An einem (Schienen-) Strang ziehen

Neulich hatten wir Besucher aus der Altmark, die uns wiedermal spiegelten, dass die Anreise per Auto schon ein Erlebnis für sich ist, mündend im Schlusssatz „Hier kommt man nicht zufällig vorbei – man muss es schon wollen“.
Verglichen mit anderen bundesdeutschen Gegenden ist einiges dran an dieser Wahrnehmung. Mal ganz ehrlich: Das ist doch auch eine Qualität.
Und viel ändern können wir absehbar nicht, zumal die zur besseren Erschließung angekündigte Straßenachse Leipzig – Weißwasser ja kürzlich kassiert wurde, weil das Interesse entlang der Landesgrenzen unterschiedlich gering war. Damit schwenke ich galant hinüber zum eigentlichen Anliegen: Die erste Marge Strukturwandelgelder wurde vergeben, und wie man in den letzten Wochen verfolgen konnte, nicht unbedingt zur Freude aller Betroffenen.
Alles in die Wirtschaft stecken?
Die Wirtschaft kann einige Entscheidungen gar nicht nachvollziehen. Joachim Ragnitz vom ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, der schon mehrfach zu kontroversen Diskussionen beigetragen hat, zweifelt viele Vorhaben an und sieht allein in der Verbesserung der Wirtschaft den Anlass, Strukturgelder auszugeben. Was ist von einem Wirtschaftsforscher auch anderes zu erwarten?
Keine Frage, die wirtschaftliche Attraktivität hat Priorität und die 38 beschlossenen Vorhaben geben reichlich Anlass, über Sinn und Zweck von Projekten und Vergabekriterien zu diskutieren. Was fehlt, ist Einigkeit. Einigkeit darüber, dass die Lausitz über Ländergrenzen hinweg eine zentraleuropäische Region ist, die sich – vielleicht modellhaft – in verzahnten Schritten vorwärts bewegt.
Sehr gut erkennen, dass es noch gar nicht so läuft, kann man am Beispiel Bahn-Ausbau. Und da Weißwasser ja straßentechnisch eher nicht zu den prädestinierten Orten zählt, spielt das Thema Bahn hier eine nicht ganz unwichtige Rolle. Zumal: Die Stadt war schon mal bestens an das Eisenbahnnetz angebunden!
Leider musste erst vieles stillgelegt und rückgebaut werden, bevor weise Männer darauf kamen, dass Bahnanschlüsse keine schlechte Sache sind, ja sogar von wirtschaftlicher Bedeutung sein können. Jetzt, nachdem die Züge auf eingleisiger Strecke durch die Gegend tuckern, soll der ICE die Rettung sein.
Schade nur, wenn der dann einfach haltlos hier durch donnert. Eine zweigleisige Strecke mit guten Expressverbindungen auf Wasserstoffbasis scheint irgendwie angemessener. Und die Revitalisierung alter Anschlüsse, zum Beispiel der Strang zum Telux-Neuwerk und Sägewerk, ein neuer-alter Bahnanschluss für Stölzle (was läge näher?!) und für das Industriegebiet-Ost, und schon läge Weißwasser modellhaft als Wirtschaftsstandort im Rennen.
Doch machen wir uns nichts vor: Das würde bedeuten, dass viele Hände und Prozesse ineinandergreifen. Der Artikel in der SZ am 24. Juli („Stückwerk beim Bahn-Ausbau in der Lausitz“) erdet solche Fantasien rechtzeitig.
Noch wäre Zeit, hier vor Ort und in der ganzen Lausitz an einem Strang zu ziehen. Andernfalls muss sich bei den Strukturwandelmillionen keiner aufregen, dass die Preise wie in der Schießbude vergeben werden.
Unser Autor Gregor Schneider ist gebürtiger Weißwasseraner und Rückkehrer. Der Stadtplaner begleitet aktiv die Transformation der Heimatregion. In der Reihe "Alles hübsch hier" äußert er seine privaten Gedanken zum Stadtgeschehen.