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Kreis plant Flüchtlingsheim in Boxberg

Bis zu 150 Geflüchtete sollen in der einstigen Berufsschule am Kraftwerk unterkommen. Einen Betreiber gibt es noch nicht. Dafür noch viele offene Fragen.

Von Constanze Knappe
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In der Flüchtlingswelle 2015/16 wurde die ehemalige Berufsschule am Kraftwerk Boxberg schon einmal als Gemeinschaftsunterkunft genutzt. In der Erinnerung an die damaligen Probleme machten am Montag viele Bürger ihrem Ärger Luft. Beim Landkreis sei man sic
In der Flüchtlingswelle 2015/16 wurde die ehemalige Berufsschule am Kraftwerk Boxberg schon einmal als Gemeinschaftsunterkunft genutzt. In der Erinnerung an die damaligen Probleme machten am Montag viele Bürger ihrem Ärger Luft. Beim Landkreis sei man sic © Joachim Rehle

Im Landkreis Görlitz sind aktuell 1.651 Geflüchtete – Ukrainer ausgenommen – untergebracht. Davon leben 844 Personen, damit etwas mehr als die Hälfte, in Gemeinschaftsunterkünften, davon im Kreisnorden 87 in Niesky. Von den 644 in Wohnungen untergebrachten Geflüchteten leben 98 in Weißwasser und 23 in Niesky. „Beim Blick auf die Karte dürfte jedem klar sein: Der Kelch geht an Boxberg nicht vorüber“, so formulierte es Bürgermeister Hendryk Balko (WV Boxberg). Dass der Kreis die ehemalige Berufsschule am Kraftwerk Boxberg erneut als Gemeinschaftsunterkunft nutzen will, ist daher keine Überraschung. Das Gebäude gehört dem Kreis und diente in der Flüchtlingskrise 2015/16 schon einmal diesem Zweck. Um die Bürger frühzeitig über die Pläne zu informieren, waren Vertreter der Kreisverwaltung am Montag in die Boxberger Ratssitzung gekommen. Diese war vorsorglich in den Kultursaal nach Kringelsdorf verlegt worden, wo die Girlanden an der Decke als Überreste von Fasching so gar nicht zur aufgeheizten Stimmung der mehr als 60 Bürger im Saal passen wollten.

Bei 970 Einwohnern im Ortsteil Boxberg plant der Kreis die Unterbringung von 150 Asylbewerbern. Thomas Gampe, der 1. Beigeordnete des Landrates, redete nicht erst lange drumherum: „Mir ist bewusst, dass die Reaktivierung der Unterkunft nicht auf ungeteilte Zustimmung trifft“, sagte er. Man bemühe sich um eine relativ faire Verteilung im Landkreis, und im Süden gebe es eben schon viele Einrichtungen. 2015 wurden dem Landkreis Görlitz 2.258 Geflüchtete zugewiesen, 2020 waren es mit 1.027 nicht mal mehr halb so viele. Seither steigen die Zahlen stetig an. Zudem seien die Zugänge deutlich größer als die Abgänge. Die Aussage wurde mit dem Zwischenruf „abschieben“ kommentiert.

Aufwand zur Herrichtung gering

Am 22. März werden 45 Flüchtlinge im Kreis Görlitz erwartet, eine Woche später noch mal so viele und dann weitere mehr. Doch die Kapazitäten in den Gemeinschaftsunterkünften sind nahezu ausgeschöpft. Eine Wahl hat die Kreisverwaltung nicht. Zur Aufnahme der zugewiesenen Flüchtlinge nach einem bundesweit einheitlichen Schlüssel ist sie gesetzlich verpflichtet. Wie Thomas Gampe sagte, bleibt dem Kreis „keine Zeit, irgendwo neue Einrichtungen aus dem Boden zu stampfen“. Deshalb wurde nach Objekten gesucht, die schnell hergerichtet werden können und wobei sich auch noch die Kosten in Grenzen halten. Zehn Prozent davon hat der Kreis selbst zu tragen. In zwei kreiseigenen Immobilien sollen zusätzliche Flüchtlingsheime mit jeweils 150 Plätzen entstehen: in der ehemaligen Berufsschule in Boxberg sowie im einstigen Lehrlingsheim der Flachsspinnerei in Hirschfelde. „Wenn alle Abschiebepflichtigen abgeschoben werden, wäre genug Platz für die anderen“, warf ein Bürger ein. Von Gampe hieß es daraufhin, dass der Einwurf berechtigt sei, sich der Bürger damit aber an die Bundesregierung wenden müsse. Mehrfach war das an dem Abend zu vernehmen. Auch von Bürgermeister Hendryk Balko: „Weder die Gemeinde noch der Landkreis haben sich das Thema ausgesucht.“ Für das Objekt in Boxberg spricht, dass es schon einmal als Gemeinschaftsunterkunft ertüchtigt wurde, somit der Herstellungsaufwand vergleichsweise gering sei.

Dem Zwischenruf, dass die damaligen Bewohner das Objekt „wie ein Schlachtfeld verlassen“ hätten, konnte der Amtsleiter des kreislichen Ordnungsamtes nicht bestätigen. Auch entzog es sich der Kenntnis von Falk Orguss, wo beispielsweise die Ausstattung der Gemeinschaftsküchen oder die Großwaschmaschinen geblieben sind. Alles in allem sei das Objekt nach jahrelangem Leerstand in einem guten Zustand, die Heizungsanlage etwa noch in Schuss. Für 100.000 Euro würde jetzt renoviert, diverse Reparaturen ausgeführt sowie für die sicherheitstechnische Ausstattung gesorgt. Die Arbeiten werden von regionalen Handwerksfirmen ausgeführt, sollen bis Mitte April beendet sein.

Die ersten 35 kommen im Mai

In den ersten beiden Maiwochen sollen 35 Geflüchtete einziehen. Nach und nach werde aufgestockt. Dass es sich nach Orguss’ Worten um „junge Männer aus dem arabischen Raum zwischen 18 und 25 Jahren“ handelt, stieß auf wenig Zustimmung. „Es sind nicht die Fachkräfte, die wir dringend brauchen“, musste er eingestehen. Doch sei diese Klientel „noch erziehungsfähig und in der Mehrheit Schutz suchend“. In den Erstaufnahmeeinrichtungen des Freistaates Sachsen werden die Geflüchteten registriert und einer medizinischen Erstuntersuchung unterzogen und dann auf die Landkreise und kreisfreien Städte verteilt. Sie erhalten 369 Euro pro Monat und müssen sich selbst versorgen. „Sie sollen arbeiten, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen“, rief jemand dazwischen. Ein anderer fügte hinzu, dass man ihnen Besen und Schippe in die Hand drücken solle, zu tun gebe es in der Gemeinde genug. Dem hielt Orguss entgegen, dass das System auf Freiwilligkeit beruhe. „Wir können sie nicht zur Arbeit verpflichten, weil die Bundesgesetze das nicht vorsehen“, sagte er.

Für maximal zwei Jahre werden es in Boxberg junge Männer vor allem aus Syrien, Iran, Irak, Indien oder Pakistan sein. Um die Situation von vornherein zu entschärfen, bemühe man sich, verfeindete Volksgruppen nicht in einem Heim unterzubringen. Eingerichtet werde es als „Massenunterkunft, wie man sie von früher kennt“, erklärte Dirk Hammer von der Ausländerbehörde. Vorgesehen sind sechs bis acht Leute pro Raum in getrennten Wohnbereichen, dazu Gemeinschaftsduschen und Küchen zum Selberkochen. Die Betreuung soll über einen Betreiber sichergestellt werden. Wer das sein wird, soll Ende März feststehen. Als Problemlage sieht man auch beim Landkreis, dass der Discounter in Boxberg die einzige Einkaufsmöglichkeit ist. „Wer schützt unsere Kinder, wenn einer am Lidl ein Messer zieht“, wollte ein besorgter Vater wissen. Die Antwort, dass es einen Sicherheitsdienst geben wird, stellte ihn keineswegs zufrieden.

Ein Bürger machte sich Gedanken wegen der medizinischen Versorgung, da die beiden Hausärztinnen in Boxberg schon jetzt überlastet seien. „Die Geflüchteten bekommen keine Vorzugsbehandlung. Die Betreuer sind angehalten, Möglichkeiten im ganzen Landkreis zu nutzen“, hieß es. Lediglich bei Notfällen seien sie gleichgestellt. Solche Fragen würden in dem Anforderungsprofil an den Betreiber stehen, hob Dirk Hammer hervor. Es gebe etliche Betreiber im Landkreis, die sehr gute Erfahrungen in der Flüchtlingsarbeit haben.

Sicherheitskonzept gefordert

In Zusammenarbeit von Betreiber, Landkreis, Gemeinde und der Lausitz Energie Bergbau AG (Leag) soll ein Sicherheitskonzept entstehen. Vonseiten der Leag möchte man verhindern, dass es zu Störungen in der kritischen Infrastruktur und im Betriebsablauf der Anlagen oder zu Unfällen kommt. „Wir können sie nicht einsperren und das wollen wir auch nicht“, so Orguss. Im Kreis Görlitz sei es bislang recht gut gelungen, diejenigen, die über die Stränge schlagen, an die Kandare zu nehmen.

Nach der reichlichen Stunde waren noch viele Fragen offen. Zwischenzeitlich hatte Gemeinderat Frank Müller (CDU) mehrfach versucht, die besonders hitzigen Gemüter zu dämpfen, und hatte sich dafür unfeine Worte anhören müssen. Claudius Urban (WV Boxberg) empfahl den Kreisvertretern, ihr „Konzept zu schreddern“. In Boxberg könne man ukrainische Flüchtlinge unterbringen, doch mit den jungen arabischen Männern sei das Dorf überfordert. „Wer das 2015 miterlebt hat, weiß, wenn die Kugel einmal draußen ist, kann man sie nicht mehr aufhalten“, betonte Armin Hoffmann (WV Kringelsdorf). Jetzt gehe es darum, es besser zu machen. In der Gemeinde bräuchte es einen Ansprechpartner für Bürger und Asylsuchende. Aber die Gemeindeverwaltung schaffe das nicht.

Sorgen der Bürger ernstnehmen

Nach Aussage von Orguss soll ein Tag der offenen Tür stattfinden, bevor die ersten Geflüchteten in die Unterkunft einziehen. Zudem wolle man so bald wie möglich weitere konkrete Antworten geben. „Das Angebot steht, dass wir noch mal wieder kommen“, versprach Thomas Gampe.

Schon vorab hatte Bürgermeister Hendryk Balko dem Landkreis die Bedenken der Gemeinde mitgeteilt. „Die Sorgen der Bürger sind berechtigt. Auch wenn einige in der Ratssitzung ihre Kinderstube vermissen ließen“, so Balko auf TAGEBLATT-Nachfrage. Die Gemeinde sieht den sozialen Frieden am Discounter und am Bärwalder See gefährdet, drängt deshalb ganz besonders auf das Sicherheitskonzept. Die Gemeinschaftsunterkunft dürfe kein Dauerzustand werden. „Das Objekt hätte sich als Bildungsstandort oder Behördenstätte angeboten. Bei der Gelegenheit habe ich den Landkreis daran erinnert, dass er sich im Strukturwandel ruhig noch mehr einbringen kann“, so der Bürgermeister.