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Wenn das Auto selbst entscheidet

Die Chemnitzer IAV GmbH entwickelt die Technik für das autonome Fahren und setzt auf den Gewöhnungseffekt.

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© Ronald Bonß

Von Nora Miethke

Chemnitz. Der Tacho zeigt 140 Kilometer pro Stunde. Matthias Freese sitzt ruhig hinter dem Lenkrad des schwarzen VW-Golfs. Seine Hände liegen auf den Oberschenkeln, während die Autos auf der Autobahn A 72 an ihm vorüberrasen. Dann gibt er über den linken Blinker das Signal, dass auch er überholen will. Das Auto beschleunigt, das Lenkrad dreht sich wie von Geisterhand, und vollautomatisch zieht der Wagen auf die andere Spur. „Noch treffe ich solche Sicherheitsentscheidungen.

Doch das wird sich bald ändern. Wir arbeiten an einem ersten Prototyp, bei dem das Fahrzeug selbst entscheidet, wann es überholt“, erzählt der Softwareentwickler während des Überholvorgangs. Der 28-Jährige hat einen speziellen „Prototypenführerschein“, der ihn berechtigt, das hochautomatisierte Testfahrzeug des Chemnitzer Autotechnikentwicklers IAV GmbH zu steuern. Die Mitfahrt dauert nur kurz, rund 30 Kilometer von Chemnitz-Süd bis zur Abfahrt Penig, doch sie zeigt: Als Mitfahrer gewöhnt man sich schnell an den Autopiloten. Es bleibt still im voll besetzten Fahrzeug, selbst als der Abstand zum Vordermann in einem großen LKW bedrohlich kleiner wird.

An den Gewöhnungseffekt glaubt auch Freeses Chef Udo Wehner, Bereichsleiter für Integrale Fahrzeugfunktionen in der IAV. „Die Gesellschaft muss sich mit den autonomen Vehikeln auseinandersetzen, angefangen vom Rasenmäher bis zum Robotertaxi“, sagt Wehner. Gemeinsam mit einem großen Industriepartner entwickelt er einen elektrischen vollautonomen Shuttle, der 2018 in den Test gehen soll. Wehner, der selbst auf einem Dorf zwischen Leipzig und Chemnitz lebt, hält solche selbstfahrenden Kleinbusse für eine gute umwelteffiziente Lösung, wie auf dem Lande die letzte Meile von der Haustür zum Bahnhof oder der Bushaltestelle ohne Auto zurückgelegt werden kann. „Der Verkehr wird im ländlichen Raum mit schweren Bussen gefahren, die nicht ausgelastet sind. So können wir in Zukunft Mobilität nicht mehr gestalten“, sagt der IAV-Experte. Er geht davon aus, dass im Jahr 2030 die Fahrt mit dem autonomen Shuttle zum Einkauf oder zum Arzt möglich sein wird. Dass das viele Jobs im Nahverkehr kosten wird, glaubt er nicht. „Autonomie bedeutet nicht Wegfall von Arbeitsplätzen, sondern diese verändern sich. Auch Shuttles müssen gewartet, repariert und kontrolliert werden“, so Wehner. Ziel sei es, mit gleichem Personal eine höhere Verkehrsleistung auf größerer Fläche und Service rund um die Uhr zu erreichen.

Bis es so weit ist, muss aber noch einiges passieren. Die Sensorik im Auto muss verbessert werden, damit auch bei Schnee und Regen Daten fehlerlos erfasst und ausgewertet werden können. Das könnten die bislang eingesetzten Bildkameras nicht leisten, betont Freese und fährt wie zum Beweis auf eine rote Ampel zu. Die im Navigationsgerät angezeigten Spurmarkierungen und Umfelderkennungen verlieren sich in der weißen Karosserie des Transporters, der unmittelbar vor dem Golf stoppt.

Die Ampeln spielen bei der Vorbereitung der Infrastruktur eine Schlüsselrolle. „Sie müssen sprechen lernen“, nennt das Udo Wehner. Damit der Stadtverkehr flüssiger wird – so das Ziel des autonomen Fahrens –, sollen die Ampeln frühzeitig den Fahrzeugen anzeigen, ob sie gerade auf Rot oder Grün sind und wann sie umschalten werden. Dann kann der Roboterpilot rechtzeitig entscheiden: Fährt er langsamer, muss er bremsen, oder schafft er es noch zügig über die Kreuzung.

Digitales Testfeld noch im Aufbau

Demonstriert wurde dieses autonome Heranfahren an eine rote Ampel vor zwei Jahren am Fritz-Löffler-Platz in Dresden. Doch der großflächige Versuch im chaotischen Stadtverkehr, wo sich Autos, Fußgänger, Bahnen, Busse oder Radfahrer kreuzen, steht noch aus. Dresden gehört zu bundesweit sechs Städten, die von der Bundesregierung Fördermittel für den Aufbau eines urbanen digitalen Testfeldes bekommen.

Wie teuer dieser Feldversuch wird, der sich aus rund 20 Projekten zusammensetzt, ist noch unklar. Die federführende Sächsische Energieagentur ging anfänglich von 60 Millionen Euro aus. Da sind die im März vom Bund bewilligten Fördermittel in Höhe von 3,8 Millionen Euro für das Einzelprojekt „Harmonize DD“ ein Tropfen auf den heißen Stein. Im Rahmen des Projekts soll bis 2019 ein cloudbasiertes System entwickelt werden für eine bessere Interaktion von hochautomatisierten und konventionellen Fahrzeugen. Erforscht wird dabei auch das menschliche Verhalten im sogenannten Mischverkehr. Wann die Tests starten, steht noch nicht fest. „Wir brauchen Klarheit über umbaufähige Ampeln“, sagt Wehner. Sein Arbeitgeber IAV ist einer der Projektpartner neben BMW, Vodafone, den Universitäten in Dresden und Chemnitz und noch anderen Forschungseinrichtungen.

Als Testfeld werden in Dresden verschiedene Straßenzüge ins Auge gefasst wie etwa die Dohnaer Straße, die Coventrystraße oder die Bergstraße/Innsbrucker Straße, heißt es im Rathaus. Die Stadt geht derzeit von einer insgesamt zehn Kilometer langen Teststrecke aus, auf der acht Kilometer über städtisches Gebiet führen.

Datenhoheit bei Fahrzeugnutzern

Das Aufzeichnen und Auswerten von Daten ist sensibel. Pro Minute kommen zwei bis drei Gigabyte Daten zusammen, wenn Matthias Freese mit dem autonomen Testfahrzeug unterwegs ist. „Ein Testtag macht die Festplatte voll für die Analyse“, so der junge IAV-Softwareentwickler. Damit der Bordcomputer übernehmen kann, braucht er Informationen – über die Straße, den Verkehr, mögliche Hindernisse und über die Wunschroute des Fahrers.

Im Bundesverkehrsministerium wird an hohen Standards für den Datenschutz festgehalten. Es darf nicht passieren, dass ein Hacker ein Automobil fremdlenkt. „Ohne das Vertrauen der Menschen, dass mit ihren Daten ordentlich umgegangen wird, hat das automatisierte Fahren keine Chance“, stellte Dobrindts Staatssekretär Norbert Barthle vergangene Woche in Berlin klar. Die Datenhoheit liegt auch künftig bei den Fahrzeugnutzern.

Noch ein anderer Punkt führt zu Skepsis bei vielen Deutschen. Was passiert bei Unfällen? In der öffentlichen Diskussion wird gern das Szenario entwickelt: Ein Auto kann einem Unfall nur entgehen, wenn es ausweicht. Fährt es links, überfährt es eine Großmutter, fährt es nach rechts, ein Kind. Wie entscheidet es sich? Udo Wehner hält dieses Beispiel für nicht relevant. „Ich gehe davon aus, dass das Fahrzeug immer so schnell wie möglich in der eigenen Fahrspur anhalten wird, wenn ihm etwas im Weg steht“, so der Ingenieur.

Die selbstfahrenden Autos werden dadurch auffallen, dass sie sich streng an die Straßenverkehrsordnung halten werden. „Im Ort fahren sie maximal 50 Kilometer pro Stunde, in der Baustelle maximal 60, auf der Autobahn maximal 130. Dann werden wir sehen, was wir Menschen alles anders machen“, sagt Wehner zum Abschluss der kleinen Testfahrt.