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Wenn das Babyglück keines ist

Eigentlich ist die Geburt eines Kindes etwas Wunderbares. Für manche Frauen ist sie aber traumatisch - mit schwerwiegenden Folgen.

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Ende gut, alles gut? Das ist nicht bei jeder Geburt so - selbst wenn das Kind gesund ist.
Ende gut, alles gut? Das ist nicht bei jeder Geburt so - selbst wenn das Kind gesund ist. © dpa-tmn/Silvia Marks

Hannover/Hamburg. Eine Geburt ist für jede Frau ein überwältigendes Erlebnis: Heftige Schmerzen, riesige Anstrengung und am Ende der Schinderei ist doch alles gut - dafür sorgt das kleine, wunderbare Baby, das nun auf der Welt ist. Aber manchmal ist nicht alles gut, selbst wenn das Baby gesund ist. Für manche Frauen ist die Geburt ein traumatisches Erlebnis. Darunter leidet dann möglicherweise die Beziehung zum Kind - genau wie die weitere Familienplanung.

Dass man nicht alles durch die rosarote Brille sieht, ist noch ganz normal, sagt Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte (BVF) und Gynäkologe. "Nach der Geburt fällt die körpereigene Produktion von Östrogenen schlagartig ab: Viele Frauen erleben das als eine vorübergehende, teilweise sehr tiefe Niedergeschlagenheit, die durch die Schmerzen, den Blutverlust und den Schlafmangel verstärkt wird."

Babyblues, Depression oder Trauma?

Wenn eine solche Phase nicht nach einigen Tagen vorübergeht oder kein Kontakt zum Kind aufgebaut werden kann, stecke aber mehr als der sogenannte Babyblues dahinter. Das kann zum Beispiel die sogenannte Wochenbett-Depression sein - oder ein Trauma.

Wie macht sich das Trauma bemerkbar? Wolfgang Lütje, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG), nennt als klassische Zeichen Übererregung und sogenannte Flashbacks - eine plötzliche Erinnerung an die Geburt, die sich fast so anfühlt, als würde man sie noch einmal erleben. "Auch wenn man niemandem von der Geburt erzählen möchte, kann das für ein Trauma sprechen."

Das Gefühl der Fremdbestimmung als Auslöser

Die möglichen Ursachen für ein Trauma sind so vielfältig wie der Geburtsverlauf selbst. "Natürlich gibt es Eingriffe, die potenziell gehäuft mit einem Trauma verbunden sind", sagt Lütje, der auch Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Hamburger Amalie-Sieverking-Krankenhaus ist. Aber: "Man kann nicht sagen: Tendenziell ist diese Intervention oder dieses Vorkommnis traumatisierend."

Was aber oft hinter dem Trauma steckt, ist ein Gefühl der Fremdbestimmung. Lütje sieht daher vor allem das Personal rund um die Geburtshilfe in der Pflicht: Wichtig sei nicht so sehr, was getan wird - sondern eher, dass Ärzte und Hebammen den Frauen erklären, was sie vorhaben, wozu das gut ist und ihnen ein Widerspruchsrecht einräumen. Viele Frauen erleben zum Beispiel den Kristeller-Handgriff als Gewaltanwendung - und somit möglicherweise als traumatisierend.

Dabei drückt die Hebamme oder der Arzt während einer Wehe auf den Bauch, um den Geburtsvorgang zu unterstützen. Im Gespräch mit ihm habe eine Frau von ihrer Geburt erzählt, so Lütje. Viele der Interventionen habe sie als übergriffig und gewalttätig wahrgenommen. Nur ausgerechnet diesen Kristeller-Handgriff nicht. Der Grund: Den habe eine Hebammenschülerin durchgeführt, die sich zunächst vorstellte, den Eingriff erklärte und die werdende Mutter nach ihrem Einverständnis fragte.

Alleinsein kann traumatisieren

Voraussetzung ist natürlich, dass für so viel Betreuung Zeit ist: "Sobald es hektisch wird, wirkt das oft traumatisch", sagt Ulrike Geppert-Orthofer, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes. So können vor allem Notfälle traumatisieren. Es komme aber natürlich auch auf den Umgang damit und die Betreuung danach an. Gleiches gilt, wenn die Frau während des Geburtsverlaufs viel alleine ist.

Und alleine meint in diesem Fall nicht ohne den Partner oder eine andere Vertrauensperson - sondern ohne qualifiziertes Personal wie die Hebamme. Und das komme in Deutschland durch die hiesigen Strukturen leider ziemlich häufig vor, sagt Geppert-Orthofer. Genaue Zahlen, wie häufig Frauen durch eine Geburt traumatisiert sind, gibt es für Deutschland nicht, sagt Albring.

Gute Vorbereitung schützt vor Trauma

Oft ist das Trauma der betroffenen Frau selbst gar nicht klar - bis sie wieder schwanger ist und der Geburtstermin näher rückt. Mit solchen Fällen hat Lütje in seiner Klinik oft zu tun. Er legt viel Wert auf eine gute Vorbereitung der Geburt. Denn: "Je größer der Unterschied zwischen der Erwartung und der Realität ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit eines Geburtstraumas", sagt er.

So sei es für Frauen zum Beispiel oft schlimm, wenn sie sich eine Hausgeburt gewünscht hatten, diese aber mit einem Notkaiserschnitt in der Klinik endet. Wichtig sei daher, sich bewusst zu sein, dass eine Geburt immer anders verlaufen kann als geplant - und dabei trotzdem eine positive Haltung zu bewahren.

Nicht schämen und Hilfe annehmen

Wer nach der Geburt bemerkt, dass die Niedergeschlagenheit anhält, dass man nicht über die Geburt sprechen kann und nicht stolz darauf sein kann, der braucht Hilfe. Schämen müssten sich Frauen deswegen nicht, sagt Geppert-Orthofer. Denn ein Geburtstrauma kann Auswirkungen auf das Stillen, auf die Bindung zum Kind und zum Partner sowie auf die weitere Familienplanung haben.

Hilfe annehmen oder aktiv einfordern, das sei natürlich nicht einfach, betont die Expertin. "Frauen neigen häufig dazu, einfach zu funktionieren." Und auch das Umfeld mache es einem nicht immer leicht. "Viele denken: "Die hat doch alles, warum ist sie jetzt nicht froh?""

Geppert-Orthofer rät, die Hausbesuche der Hebamme zu nutzen und von der Geburt und den eigenen Gefühlen zu erzählen. Ein guter Ansprechpartner ist laut Gynäkologe Albring auch der Frauenarzt. Er kenne gegebenenfalls auch Hilfs- oder Therapie-Netzwerke und -Angebote vor Ort.

Am Ende sei eine Schwangerschaft und eine Geburt in jedem Fall etwas, auf das man ohne Einschränkung stolz sein kann, wie Geppert-Orthofer betont. "Es ist der absolute Höhepunkt dessen, was ein Mensch leisten kann, ein Wunder." (dpa/tmn)