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Wenn das Jobcenter nicht mehr zahlt

Nach zehn Jahren wird einem Nossener das Geld gestrichen. Seine Anwältin weiß nicht weiter.

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© Claudia Hübschmann

Von Marcus Herrmann

Nossen/Eulitz. Wohn- oder Bedarfsgemeinschaft? Für den Hartz IV-Empfänger Manfred Seider * aus Eulitz bei Nossen ist diese Frage eine ganz entscheidende. Auf dem Spiel steht sein Haus, das er 2002 mit seiner damaligen Freundin gekauft hatte, sagt der 61-Jährige. Mindestens. Bis August 2017 hatte Seider, der seit 2005 keinem sozialversicherungspflichtigen Job mehr nachgeht, vom Jobcenter monatlich um die 500 Euro bekommen. Doch dann wird ihm der Aufhebungsbescheid zugesandt mit der Ankündigung, bis Jahresende kein Geld zu bekommen.

Grund sei ein Erbe über knapp 5 000 Euro, das auf sechs Monate angerechnet werden sollte. Dieses hatte es laut Seider auch tatsächlich gegeben. Dennoch lässt er seine Anwältin Brigitte Halwaß Widerspruch einlegen. Die Kosten für die Rechtsbeihilfe werden ihm als Sozialhilfeempfänger vom Staat erstattet.

Im Oktober vergangenen Jahres lehnt das Amt jedoch nicht nur den Einspruch ab, sondern teilt in einem Schreiben mit, bei der Prüfung der Akte sei aufgefallen, dass „der bisher berücksichtigte Leistungssachverhalt nicht abschließend ermittelt wurde“ und bisherige Leistungen nach Sozialgesetzbuch II rechtswidrig gewährt worden wären. Denn Seider lebe „offensichtlich mit seiner Partnerin in einer Bedarfsgemeinschaft“. Bis zum heutigen Tag sieht der Fast-Ruheständler keinen Cent mehr vom Amt. Tatsächlich bewohnt seit zehn Jahren eine drei Jahre jüngere Nossenerin in der oberen Etage des Hauses eine 46 Quadratmeter große Wohnung. Dafür zahlt sie eine monatliche Miete von 125 Euro an Manfred Seider.

Der gebürtige Leipziger benötigte 2008 für das mit seiner Ex-Partnerin gekaufte Grundstück Unterstützung, nachdem diese ausgezogen war – und fand sie in der neuen Mieterin. „Mit meiner damaligen Partnerin hatte ich den Kaufpreis über ein gemeinsames Darlehen finanziert. Nach der Trennung habe ich ihre Eigentumshälfte erworben, brauchte aber jemanden, der in den Vertrag mit einsteigt. Sonst hätte mir die Bank den Kredit wegen meiner Arbeitslosigkeit nie gewährt“, sagt Seider. Damals habe ihn eine Sachbearbeiterin des Jobcenters Meißen sogar geraten, einen Teil des Hauses weiterzuvermieten. Dass sich eine Mieterin gefunden hatte, die auch noch in den Kreditvertrag mit eintrat, habe Seider damals als großes Glück empfunden. Gleichzeitig sei mündlich abgesprochen gewesen, dass die Mieterin, die arbeitstätig ist, nicht für die monatlichen Raten aufkommen muss.

Trotzdem strich das Jobcenter mit Hinweis auf eine Bedarfsgemeinschaft im August jegliches Geld. Über seine Anwältin erhebt Seider erneut Widerspruch. Es liege eine Wohn- keinesfalls eine Bedarfsgemeinschaft vor. Begründet wird das mit den getrennten Haushalten der beiden Personen. Jeder gehe für sich selbst einkaufen, wasche seine Wäsche selbst und schaffe seinen Hausrat eigenständig an.

„Wir leben ohne größere Rücksicht aufeinander und sind nicht wirtschaftlich füreinander verantwortlich“, versichert Seider. Seine Anwältin Brigitte Halwaß ergänzt: „Die Mieterin verfügt über eine eigene, abgeschlossene Wohnung, Küche und WC. Sie hat eigene Versicherungen und ein eigenes Beitragskonto für die Rundfunkgebühr.“ Laut Gesetzgeber ist der Regelsatz in einer Bedarfsgemeinschaft geringer. Denn sobald es sich um eine solche handelt, wird nicht nur das Einkommen des Antragsstellers berücksichtigt, sondern das gesamte Einkommen in der Bedarfsgemeinschaft. Das führt – wie im Fall von Manfred Seider – zu Leistungskürzungen oder sogar deren Wegfall.

Um den Widerspruch zu klären, ließ das Jobcenter Anfang Dezember ausrichten, dass eine „vermögensrechtliche Begutachtung des Wohneigentums notwendig“ sei. Außerdem müssten sowohl der Antragsteller als auch die Mieterin einen ausführlichen Fragebogen beantworten. Mehrfach bittet das Jobcenter um Fristverlängerung für die „Aufklärung des Sachverhalts“. Letztlich kommt es im Januar 2018 zu dem Ortstermin auf dem Grundstück in Eulitz durch eine Vertreterin des Gutachterausschusses des Landkreises. „Ein mir mitgeteiltes Ergebnis gibt es bis heute nicht. Der Bescheid wird weiter hinausgezögert“, empfindet Halwaß das Vorgehen des Jobcenters als merkwürdig. Zehn Jahre habe es keine Probleme gegeben, jetzt plötzlich werde eine Bedarfsgemeinschaft unterstellt.

Zudem soll Seider zum Teil intime Fragen auf besagtem Fragebogen beantworten. Unter anderem will das Jobcenter wissen: Welche Gegenstände werden in gemeinsamen Räumen gemeinsam genutzt? Existiert eine gemeinsame Freizeitgestaltung? Befinden sich beide in einer Partnerschaft? War einer der Partner seit dem Einzug mit anderen Partnern liiert und wenn ja, wann und mit wem? „Für diese Fragen gibt es keine rechtliche Grundlage. Das empfinde ich als Nötigung und Erpressung“, sagt Manfred Seider. Gängigen Hartz IV-Ratgebern zufolge verwenden Jobcenter Fragebogen der Arbeitsagenturen, die nicht immer frei von datenschutzrechtlicher Kritik sind.

Bei zu weitgehenden Fragen, sollte der Kontakt zu Datenschützern nicht gescheut werden, raten sie. Nachdem Seiders Gesuch einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht, bis zur Klärung wieder Geld zu bekommen, abgelehnt wurde, fürchtet er, sein Haus verkaufen zu müssen; und das ein Jahr, bevor er in Rente gehen und den Kredit abbezahlen könnte.

Kontakt Andreas Schurig, Sächsischer Datenschutzbeauftragter: Telefon . 0351 4935401

* Name von der Redaktion geändert