Weißwasser
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Wie sehen Lausitzer den Strukturwandel?

Der Strukturwandel war Thema einer neuen Talkrunde und brachte beim ersten „Revierstammtisch“ vor allem Kritik am bisherigen Weg zutage.

Von Sabine Larbig
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Teilnehmer des ersten Revierstammtischs Lausitzer Revier Sachsen in WSW. Talkrunde drehte sich um Erfolge, Misserfolge und Kritik bisheriger Strukturwandel. Ansprechpartner waren Jörg Mühlberg, GF der SAS, OB Pötzsch, Vertreter von Mittelstand, Jugend-
Teilnehmer des ersten Revierstammtischs Lausitzer Revier Sachsen in WSW. Talkrunde drehte sich um Erfolge, Misserfolge und Kritik bisheriger Strukturwandel. Ansprechpartner waren Jörg Mühlberg, GF der SAS, OB Pötzsch, Vertreter von Mittelstand, Jugend- © Sabine Larbig

An Stammtischen wird offen und ohne Filter geredet. Um „bevölkerungsnah“ zu erfahren, wie Lausitzer über den Umbauprozess in der Region denken, riefen Sächsisches Staatsministerium für Regionalentwicklung (SMR) und Sächsische Agentur für Strukturentwicklung (SAS) einen Revierstammtisch ins Leben. Mindestens zwei Mal jährlich soll der Erfahrungs-, Ideen- und Gedankenaustausch in beiden sächsischen Kohlerevieren stattfinden. In Weißwasser fiel Dienstag der Startschuss.

„Wir wollen miteinander reden statt übereinander; wollen hören und zuhören. Auch, wenn es um Kritisches geht. Und ich bin auf alles eingestellt: von Fiasko bis Erfolg“, bekennt Jörg Mühlberg, SAS-Geschäftsführer, vor Beginn des Abends mit Talkgästen, Moderatorin und Besuchern. Bei dem zeigte sich schnell, dass gerade aber nicht nur die Menschen in und um Weißwasser schnelle, sichtbare und wirkliche Erfolge im Strukturwandel fordern.

Kernbetroffenheit bleibt Reizthema

„Ich sehe es bisher kritisch. Hier entwickeln sich Parallelwelten, zusätzlich zur aktuellen Energie- und Wirtschaftskrise. Das zeigt meiner Meinung nach, dass es an politischer Weitsicht mangelt. Monopolregionen werden über- und das flache Land unterfinanziert. Dort haben Kommunen nicht einmal für drei oder fünf Prozent Eigenanteil bei Strukturwandelprojekten Geld. Gebt es den kernbetroffenen Gebieten endlich ausreichend!“, forderte Sven Staub, Unternehmer und Ehrenamtler aus Weißwasser, der auch die erfolgten Kreisgebietsreformen als Hinderungsgrund für erfolgreichen Wandel sieht.

Kritik übte auch Weißwasser OB Torsten Pötzsch. „Wir Bürgermeister der Gemeinden im Norden des Kreises Görlitz waren es, die sich vor vier Jahren in Sachen Strukturwandel auf den Weg machten und nun vergessen werden. Doch hier, wo die Kohle abgebaut wurde und wird, haben die Menschen den Dreck und Frust. Kernbetroffenheit und die Entwicklung kleiner Orte müssen in den Fokus. Leuchttürme schaffen ist der falsche Weg; alles andere schönes Beiwerk. Es braucht ein Scharnier zwischen den Kohleregionen Sachsens und Brandenburgs, weil sie unterschiedliche Wege gehen – um praktisch und miteinander agieren, Forschung und Entwicklung ansiedeln zu können. "Eigenbrötlerei" und schlechte Verkehrsanbindungen waren und sind echte Nachteile. Das müssen alle Partner begreifen. Nur dann ist die Chance für eine echte Modellregion Lausitz da.“

Negativ eingeschätzt wird zudem der bisherige Beteiligungsprozess der Bürger. „Aus meiner Sicht findet er nicht statt. Da waren wir schon mal weiter, als es um die Lausitzstrategie 2050 ging; sich 2.500 Menschen mit Ideen an der Neu-Erfindung der Region beteiligten. Doch die Ergebnisse, Ressourcen und Denkräume wurden nicht in den Strukturwandel überführt“, so Thomas Pilz vom Bürgerforum Lausitz.

„Viel Luft nach oben“ bei der Einbeziehung der Menschen sieht ebenfalls Aniko Popella von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung Sachsen. „Wir sind zu sehr an offizielle Akteure und Entscheidungsträger gebunden. Es muss endlich anders gemacht werden. Wir brauchen neue Formate und Angebote für alle. Auch, um mit Kindern und Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Doch das Potenzial ist in der Erwachsenenwelt noch nicht angekommen.“ Ein 16-Jähriger, so Popella, begreife die bisherige Kommunikation zum Strukturwandel nicht. Doch gerade auf die Jugend müsse man sich einlassen. Auch bei der beruflichen Orientierung, damit sie bleibt. „Auch sie braucht echte Mitbestimmung . Und die Jugend merkt, wenn man sie verarscht“, so ihr Appell.

Menschen besser einbeziehen

Dass in der Kohleregion ansässige Bildungseinrichtungen, Unternehmen, Kommunalverwaltungen und Vereine Probleme haben, bislang aber weitestgehend „unterm Radar“ und außerhalb echter Förderung innerhalb des Strukturwandels blieben, wurde ebenfalls angesprochen. „Allein bei unseren Sponsoren sind 60 Prozent der Unternehmen vom Strukturwandel betroffen, somit auch der Sport. Viele sehen den Prozess wegen fehlender Wirtschaftsförderung kritisch“, äußerte Dirk Rohrbach, Geschäftsführer der „Lausitzer Füchse“. „Wir brauchen zudem mehr und bessere, selbst weiche Standortfaktoren, damit Menschen Arbeit haben, bleiben – und herziehen.“

Für Thomas Pilz funktioniert auch das Konstrukt „Regionaler Begleitausschuss“ nicht, weil es in ihm keine Diskussion zu eingereichten Ideen und Projekten gäbe, sondern lediglich „formellen Austausch“ und zu viele Vorhaben der normalen Daseinsvorsorge über den Strukturwandel gefördert würden.

Ihre Ideen umsetzen konnte bislang auch die Hochschule Zittau/Görlitz nicht. Geld nach dem Gießkannenprinzip für alles und jedes helfe nicht. „Wir wollen eigene Ideen auf den Weg bringen, müssen nicht von anderen gerettet werden. DAFÜR brauchen wir Hilfe und Ressourcen“, erklärte Ines Scholz, Forschungsmanagerin der Lausitzer Einrichtung.

Aus Sicht von Jörg Mühlberg war der erste Revierstammtisch trotz der Kritiken ein Erfolg. Viele hätten ihm als Volkswirt aus dem Herzen gesprochen. Doch ein Wandlungsprozess in wirtschaftlichen Dimensionen, wo auch in 30 Jahren noch Energie aus Boxberg geliefert werde, dauere lange. Und es sei wichtig, dass die Region aus dem Dumpinglohn-Bereich komme, um Fachkräfte zu halten und zu gewinnen. Infrastruktur, weiche Faktoren und 5G seien weitere Faktoren für das Gelingen des Wandels der Lausitz. „Wir müssen, damit es weiter vorangeht, nun nachjustieren. Und Deutschland muss endlich über verkürzte Planungsprozesse nachdenken und sie umsetzen“, mahnte Mühlberg.

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