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Wenn Energie durch das Seil fließt

Bernd Arnold bricht eine Lanze für Seilschaften. Der Vorkletterer hat dafür viele gute Gründe.

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© Archiv Arnold

Von Jochen Mayer

Wörter wandeln sich. So bekam die „Seilschaft“ einen negativen Klang. Nach dem Sinneswandel hört sich das Wort jetzt nach politischen Ränkespielen, Vetternwirtschaft, Gefälligkeiten an. „Das hat die Seilschaft nicht verdient“, beklagt Bernd Arnold, der mehr als 900 neue Kletterwege in der Sächsischen Schweiz meisterte. Er kennt die guten Seiten des Seils am Berg, im Fels, auf dem Weg zum Gipfel. Deshalb widmet der 69-Jährige den Bergsommerabend in seinem Heimatort Hohnstein nun der Seilschaft.

Schon in den 80er-Jahren trafen sich Kletterer in Garagen und Kneipen, hörten Schweizern und Franzosen zu, die über unerreichbar scheinende Bergwelten sprachen. Diese Treffs mit Arnold-Besuchern waren Gedankenaustausch und Fernwehrunden. Nach der Wende nahm der Bergsommerabend diese Tradition auf. Erst mit Klettersport und internationalen Stars, dann gab es Choreographien und zunehmend Kultur und Historie. „Im Leben hat alles seine Zeit“, weiß Bernd Arnold, der seine Felswelt immer noch aktiv genießt.

Jahrzehntelang begleitete ihn seine Seilschaft: „Wir gingen durch Höhen und Tiefen, manche sind gar nicht mehr bei uns.“ Ein Bund fürs Leben, verbunden am Berg. Eine Südtiroler Zeitschrift gab ihm einen Anstoß. Die Betrachtung zu Seilschaften animierte Sachsens Vorkletterer, sich „Gedanken um Selbstverständliches zu machen, weil man mit der Zeit betriebsblind wird“. Arnold will die Seilschaft am Berg wieder ins rechte Licht rücken und zeigen, was alles in ihr steckt.

Der drahtige Mann mit dem wettergegerbten Gesicht und wachen Blick kann sich in Rage reden über sein aktuelles Lieblingsthema: Über das Verbindende, das Seil. Über den Versuch, das Experiment, weil man nie weiß, ob es funktioniert. Wie junge Kletterer oft nicht wählerisch sind mit Partnern. Wie die Alten eher darauf achten, dass alles miteinander passt, weil sie die Erfahrung haben, Erlebnisse teilen wollen mit jenen, mit denen man harmoniert, genießen kann. Und über Urvertrauen, das nötig ist, um sich anderen anzunähern. Das funktioniert zeitlos und weltumspannend. Darüber lässt sich lange reden.

Man muss aufeinander zugehen

Bernd Arnold hat in Seilschaften viel erlebt. „Man muss sich öffnen, aufeinander zugehen“, lautet eine seiner Erfahrungen. „Das ist zwischenmenschlich spannend, nie stereotyp, weil sich die Menschen verändern.“ Er erlebte auch Schmerzliches, weil die Chemie plötzlich nicht mehr stimmte, Trennungen nötig waren. „Das ist konsequent“, lautet sein Kommentar dazu, „man muss sich ja nicht böse sein, weil der Versuch scheiterte. Manchmal war man blind, wollte die Realität nicht sehen“. Seile verbinden, bieten dabei nicht nur Halt. Bernd Arnold erlebte ein Phänomen, das ungeahnte Leistungsreserven freisetzte: „Ich hielt schon das Seil und hatte das Gefühl, als ob ein Energiestrom durchgeht, dass ich von den anderen am Seil Impulse bekomme, zusätzliche Energie. Diese Übertragung setzte neue Kräfte bei mir frei.“ Den Effekt kennen Teamsportler, die sich gegenseitig hochschaukeln bis an und jenseits ihrer Leistungsgrenzen.

In den Seil-Gemeinschaften am Fels tritt der Einzelne zurück. „Es ist in der Seilschaft egal, ob ich vorn oder hinten bin“, sagt Bernd Arnold. „Der Erste ist so wichtig wie der Zweite. Die Ergänzung macht viel aus.“ Er weiß aber auch, dass Begriffe wie Seilschaft beim Bergsteigen glorifiziert oder gar heroisiert werden: „Manchmal trifft das Heldenhafte zu, aber nicht immer.“ Die Seilschaft soll den Platz bekommen, der ihr zusteht. Das hat psychologische, klettertechnische, moralische, historische, kulturelle oder satirische Aspekte. Der Hohnsteiner Bergsommerabend will die aufgreifen.

Für Bernd Arnold ist Klettern schon immer eine Kopfsache. Meditieren über Seilschaften fällt ihm deshalb nicht schwer. „Wenn man nichts mehr mitzuteilen hat, ist es nicht mehr schön“, sagt er. „Früher habe ich Erstbegehungen gemacht, das waren auch Mitteilungen. Mit dem Alter verschieben sich die Prioritäten.“

Bergsommerabend, Fr., 20 Uhr: Kurzvorträge, Sa., 20 Uhr (jeweils Max-Jacob-Theater Hohnstein): Filmabend u.a. mit Lothar Brandler „Die europäische Seilschaft“. So. 11 Uhr Brand-Baude: Lesung Peter Brunnert.