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Zweisprachigkeit als Reichtum

Der gebürtige Uhyster Jan Bart ist einer der Gründerväter des Witaj-Projektes. Er half mit, über Sprache Identität zu entwickeln. Jetzt wurde er 90 Jahre.

Von Andreas Kirschke
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Jan Bart blättert gern in früheren Zeitungsbeiträgen über die Witaj-Initiative.
Jan Bart blättert gern in früheren Zeitungsbeiträgen über die Witaj-Initiative. © Andreas Kirschke

Spielend in eine andere Sprache eintauchen – das ist das Prinzip des Witaj-Projektes. Nach bretonischem Vorbild wurde es in der Lausitz entwickelt, um Kindern die sorbische Sprache weiterzugeben und Identität zu vermitteln. Einer der Witaj- Gründerväter ist der gebürtige Uhyster Jan Bart. Jetzt wurde der Sorbe 90 Jahre alt.

„Beide Großväter habe ich sehr eng erlebt. Sie sind für mich Vorbilder“, erzählt Jan Bart über seine Vorfahren. Arnošt Sykora war Schuhmacher in Malschwitz. Emsig schrieb er die Dorfchronik. Viele Jahre engagierte er sich dort für die Domowina. Etwa zeitgleich war Arnošt Bart in Briesing bei Bautzen Ortsvorsteher. 1912 gehörte er in Hoyerswerda führend zu den Gründern der Domowina. 1918 vertrat er die Sorben auf der Friedenskonferenz in Paris. Er warb dort für deren Autonomie-Status.

„Mein Malschwitzer Großvater zog zu uns nach Uhyst. Er unterstützte meine Eltern bei der Betriebsführung ihrer Mühle und Bäckerei. Vier Kinder waren wir zu Hause.“ Jan Bart musste als Zweitältester frühzeitig mithelfen. Oft passte er nachts auf die Mühle auf. Sie mahlte rund um die Uhr. „Wir Kinder halfen beim Abfüllen der Säcke. Wir passten auf, dass nichts verstopfte. Sorgfältig putzten wir die Mühle. Sie war ein Lebensmittel-Betrieb“, erzählt der evangelische Sorbe ehrfürchtig.

Konsequent lebte Jan Barts Vater zu Hause die sorbische Sprache vor. Mit seinen Kunden sprach er täglich Sorbisch. Zudem motivierte er Daniel Hoffmann (1937-1953 Pfarrer in Uhyst) für mehr Sorbisch im evangelischen Gottesdienst. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Hedwig gab er die Sprache auch konsequent an die Kinder weiter. Nach der Grund- sowie Oberschule und Gymnasium in Bautzen kam Sohn Jan Bart als 15-Jähriger nach Česká Lípa. Dort gab es eine sorbische 8. Klasse. „Ich hatte nur die Qualität meines Uhyster Dorf-Sorbisch. Ich stand mit meinen Kenntnissen am Anfang“, erzählt der 90-Jährige. Nach und nach verinnerlichte Jan Bart die Sprache. Schon zu Weihnachten 1946 sprach er fließend Sorbisch. „Die Grundlagen hatten mir meine Eltern mitgegeben“, sagt der heutige Bautzener dankbar. „Ich sagte mir: du kannst eigenständig etwas tun, dass die Sprache auch bei anderen erhalten bleibt und angewendet wird. Dieser tiefe, innere Enthusiasmus ist damals entstanden. Ich spüre ihn noch heute in mir.“

Verantwortung gern übernommen

Im Sorbischen Gymnasium Varnsdorf, später im Tschechischen Gymnasium Liberec, lernte er weiter. Am Sorbischen Gymnasium in Bautzen legte Jan Bart 1951 sein Abitur ab. Später wurde er Lehrer und unterrichtete Mathe und Physik am Sorbischen Gymnasium Bautzen. Von 1956 bis 1969 war er Direktor der Šula Ćišinskeho in Panschwitz-Kuckau. In den Folgejahren war er 1970 bis 1975 Bezirksschulinspektor in Dresden und 1975 bis 1989 Kreisschulinspektor in Kamenz. Immer wieder folgte er dem Ruf, wenn Verantwortliche gesucht wurden. Den Satz „Du bist Sorbe, wir brauchen dich“, hörte er oft.

1957 hatte er seine Freundin Erna geheiratet. Aus ihrer Ehe gingen die Kinder Alena, Pětr und Jan hervor. 46 Jahre lebte Jan Bart seit 1971 in Panschwitz-Kuckau. Einige Jahre gehörte er zum Gemeindekirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde Schmeckwitz. Noch heute ist er Mitglied im Sorbischen Evangelischen Gemeindeverband.

Die erste von Jan Bart geschriebene Witaj-Broschüre für Eltern entstand 1998.
Die erste von Jan Bart geschriebene Witaj-Broschüre für Eltern entstand 1998. © Andreas Kirschke

Seit 2017 wohnt er mit seiner Frau in Bautzen. „Mit dem Witaj-Projekt ging für mich ein Lebenswunsch in Erfüllung“, entsinnt er sich. „Alles begann 1992 mit dem Besuch einer kleinen Gruppe bretonischer Mittelschüler und zweier Lehrer in unserer Schule in Panschwitz-Kuckau. Sie erzählten von der Bretonisch-Vermittlung im Kindergarten und in der Schule. Das verlief mittels der Methode der langfristigen Immersion – mit dem vollständigen Eintauchen in die Sprache. Ich war begeistert und berührt. Mein Kollege Robert Pellen in der Bretagne übersetzte und schickte mir fort-an Veröffentlichungen aus seiner Heimat.“

Jan Bart erfuhr mehr über das Modellprojekt DIWAN. Das ist der bretonische Name für „Keim“. 1977, so erinnert er sich, begann dieses beispielgebende Projekt. Damals war die bretonische Sprache stark zurückgegangen. Darauf reagierten bretonische Pädagogen. Tagsüber im Kindergarten erwarben die Kinder die Grundlagen der betronischen Sprache. Spielerisch, ungezwungen, fast nebenbei lernten sie im Alter von zwei bis fünf Jahren Bretonisch. Zu Hause wurde indes die französische Sprache weiter gepflegt. Heute gibt es über 20 bretonische Kindergärten, an die bretonischsprachige Grundschulen angeschlossen sind. Die Schüler können später sogar ihr Abitur in Bretonisch ablegen. Ein so in der Praxis bewährtes Modell, dachte sich Jan Bart, könnte auch in der Lausitz gelingen.

Werbung in über 100 Vorträgen

Fortan warb er dafür in der Heimat. Das brauchte einen langen Atem. „Den ersten öffentlichen Vortrag wagte ich beim evangelischen Gemeindenachmittag in meiner Kirchgemeinde in Schmeckwitz. Ich erntete schwankende Zustimmung. Der erste, der mich bestärkte, war Domowina-Vorsitzender Jan Nuk“, erzählt Jan Bart. Ein späterer Vortrag in Panschwitz-Kuckau vor Vertretern des Vereins für sozialpädagogische Erziehung „Lausitz“ stieß auf offene Ohren. „Endlich begann das Eis zu brechen“, erzählt Jan Bart. Der Direktor der Stiftung für das sorbische Volk lud ihn zum Informationsgespräch ein. „Mit wem würden Sie eine Kita nach bretonischem Modell gründen?“ fragte er damals Jan Bart. Dieser erwiderte spontan: „Mit dem Sorbischen Schulverein.“ Das Witaj-Projekt war geboren. Rafael Schäfer, Geschäftsführer des Schulvereins, unterstützte es von Anfang an. Lausitzweit warb Jan Bart jetzt für das Projekt. Er hielt weit über 100 Vorträge – vor Eltern, vor Gemeinderäten, vor Kreisräten, vor Erzieherinnen und Erziehern. Dabei warb er für „den langen Weg von unten“, für die frühe Zweisprachigkeit im Kindesalter mit Fortsetzung in der Schule. Mit „Witaj“, so erkannte der Schulverein, eröffneten sich neue Chancen. „Meine Stärke war, den Eltern zu erklären, was ich selbst mit meinem Enkel Paul in der Praxis durchlebte“, erzählt Jan Bart.

Spielerisch und zwanglos lernen

Am 1. September 1997 entstand im sorbischen Kindergarten „Jan Radyserb Wjela“ in Bautzen in Trägerschaft des Christlich-Sozialen Bildungswerkes (CSB) eine sogenannte „deutsch-sorbisch-sprechende Gruppe“. Erzieherinnen wie Maria Döring und Jadwiga Wesche betreuten die Sorbisch-Kinder. Der Sorbische Schulverein seinerseits startete „Witaj“ 1998 in der Niederlausitz im Kindergarten „Mato Rizo“ in Cottbus-Sielow.

Heute gibt es Witaj-Kindergärten in Trägerschaft des Sorbischen Schulvereins in Sielow („Mato Rizo“), in Cottbus („Villa Kunterbunt“), in Malschwitz („Wassermann“) und in Dörgenhausen („Pumpot“). Dort erwerben Kinder nach der Methode der vollständigen Immersion spielerisch, ungezwungen und ohne Anstrengung die sorbische Sprache. Zugleich bestehen heute weitere Witaj-Kindergärten mit anderen Trägern. Ebenso bestehen lausitzweit Kindergärten mit Witaj-Gruppen.

„Erfolg oder Misserfolg des Witaj-Modells dürfen nicht nur an der erreichten Sprachqualität des Kindes, sondern auch an anderen geistigen Leistungen – verglichen mit gleichaltrigen einsprachigen Kindern – gemessen werden“, ist Jan Bart überzeugt. Die Kinder, so unterstreicht er, sollten langfristig eine natürliche, echte Witaj-Identität entwickeln. Damit erlernen sie nicht nur die sorbische Sprache. Sie identifizieren sich zugleich als zweisprachige Lausitzer. Offen, so Jan Bart, sollte über die Probleme und Schwierigkeiten der sprachlichen Immersion geredet werden. Neusprachler sollten sich dabei ihre Erfahrungen schildern.