Weißwasser
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Der größte Wunsch zum 100. ging leider nicht in Erfüllung

Max Ladusch beging am Sonnabend den seltenen runden Geburtstag. Das hat vor ihm in Nochten noch keiner geschafft.

Von Constanze Knappe
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So kennt man Max Ladusch in Nochten. Das Bild entstand vor vier Jahren. Seither hat er körperlich abgebaut, geht kaum noch zu Fuß vor die Tür. Trotz vieler Einschränkungen ist er geistig aber noch voll dabei.
So kennt man Max Ladusch in Nochten. Das Bild entstand vor vier Jahren. Seither hat er körperlich abgebaut, geht kaum noch zu Fuß vor die Tür. Trotz vieler Einschränkungen ist er geistig aber noch voll dabei. ©  privat

Max Ladusch hatte sich das ganz anders vorgestellt: Ein großes Familienfest wollte er heute feiern, mit über 50 Leuten. Seit Oktober hat der Nochtener die Tage gezählt. Denn am Sonnabend war sein 100. Geburtstag! Aber statt einer großen Party wird man im ganz kleinen Kreis zusammensitzen: am Vormittag mit Tochter Rosel Becker und am Nachmittag mit Sohn Roland sowie den Partnern der Kinder. Die sechs Enkel und acht Urenkel von weiter weg wären gern dabei gewesen. Aber das Risiko, dass sich der Opa bei so viel Besuch womöglich mit Covid-19 infiziert, will man auf keinen Fall eingehen. In der Sorge um ihn habe man seit geraumer Zeit auf Kontakte von Menschen außerhalb des engsten Familienkreises zu ihm verzichtet. „Schön ist das nicht“, gesteht Rosel Becker. Aber notwendig. Wegen seines stolzen Alters gehört Max Ladusch zur Hochrisikogruppe. Obendrein ist er gesundheitlich stark eingeschränkt. Denn das Leben hat es mit ihm zuweilen alles andere als gut gemeint.

Am 12. Dezember 1920 wurde er geboren. Die Mutter starb, als er acht Jahre alt war. Der Vater, der sich eine neue Frau nahm, folgte drei Jahre später. Eine böse Stiefmutter war es nie. Bis heute erinnert sich der Jubilar dankbar an sie. 1935 wurde er in Nochten konfirmiert. „Es war die letzte sorbische Konfirmation im Ort. Danach ging der Pastor in Rente und der Neue konnte kein Sorbisch“, weiß Rosel Becker. Zu Hause wurde nur sorbisch gesprochen, Deutsch lernte Max Ladusch erst in der Schule. Zu jener Zeit drohte man den Sorben/Wenden an, sie auszusiedeln, wenn sie weiter ihre Muttersprache nutzten. Rosel Becker, die auch zur Heimatgeschichte von Nochten forscht, weiß, dass die Familie ihres Vaters „die letzte im Dorf war, in der durchgehend sorbisch gesprochen wurde“.

Harte Schicksalsschläge

1940 wurde Max Ladusch eingezogen und im Jahr darauf in Russland schwer verwundet. Ein Granatsplitter bohrte sich in sein Bein, zerstörte viele Nerven. Einer Amputation stimmte der gerade 20-Jährige nicht zu. Fast zwei Jahre lag er im Lazarett und kehrte 1943 als Kriegsinvalide nach Hause zurück. Diese schwere Verwundung beeinträchtigte ihn ein Leben lang.

Die Umstände hielten ihn davon ab, einen Beruf zu erlernen. Da er den elterlichen Hof geerbt hatte, wurde er Landwirt. Er besuchte eine Winterschule, eine Art Berufsschule außerhalb der Saison, jedoch ohne Abschluss. Den holte er später – zu LPG-Zeiten – nach. Schwester, Schwager und Stiefmutter halfen ihm, die Landarbeit zu bewältigen. Eine Weile war er in der LPG, wurde aber relativ zeitig invalidisiert.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Max Ladusch Mitbegründer der Domowina-Ortsgruppe in Nochten. Über die Domowina lernte er auch seine spätere Frau Else aus Mühlrose kennen. Sie heirateten 1947. Sein Elternhaus, welches viele Jahre im Besitz der Familie war, musste 1986 der Braunkohle weichen. Sohn Roland baute mit seiner Familie und der Hilfe von Freunden in Nochten neu. Eine Entschädigung für das alte Grundstück gab es kaum, auch so gut wie keine Unterstützung. Baumaterial musste schwer erkämpft werden. Im Haus des Sohnes fanden Max und Else Ladusch ein neues Zuhause. Sie kamen nie über den Verlust hinweg; brauchten lange, um im neuen Haus heimisch zu werden.

Eine besondere Überraschung

Im Alter sind Max und Else Ladusch gern gereist. Trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen waren sie beispielsweise im Harz, in Hamburg oder in Österreich. Es war ihnen vergönnt, das Fest der Goldenen und ebenso das der Diamantenen Hochzeit zu feiern. „Sie haben immer gern die ganze Familie um sich versammelt“, weiß Rosel Becker. Deshalb sei es besonders traurig, dass der größte Wunsch ihres Vaters, den 100. Geburtstag zusammen mit allen seinen Lieben zu feiern, heute nicht in Erfüllung geht. Dafür hat Rosel Becker eine Überraschung: ein Bild seines Elternhauses von 1930. Hobbymaler Hans-Joachim Klei in Weißwasser malte es von einem alten Foto ab. Viele tragische und noch mehr schöne Ereignisse zeigt das Buch „Opa wird 100“.

2009 verstarb seine Frau. Seit 2010 wird er von Sohn und Tochter und deren Partnern gepflegt, so dass er immer noch zu Hause wohnen kann. Schwer gehbehindert, ist Max Ladusch seit Jahren auf den Rollstuhl angewiesen. Er genießt es, wenn er im Hof sitzen kann oder zum Spaziergang durchs Dorf geschoben wird.

Ein richtiges Hobby hatte der Jubilar nie. Die Landwirtschaft, deren Arbeiten sich nach den Jahreszeiten und dem Wetter richten, ließ ihm keine Zeit dazu. Heimatfilme mochte er ganz gerne, besonders die mit Heinz Rühmann.

Fundus für die Orts-Chronisten

Doch seit er nicht mehr so gut hört und auch immer schlechter sieht, ist die Zeit vor dem Fernseher weniger geworden. Er habe zwar körperlich über die Jahre weit abgebaut, aber „geistig ist er noch gut drauf“, betont Rosel Becker. Gefreut habe er sich immer über die regelmäßigen Besuche von Inge Noack von der Domowina-Ortsgruppe. Doch auch das ist wegen Corona gestrichen.Der 100-Jährige kann aus längst vergangenen Zeiten erzählen, als sei es gestern gewesen. Er weiß unendlich viele Details. Das machen sich die mit der Forschung zur Heimatgeschichte von Nochten befassten Gertraude Ende und Gerd Pittke gern zunutze, Rosel Becker als Dritte im Bunde der Orts-Chronisten sowieso. Sie weiß, dass es vor ihrem Vater in Nochten noch niemand zum 100. Geburtstag geschafft hat. Eine Bewohnerin sei zwar 105 geworden, habe da aber schon lange nicht mehr im Ort gelebt. Beim Erzählen müsse sie ihren Vater in seiner Begeisterung hin und wieder bremsen, erzählt die Tochter schmunzelnd. Selbst von einer Pandemie weiß Max Ladusch zu berichten. Er erinnert sich an eine Seuche im Zweiten Weltkrieg im Riesengebirge. Doch die sei, so entgegnet ihm Rosel Becker, natürlich nicht mit den Ausmaßen der Pandemie unserer Tage zu vergleichen.

Ein Schlückchen in Ehren

Ein Rezept, wie man 100 Jahre alt wird, hat Max Ladusch nicht. Dann lässt er aber doch wissen, dass er gerne mal ein kleines Schlückchen trinkt, am liebsten Pfeffi. Richtig gefeiert wird nun am 12. Juni 2021. Wie ihn bisher sein Motto „Falls mir Gott weiterhin so wohlgesonnen ist, werde ich 100 Jahre alt“ begleitete, gilt es in abgewandelter Form auch für die Nachfeier. Selbst, wenn man nur einmal 100 wird! TAGEBLATT gratuliert ganz herzlich!

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