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Wenn das Amt einfach duzt

Es ist nicht leicht, über Rassismus zu diskutieren – schon gar nicht in Dresden.

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© Ronald Bonß

Von Annette Binninger

Mehr als einmal habe er schon überlegt, aus Sachsen wegzuziehen. „Aber ich wollte das Feld nicht einfach den anderen überlassen“, sagt Emiliano Chaimite. Der gebürtige Mosambikaner ist seit vielen Jahren deutscher Staatsbürger und engagiert sich im Dachverband sächsischer Migrantenorganisationen. Als DDR-Vertragsarbeiter war Chaimite einst nach Sachsen gekommen, arbeitet heute als Pfleger in einem Dresdner Krankenhaus.

Und er weiß, was Rassismus ist. Chaimite erlebt ihn auch im Alltag beim Behördengang. „Man wird geduzt, das ist ein Mittel der Erniedrigung“, erzählt er von seinen Erlebnissen. Früher seien Nordafrikaner am schlimmsten behandelt worden, heute sei es die pauschale Ablehnung von Menschen muslimischen Glaubens. Ob er Sachsen, so wie eine Boulevard-Zeitung vor einigen Monaten titelte, als „Schandfleck Deutschlands“ sehe, was rassistische und rechtsextremistische Übergriffe angehe, fragt ihn Eric Hattke, der Moderator der Diskussionsrunde im Dresdner HygieneMuseum. Und Chaimite sagt vorsichtig Ja.

Im Saal ist es beklemmend still. „Es fehlte nach all diesen Vorfällen die gesellschaftliche Positionierung dagegen“, sagt Chaimite ruhig. Auch von Regierungsseite hätte mehr getan werden müssen. Applaus im Hygiene-Museum, das gemeinsam mit dem Verein Atticus zu der Podiumsdiskussion eingeladen hatte.

Vor wenigen Monaten noch hätte man zu einer solchen Runde den Ministerpräsident von Sachsen ganz sicher nicht angetroffen. Doch Michael Kretschmer, erst seit Mitte Dezember im Amt, ist gekommen und stellt sich der Debatte über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Freistaat.

Allerdings ist man sich schon in der Diagnose uneins. Eine „kleine, bösartige Minderheit“, nennt Kretschmer die Verursacher der „Dinge, die in keiner Weise in Ordnung“ waren. „Da sind wir alle gefordert.“ Doch Grit Hanneforth, vom Kulturbüro Sachsen, widerspricht ihm. Die asylfeindlichen Proteste, die Sachsen erlebt habe – die Vorfälle in Heidenau und Claußnitz etwa – seien nur die „Spitze des Eisbergs“. Bereits seit Anfang der 90er-Jahre hätten sich in Sachsen „unter dem Radar“ Neonazi-Strukturen etabliert. „Der gesellschaftliche Protest dagegen fehlte“, sagt Hanneforth. „Die Täter konnten sich aufgehoben fühlen in der gesellschaftlichen Debatte über dieses Thema, sie wurden dadurch doch erst ermutigt, auf die Straße zu gehen.“ Hanneforth zählt auf – von den sogenannten Freien Kameradschaften bis zur Gruppe Freital.

Kretschmer reagiert nahezu reflexhaft. Zu oft mussten er und seine Partei, die CDU, sich wohl in den vergangenen Jahren den Vorwurf anhören, dass sich die Landesregierung zu lange eben nicht der Anfänge erwehrte, sondern sie ignorierte à la Kurt Biedenkopf („Die Sachsen sind immun gegen Rechtsextremismus.“) oder mit dem Hinweis auf Links- die Gefahr des Rechtsextremismus zu relativieren versuchte.

Dem Verdacht setzt Kretschmer sich an diesem Abend vermutlich ungewollt aus, als er plötzlich umschwenkt in seiner Argumentation. Der Angriff auf einen Bus mit AfD-Demonstranten, die von Leipzig aus nach Berlin fahren wollten, das seien doch „die Dinge, die irgendwann in terroristischen Aktionen enden.“ Entscheidend sei es, dass „wir alle als Demokraten aus der Mitte heraus agieren“, fordert Kretschmer. Buhrufe im Saal, die Stimmung droht zu kippen. Da eilt Christian Avenarius, Leiter des Brüssel-Büros der Landesregierung und bis vor wenigen Wochen Oberstaatsanwalt in Dresden mit ausreichend Extremismus-Erfahrung, dem Regierungschef zu Hilfe. „Es führt uns nicht weiter, darüber zu diskutieren, welche die schlimmere Form von Extremismus ist“, sagt er ruhig.

Auch die Wissenschaftlerin in der Runde widerspricht. Sachsen sei „nicht pauschal besonders rassistisch“, sagt die Leipziger Politologin Rebecca Pates. „Von der Einstellung her ist Sachsen ein völlig durchschnittliches Bundesland, aber von den gewaltsamen Übergriffen her der Spitzenreiter. Das ist das Problem.“ Die Stadt Dresden, der Kreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge sowie der Landkreis Leipzig lägen klar vorn. „Dort muss die Polizei gezielt gestärkt werden“, schaut Pates auf Kretschmer, der neben ihr sitzt.

Und was das Duzen von Ausländern in Behörden angeht, plädiert Pates leidenschaftlich für eine Modernisierung der lokalen Verwaltung. „Appelle an den Anstand reichen da nicht aus. Bringen Sie die Leute dazu, sich anders zu benehmen“, fügt sie energisch hinzu.