Die Schwester hinter der OP-Maske

Viel ist von ihrem Gesicht nicht zu sehen. Vor allem, wenn sie mit Kasack, Handschuhen, Mund-Nase-Maske und Haube bekleidet mit den Patienten spricht. Doch ihre leuchtenden Augen und die warme, herzliche Stimme wirken beruhigend auf die Menschen, die genau das als letztes vor ihrer Operation wahrnehmen.
Genau wissen, welcher Schritt als nächstes kommt
„Ist alles in Ordnung? Sie müssen keine Angst haben“, sagt Anja Rößler, Leitende OP- und Anästhesieschwester, zu vielen Patienten. Oft streichelt sie ihnen sogar sanft über Hand oder Arm, es wird noch ein Späßchen gemacht oder kurz der bevorstehende Eingriff erklärt, bevor die Betäubungsmittel wirken. „Man merkt den Patienten schon beim Einschleusen in den OP-Saal an, ob sie entspannt, aufgeregt oder ängstlich sind. Aber letztlich kann sich der Großteil nach dem Aufwachen gar nicht mehr an die OP-Vorbereitung erinnern“, weiß Anja Rößler aus Erfahrung.
Für sie und ihre Kollegen vom sterilen und unsterilen Dienst beginnt die Arbeit weit vor dem Eintreffen der Patienten im OP. Sterilisation und Funktionsprüfung aller Flächen, Instrumente und Geräte stehen an. Alles wird kontrolliert: OP-Bestecke samt Bohrmaschine, Röntgengerät, OP-Turm, Monitore, OP-Lampen, Schläuche und Absauggeräte. Und natürlich müssen sich auch Schwestern und Pfleger vor dem Einsatz im Operationssaal umkleiden, waschen und desinfizieren.
Während die Ärzte operieren, steigt bei Anja Rößler und ihren Teams die Anspannung, denn sie müssen Patienten und Ärzte ständig im Blick haben. „Da jeder Eingriff spezielle Instrumente erfordert, muss eine OP-Schwester sie aus dem Effeff kennen, schon vorher wissen, welcher Schritt bei der OP als Nächstes kommt und was Ärzte dafür benötigen. Wir müssen alles griffbereit haben, entsprechend reagieren und agieren.“ Dies erfordere Erfahrung und Wissen für unterschiedliche medizinische Fachrichtungen. „In unserem Krankenhaus müssen die 14 OP- und Anästhesieschwestern und -pfleger von der Betreuung bei gynäkologischen Eingriffen über Lungen- und Bauchchirurgie, Unfallorthopädie bis Einsatz oder Ersatz von Herzschrittmachern alles wissen und können.“
Operiert wird in Weißwasser geplant und ungeplant. Drei OP-Säle stehen dafür bereit: sieben Tage die Woche rund um die Uhr. Theoretisch. Denn geplante Operationen finden im Normaldienst statt. Schwestern und Pfleger stehen genauso wie Ärzte per 24-Stunden-Haus- und Rufdienst aber ständig bereit. „Falls es eine Not-OP gibt, ist so stets ein komplettes Team einsetzbar“, versichert die 47-Jährige, die als Leitende OP- und Anästhesieschwester auch die Tages- und Wochenpläne für den sterilen und unsterilen Dienst und das Narkoseteam erstellt.
Da die Teams als Einheit vor, während und nach den operativen Eingriffen funktionieren müssen, ist die Zusammenstellung für Chefin Anja Rößler noch eine Herausforderung. Erst vor zwei Jahren übernahm sie die Aufgabe als Leitende OP-Schwester, absolviert parallel eine Zusatzausbildung als Sterilisationsassistentin, um so künftig selbstständig die Automaten in der Sterilisationsabteilung bedienen und Instrumente aufbereiten zu können. Und sie ist Praxisanleiterin für auszubildende operationstechnische Assistenten, sogenannte OTA, von denen es derzeit zwei in Weißwasser gibt. „Zum Glück kann ich mich auf erfahrene und tolle Kollegen verlassen, die hinter und zu mir stehen.“ Auch ihr Mann, die beiden Söhne und die ganze Familie, so die Bad Muskauerin, würden ihr den Rücken frei halten und sie unterstützen, wo sie können. „Ohne all das wäre mir eine leitende Funktion gar nicht möglich.“
Anja Rößler ist seit Beginn ihrer Ausbildung im Krankenhaus Weißwasser, durchlief damals auch den OP und fand es „super spannend“ dort, kam letztlich aber erst viele Jahre später zu ihrem Wunsch-Einsatzort, weil nach ihrer Ausbildung keine Stelle im OP frei war. So arbeitete sie viele Jahre in der Kinder- und Jugendmedizinischen Abteilung. Als vor zehn Jahren eine Stelle als OP-Schwester ausgeschrieben wurde, ergriff sie dann allerdings sofort die Chance. „Ich wollte was Neues ausprobieren und der OP faszinierte mich immer. Also bewarb ich mich.“ Zu ihrer großen Freude wurde sie unter der Voraussetzung genommen, berufsbegleitend die Qualifizierung als Fachschwester im OP-Dienst zu absolvieren. Für Anja Rößler kein Hinderungsgrund, von Station in den OP zu wechseln.
Der Lieblingsarbeitsplatz ist der OP-Tisch
„Sobald die Türen vom OP zu sind, ist es eine eigene Welt, die sich Außenstehende nicht vorstellen können. Ich liebe das und meine Aufgaben in dieser Welt“, schwärmt sie selbst nach der harten und belastenden Zeit während der Corona-Pandemie. Da wurden zwar auch in Weißwasser nur wenige Operationen vorgenommen.
Wegen des Personalengpasses war verfügbares Personal allerdings auf allen Stationen im Einsatz, wo Hilfe nötig war. Rund um die Uhr, an Feiertagen und Wochenenden. Das galt auch für Anja Rößler. Inzwischen , sagt sie, habe sich die Lage glücklicherweise wieder beruhigt. Dafür gebe es durch nachzuholende operative Eingriffe, zusätzlich zu aktuellen Fällen, nun durchaus Tage, an denen sie bei 13 Eingriffen oder für sechs Stunden am Stück am OP-Tisch stehe und Hammer, Meißel & Co. auf den Sieben, also dem Bestecktablett, hin- und hertrage. „Das kostet ganz schön Kraft, wenn man stundenlang zehn Kilo schleppen, und zusätzlich viel Muskelkraft aufwenden muss, weil man mit narkotisierten Menschen zu tun hat.“ Dass die Arbeit im OP selbst unter Schwestern und Pflegern nicht jedermanns Sache ist, ist angesichts offener Brüche, freigelegter Organe und viel Blut nachvollziehbar. Für Anja Rößler aber ist der Job „der schönste der Welt“.
Allerdings habe das, was oftmals in Filmen und Serien dargestellt werde, nur wenig mit der Realität zu tun. Klar käme es mal vor, dass ein Patient quasi vom Krankenwagen in den OP geschoben werde, sich Komplikationen ereignen oder Patienten in schweren Fällen ausgeflogen werden, weil die erforderliche OP in einem Krankenhaus der Regelversorgung, wie es Weißwasser ist, nicht möglich ist. Und es habe schon Fälle gegeben, sagt sie, wo Menschen nach der OP an den Folgen ihrer Erkrankung verstarben. Sowas hänge ihr und den Kollegen natürlich an, lasse niemanden unberührt. „Aber wir tun ja alles für den Lebenserhalt der Patienten und besprechen dramatische Fälle deshalb auch im Team, um damit umgehen zu können.“
Filmreife Szenen voll Panik oder auf dem OP-Tisch Versterbende habe sie aber noch nie in ihrem Job erlebt. Hektik und Aufregung, die kämen allerdings schon mal vor. Was Anja Rößler und ihr Team auch nicht erleben, ist der Genesungsprozess ihrer Patienten. Daher erkundigen sie sich auf den Stationen und bei Ärzten nach ihnen. „Als OP-Personal sehen wir die Patienten ja meist nicht wieder.“
Stolz auf Kollegen, Ärzte und Klinik
Schwester Anja selbst hat generell viel Kontakt zu anderen Stationen und Klinikbereichen wie der Materialwirtschaft, zu Ärzten und Pflegepersonal – während und auch außerhalb der Dienstzeit. Zum einen, weil sie seit ihrer Lehre im Krankenhaus ist. Zum anderen, weil sie hier Ausbilderin ist.
Als Leitende OP-Schwester muss die Bad Muskauerin täglich auch Bestellungen für OP-Säle und anstehende Operationen vornehmen. Da dies von Verbandsmaterial und Spritzen über Implantate wie Hüft- und Knieprothesen bis zu Plattenschrauben zur Stabilisierung nach Knochenbrüchen reicht, muss Anja Rößler stets den Überblick haben, auch mal hier und da nachfragen. Diese Arbeitsaufgaben würden schon Spaß machen. Am liebsten stehe sie aber mit am OP-Tisch. In jüngster Zeit ist das oft bei Knie-OPs der Fall. „Wir sind so stolz, dass wir in Weißwasser vieles operieren und seit September 2021 durch einen neuen Arzt sogar wieder Knie-Prothesen machen können.“ Ihr Team habe auch in dem Bereich inzwischen sehr viel gelernt und sich gut eingefunden.
Überhaupt sei der Beruf OP-Schwester/OP-Pfleger durch die Eingriffe in unterschiedlichen medizinischen Fachrichtungen und die viele Technik im OP-Saal sehr abwechslungsreich und interessant. „Ich jedenfalls will meinen Job im Operationssaal nicht mehr aufgeben“, sagt Anja Rößler mit leuchtenden Augen und einem Lächeln, das man durch ihre Maske nicht sieht, aber eben doch wahrnimmt.