Schon der alte Sokrates wusste: „Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“ Heute hört man Ü30er monieren: „Immer diese Jugendlichen – kein Sinn für gesellschaftliche Werte, Konventionen und Etiketten; kein Interesse für irgendetwas; kein Bock auf nichts.“ Nette Pauschalisierung.
Um auf die andere Seite zu blicken, müsste man schon genauer hinschauen; auch Engagement akzeptieren, das eigenen Überzeugungen entgegensteht oder hin und wieder vom Ross der Autorität durch das Plus an Lebenszeit heruntersteigen. Denn es gibt sie durchaus, die engagierten Jugendlichen – auf lokaler bis globaler Ebene. Oft verliert man dabei selbst den Überblick, da die Vernetzung und Kommunikation untereinander länderübergreifend und auf digitalen Kanälen erfolgt; mittels Technologien, zu denen man längst den Anschluss verloren hat.
Zum Beispiel bei Fridays for Future haben wir sie: junge Menschen, denen an ihrer Zukunft gelegen ist, deren Träume und Hoffnungen noch nicht hinreichend von realpolitischen Gegebenheiten und Hürden aufgelöst wurden, die sich auf Autoritäten verlassen. Autoritäten? Ja, die Wissenschaft. Weil sie Gefühle, Befindlichkeiten oder bloße Meinungen ausklammert; weil sie Wissen generiert statt bloßes Glauben oder Meinen. Insofern ist es den jungen Engagierten von Fridays for Future hoch anzurechnen, wissenschaftliche Erkenntnisse an den gegenwärtigen politisch-ökonomischen Praktiken zu prüfen und anhand der offenkundigen Diskrepanz Ableitungen für das eigene Handeln zu treffen. Und Protest ist durchaus eine demokratisch legitime Form des Engagements, um politische Entscheidungsträger*innen zu einer gewünschten Aktion zu bewegen.
Eine andere Form des Engagements ist es, bereits in lokalem Rahmen Bedarfe auszumachen und zu bearbeiten, entweder eigen-initiativ oder mit Starthilfe. Für beides gibt es in der Lausitz und in Weißwasser gute Beispiele. Ein Thema, das die gesamte Region betrifft, ist der Strukturwandel. Für eine komplette Region ergibt sich damit die Notwendigkeit, sich neu erfinden zu müssen, Perspektiven zu entwickeln, die auch für die jetzt jungen Menschen eine hinreichend hohe Attraktivität schaffen, um ihre Lebensmittelpunkte weiterhin hier zu verorten. Gute Formate wie die dezentralen Jugendkonferenzen im Projekt „Mission 2038“ im September in mehreren Lausitzer Städten brachten erste Steine ins Rollen: Mit den beteiligten Jugendlichen wurde an Ideen quer durch die gesamte Lausitz gefeilt. Die besten Ideen werden durch Unterstützung unter anderem der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung umgesetzt.
Beteiligung und das Einbringen eigener Ideen halte ich dabei für einen Schlüssel zum Erfolg, denn es stiftet gleichzeitig Identifikation mit dem Ort. Hierfür braucht es auf Freiwilligkeit und an den individuellen Interessenslagen ausgerichtete Möglichkeits- und Begegnungsräume jenseits der Schulen. In Weißwasser wird hier durch eine vielfältige Vereinslandschaft bereits gute und wichtige Arbeit geleistet. Ob im Sport, bei Feuerwehr, Wasserwacht, im Bereich von Musik, Kultur ...: die Erfahrung, eigene Interessen vor Ort entwickeln zu können, Verantwortung übertragen zu bekommen, sich einzubringen, macht Zukunft. Ich erlebe regelmäßig junge Menschen, die sich interessieren, die für Themen brennen; die unterstützen, die eigene Ideen umsetzen wollen, die wissen wollen und sich ausdrücken wollen, die stolz wie Bolle sind, wenn sie das Ergebnis ihres Wirkens live und in Farbe sehen können – als Unterstützer des Lausitz Festivals, durch die Fertigstellung eigener Modelle und Kunstwerke in den Workshops der Station junger Techniker, durch die Umsetzung einer kompletten Ausstellung mit Werken junger Künstlerinnen und Künstler im Soziokulturellen Zentrum Telux oder das Anstoßen einer Initiative zur Pflanzung von 10.000 Bäumen in der Lausitz.
Wie anderswo auch muss man diese Beispiele aber sehen wollen – und pauschale Urteile ins Restloch werfen.
Unser Autor Patrick Pirl lebt seit 2017 wieder in der Lausitz. Mit seiner Partnerin hat er das Projekt 1NITE TENT ins Leben gerufen und arbeitet im Bereich Kultur- und Veranstaltungsmanagement in Weißwasser. Hier erzählt er von seinen Beobachtungen zu gesellschaftlichen und kulturellen Dynamiken in der Region.