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Wenn das Essen aus dem Müll kommt

Aus Protest gegen die Wegwerfgesellschaft gehen vor allem junge Leute "Containern". Drei Dresdner ziehen regelmäßig los - und finden mitunter Erstaunliches.

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Studenten bei einem ihrer Streifzüge zu Dresdens Mülltonnen.
Studenten bei einem ihrer Streifzüge zu Dresdens Mülltonnen. © dpa-Zentralbild

Von Christiane Raatz

Rucksack, Schraubenzieher, Plastikbeutel und Stirnlampe - diese Dinge gehören dazu, wenn die drei Studenten Charlotte, Martha und Dominik aus Dresden abends zum "Containern" losziehen. Das heißt: Sie suchen in den Mülltonnen von Supermärkten nach Lebensmitteln, die sich noch gut essen lassen. Oft sind sie erstaunt, was alles im Müll landet: Vor allem Obst und Gemüse, manchmal Joghurt, Milch oder Eier. Sogar einen tiefgefrorenen Hummer hat Dominik einmal in einer Tonne gefunden. "Ich hatte ein bisschen Bedenken und eigentlich mit Bauchschmerzen gerechnet - aber es lief alles gut und war lecker", sagt der 28-Jährige.

Mit seinen Mitbewohnerinnen geht er öfter auf die Suche nach verwertbaren Lebensmitteln. "Ich mache das aus Überzeugung, weil es mich stört, dass so viel weggeworfen wird", so Dominik. Dass sich so auch ein paar Euro für den Einkauf sparen lassen, sei ein angenehmer Nebeneffekt. Martha erzählt, dass nicht wenige ihrer Freunde mittlerweile die meisten Nahrungsmittel auf diesem Weg beziehen.

Dass Containern illegal ist, wissen die drei Studenten. Das Gelände der Supermärkte zu betreten gilt als Hausfriedensbruch, die Mitnahme von Lebensmitteln als Diebstahl - auch wenn sie in der Mülltonne liegen. Einmal wurden die drei von einer Angestellten erwischt, die mit der Polizei drohte. Containern sollte legalisiert werden, finden die Dresdner. Dann würden sich vielleicht noch mehr Menschen trauen. "Lebensmittel zu retten ist kein Verbrechen", sind sie sich einig.

Ein Vorstoß von Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne), das Containern straffrei zu machen, ist Mitte des Jahres auf der Justizministerkonferenz gescheitert. Bei weggeworfenen Lebensmitteln gebe es zwar durchaus Handlungsbedarf, sagte ein Sprecher des sächsischen Justizministeriums. Strafrechtlich sei das allerdings schwierig. Eher müssten steuerliche Anreize für Konzerne geschaffen werden, Lebensmittel zu spenden - oder alternative Abgabeformen.

Sachsen setzt auf Aufklärung - unter anderem mit der Initiative "Lebensmittel sind wertvoll". Konsumenten sollen auf Veranstaltungen oder bei Mitmachaktionen für einen verantwortungsvollen Umgang sensibilisiert werden. Dabei geht es um die Bedeutung des Mindesthaltbarkeitsdatums oder darum, ob XXL-Packungen wirklich nötig sind. "Leider landen noch immer zu viele Lebensmittel im Müll, und zwar hauptsächlich in den Haushalten", so der Sprecher des Landwirtschaftsministeriums, Frank Meyer.

Nach einer im September vom Bundesernährungsministerium vorgestellten Studie kommen jährlich knapp 12 Millionen Tonnen Lebensmittel auf den Müll. Auf Privathaushalte entfällt laut Berechnungen des bundeseigenen Thünen-Instituts gut die Hälfte - pro Kopf sind das im Jahr etwa 75 Kilogramm Nahrungsmittel. Auch in Restaurants oder bei der Verarbeitung werden Lebensmittel weggeworfen, auf den Groß- und Einzelhandel entfallen etwa vier Prozent.

Eine Legalisierung des Containerns würde das Problem nicht lösen, ist René Glaser vom Handelsverband Sachsen überzeugt. Zudem zeige der geringe Anteil, dass die Händler großen Wert darauf legen, so wenig wie möglich wegwerfen zu müssen. Die meisten Lebensmittel würden kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums ohnehin gespendet oder verbilligt verkauft. Der Verband hat auch Bedenken, weil sich in den Tonnen Abfälle mit Metall- oder Glassplittern oder aus Warenrückrufen befinden können. "Daher lehnt der Handel schon aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes Containern ab."

Auch diese Mülltonne durchsuchten die Studenten auf Essbares. 
Auch diese Mülltonne durchsuchten die Studenten auf Essbares.  © dpa

Auch Konsum Leipzig mit seinen rund 60 Filialen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen kämpft gegen die Verschwendung von Lebensmitteln: Zunächst wird die Ware kurz vor dem Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums reduziert angeboten, was übrig bleibt, an die Tafeln gespendet. Künftig will der Konsum mit der Foodsharing-App "To good to go" zusammenarbeiten. Damit werden Händler und Restaurants mit Verbrauchern vernetzt, die Essen vor der Mülltonne retten wollen. Für kleines Geld gibt es dann eine Art "Wundertüte" mit Überraschungsinhalt.

"Lediglich Kleinstmengen, etwa einzelne Weintrauben und ungenießbare Ware, werden über die Bio- oder Restmülltonne entsorgt", sagt Konsum-Marketingchef Matthias Benz. In einer Filiale wird derzeit die Zusammenarbeit mit dem Leipziger Unternehmen "madebymade" getestet: Das verfüttert Biomasse an Maden, die anschließend zu Tierfutter verarbeitet werden. "Nach all dem sollte eigentlich nichts mehr in der Tonne landen", so Benz.

Überschüssige Lebensmittel wegzuwerfen sei nicht nur unter ökologischen Gesichtspunkten kritisch, sondern auch ein wirtschaftliches Verlustgeschäft, erklärte der Lebensmittelhändler Edeka Nordbayern-Sachsen-Thüringen. So werde in den Filialen etwa automatisierte Systeme für die Warenbestellung genutzt, um ein "Überangebot von vorneherein" zu vermeiden, hieß es.

Und dennoch: Einiges landet in den Tonnen. An einem regnerischen Abend in Dresden ziehen Charlotte, Martha und Dominik mit dem Fahrrad los. Sie haben ihre Route und wissen mittlerweile, wo es sich gut "containern" lässt. Manche Tonnen sind frei zugänglich, andere in einem Verschlag abgesichert. In einer Tonne an einem Supermarkt im Norden der Stadt fischen sie zwei Gurken, Porreestangen, jede Menge Tomaten und eingeschweißte Äpfel aus dem Müll. Bis auf ein paar braune Stellen sieht das meiste noch gut aus. Zu Hause wird alles gründlich gewaschen und ausgeschnitten. Etwa 80 Prozent von dem, was sie aus den Tonnen rausholen, wird auch gegessen, schätzt Charlotte. "Zur Not gibt es einfach eine Restepfanne", sagt Dominik. Containern gehört für sie mittlerweile zum Alltag. (dpa)