibt es all das nicht mehr, sogar das alte Dorf Mühlrose scheint noch dem Fegefeuer geweiht. Diese bittere Pille könnte man zu zweit vermutlich besser lutschen und verdauen.
Es ist Vorfrühling, die Balz könnte beginnen. Trebendorf wird sich der Sache „Gemeindeehe“ irgendwann stellen müssen, die Zeit sitzt wohl auch in Gestalt der Rechtsaufsicht im Nacken. Die Entscheidung, den Bund fürs Leben einzugehen, sollte wohl überlegt und keinesfalls ein bloßes Frühlingsgefühl sein. Doch wenn, dann sollten sich für solch einen Bund ja stets beide künftigen Partner etwas aufhübschen, Reizvolles zeigen, für sich werben. Welche Federn könnte denn Trebendorf mit unter die Haube bringen? Als Außenstehender kann ich das nicht beurteilen, auch wenn mir einiges einfallen würde. Seien wir gespannt auf mögliche Balzgeräusche in Stadt und Land.
Unser Autor Gregor Schneider ist gebürtiger Weißwasseraner und Rückkehrer. Der Stadtplaner begleitet aktiv die Transformation der Heimatregion. Hier äußert er seine privaten Gedanken zum Stadtgeschehen.