Von Jörg Soldwisch
Dutzende Journalisten gehen in die Hocke, zücken aufgeregt ihre Diktiergeräte und rangeln mit Ellenbogeneinsatz um die besten Plätze. Vor ihnen steht kein neuer Weltmeister, sondern ein Mädchen. Zehn Jahre alt, 1,44 m klein, eine pinke Schwimmbrille auf dem Kopf und eine rote Trainingsjacke über den schmalen Schultern. Alzain Tareq aus Bahrain spielt mit einer Wasserflasche in der Hand, aber eingeschüchtert ist sie nicht. Sie genießt den Trubel sogar ein wenig.
„Ich bin so glücklich“, sagt Alzain: „Es war cool.“ Sie spricht für ihr Alter sehr gutes Englisch, und das Strahlen in ihren großen braunen Kinderaugen scheint echt. Mit Freude beantwortet sie die immer gleichen Fragen der vielen Journalisten. Das Rennen der mit zehn Jahren jüngsten Athletin der Schwimm-WM in Kasan über 50 m Schmetterling dauerte nur 41,13 Sekunden, ihr Gang durch die Interviewzone eine halbe Stunde. „Ich habe sie noch nicht gesehen, sie ist die ganze Zeit beim Fernsehen“, sagt Vater Juma Salem Tareq: „Ich will sie umarmen. Ich bin sehr stolz auf sie.“ Seine Tochter beendete den Vorlauf als 64. und damit Letzte, mehr als 15 Sekunden hinter Weltmeisterin Sarah Sjöström. „Sie war ein bisschen nervös. Die Aufmerksamkeit war riesig“, erklärt der Vater. Alzain Tareq trat noch über die 50 Meter Freistilstrecke an und wurde in 35,78 Sekunden 105. von 113 Starterinnen. Der Vater war übrigens früher selbst Schwimmer und betont, dass er keinerlei Druck auf sein Kind ausübe: „Ich war sehr, sehr besorgt wegen des Trubels. Aber sie steckt das alles weg.“
Den Eindruck hat auch Henning Lambertz. Der Bundestrainer hatte ursprünglich geäußert, „eine Zehnjährige ist lieber auf dem Spielplatz als hier bei einer WM“. Doch nach den ersten Eindrücken sieht er das bei Alzain anders. „Auf der Tribüne hat sie sich bei uns hingestellt, eine Tüte Popcorn gegessen und sich kaputtgelacht“, erzählt Lambertz: „Das sieht für mich alles nach einem spaßigen Urlaubserlebnis aus. Deswegen finde ich das in Ordnung.“
Andere sehen Kinder auf dem Startblock kritischer und fordern eine WM-Altersbegrenzung, so wie es sie in anderen Disziplinen bereits gibt. Ex-Schwimmstar Franziska van Almsick findet, „dass 14 Jahre ein gutes Alter“ für den ersten großen Wettkampf sei. Van Almsick selbst war als 14-Jährige bei Olympia in Barcelona gestartet und hatte dort gleich zweimal Silber und zweimal Bronze gewonnen.
Lambertz hält eine Altersbegrenzung dagegen für unnötig, auch für eine Zehnjährige wie Alzain Tareq. „Wir quälen sie ja nicht oder bringen sie in extreme Dehnpositionen, bei denen der Körper zerreißt. Sie schwimmt einfach nur“, sagt der Bundestrainer. Hätte er ein wirkliches Naturtalent in diesem Alter, „dann würde ich sie auch nicht zu Hause lassen“.
Im Wüstenstaat ist Alzain die schnellste Schwimmerin. Doch das reicht ihr nicht. „Ich will zu den Spielen, Tokio 2020 ist mein Ziel.“ Dafür trainiert sie fünf Tage in der Woche. Die national größte Konkurrenz kommt aus der eigenen Familie. „Sie hat eine Schwester, die ist sieben Jahre alt“, verrät der Vater. „Und der Trainer sagt, sie ist sogar noch schneller.“
Schwimm-Olympiasieger und IOC-Mitglied Alexander Popow sieht den vieldiskutierten Start auch unter einem gesellschaftspolitischen Gesichtspunkt. „Vielleicht hat ihre Teilnahme für junge Frauen in ihrem Land eine ganz andere Bedeutung als für uns“, sagte Popow. Bahrain sei ein Land mit strengen Regeln im Zusammenleben von Männern und Frauen. „Sie wird von ihren WM-Erlebnissen erzählen und die Botschaft verbreiten“, erklärte der Freistil-Olympiasieger von 1992. „Warum soll man ihr nicht diese Gelegenheit geben. Wenn sie älter wird, wird das für sie in ihrem Land vielleicht schwieriger.“ (sid/dpa)